

Sieben Luftangriffe hat der Arzt Hamza Al-Khateeb in Aleppo gezählt - allein vom Tagesanbruch bis Dienstagmittag. "Die Attacken hören kaum auf", sagt er. Auch in der Nacht ließen ihn die schweren Einschläge immer wieder aufschrecken.
"Das sind die schwersten Angriffe, die wir je erlebt haben", sagt der Mediziner mit müder Stimme in einer WhatsApp-Sprachnachricht. "Es ist schlimmer als während der Fassbombenangriffe Ende 2014 und vielleicht noch schlimmer als während der russischen Luftangriffe der vergangenen Monate."
Seit zwölf Tagen in Folge attackiert die syrische Luftwaffe den geschundenen Ostteil der Stadt, der seit 2012 von der Opposition kontrolliert wird. Manchmal sind es mehrere Dutzend Angriffe pro Tag. In den ersten Tagen wurde im Durchschnitt alle 25 Minuten ein Zivilist getötet.
Hamza al-Khateeb hat Glück, dass er noch am Leben ist. Vor einer Woche wurde das Al-Quds-Krankenhaus angegriffen, das er leitet. 58 Zivilisten starben bei dem Angriff - Patienten und Mediziner. Aufnahmen der Überwachungskameras aus dem Krankenhaus zeigen die Minuten vor den Einschlägen.
Es sind die letzten Momente im Leben von Dr. Muhammad Maaz. Er war einer von zwei noch verbliebenen Kinderärzten im Osten Aleppos. Mindestens 726 syrische Ärzte wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Physicians for Human Rights seit Beginn des Konflikts 2011 getötet, davon 688 durch das syrische Regime und seinen russischen Verbündeten.
Für Aleppo soll keine Feuerpause gelten
Auch im vergleichsweise sichereren Westen Aleppos, der vom syrischen Regime beherrscht wird, sind es die schlimmsten Tage seit Langem. Dort schlagen ständig die selbstgebauten Raketen und Geschosse der Rebellen ein. Seit Beginn der jüngsten Militäroffensive gegen den Osten geht das so.
Die Geschosse der Rebellen sind viel kleiner als die Bomben und Raketen der syrischen Luftwaffe, ihre Reichweite ist geringer. Doch sie töten genauso wahllos: An diesem Dienstag wurde im Westen Aleppos im Durchschnitt jede halbe Stunde ein Zivilist getötet.
"Diejenigen, die noch immer an den Frontlinien Aleppos leben, sind meist zu arm, um zu gehen", berichtete die Nachrichtenagentur der Uno-Nothilfekoordination (Irin) nach einem Besuch des vom Regime kontrollierten Westens der Stadt im April.
Die Bilanz von zwölf Tagen Eskalation ist schrecklich: Über 150 getötete Zivilisten im zerbombten Osten Aleppos, dazu Hunderte Verletzte sowie rund 120 zivile Opfer im Westen der Stadt. Und ein Ende des Sterbens ist nicht absehbar.
Das syrische Regime und sein Verbündeter Russland wollen Aleppo nicht in die Feuerpause einschließen, die in anderen Teilen Syriens derzeit gilt. Stattdessen drängen sie darauf, die Stadt zurückzuerobern. Die Rebellenmilizen halten rücksichtslos dagegen. Nachgeben kommt für beide Seiten offenbar nicht infrage.
Im Video: Erneuter Angriff auf Krankenhaus in Aleppo
Im Video:
Vor dem Krieg war Aleppo mit über zwei Millionen Einwohnern Syriens größte Stadt, eine jahrhundertealte Wirtschaftsmetropole. Wie viele Menschen derzeit noch dort leben, weiß niemand genau. Schätzungen liegen bei mehreren Hunderttausenden.
Ihre Versorgung ist katastrophal - auch in medizinischer Hinsicht: "Von den Ärzten in Aleppo sind rund 95 Prozent geflohen oder wurden getötet", sagt Pablo Marco, der den Syrien-Einsatz der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" leitet. Insgesamt sollen sich nur noch weniger als 30 Ärzte im Ostteil der Stadt aufhalten.
"Unsere Mitarbeiter arbeiten manchmal zehn, 20 Stunden am Stück - je nachdem, wie viele Verletzte es gerade gibt", sagt der Arzt Abdulaziz Adel von der Union syrischer medizinischer Hilfsorganisationen. "Was sollen wir denn sonst tun, wenn es nur noch drei oder vier Chirurgen in der Stadt gibt?"
Ein anderer Arzt aus Aleppo entschuldigt sich, dass er keine Interviews mehr geben möchte. In den vergangenen Jahren des Krieges hat er durch die Bombenangriffe Patienten, Kollegen und Freunde verloren.
"Ich weiß nicht, was ich der Welt noch sagen soll."
Zusammengefasst: Die Offensive des syrischen Regimes auf Teile von Aleppo läuft nun schon seit zwölf Tagen. Auch die Rebellen feuern, es gibt Hunderte zivile Opfer. Um die Verletzten kann sich kaum noch jemand kümmern, weil die meisten Ärzte getötet oder geflohen sind. Trotzdem scheint keine der Konfliktparteien nachgeben zu wollen.
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