
Krieg in Syrien: Tödlicher Alltag in Aleppo
Krieg in Syrien Aleppo wird ausgelöscht - und die Welt schaut zu
"Kinder sollten nicht sterben. Aber sie sollten erst recht nicht in Krankenhäusern oder in Schulen von Bomben getötet werden", sagte Geert Cappelaere, Regionaldirektor des Uno-Kinderhilfswerks Unicef. Mehr als 100.000 Kinder sind laut seinen Angaben im Ostteil Aleppos eingeschlossen. Und seinem Appell zum Trotz: In den nächsten Tagen und Wochen werden in der umkämpften Stadt noch mehr Kinder und Jugendliche sterben.
Dank Twitter, Facebook und YouTube kann die Welt in Echtzeit dabei zusehen, stoppen wird sie es nicht - aus Furcht vor einer weiteren Eskalation mit Russland, der Schutzmacht von Diktator Baschar al-Assad. Die Herrscher in Moskau und Damaskus fühlen sich zudem offenbar durch die Wahl Donald Trumps bestärkt, der im Wahlkampf für eine Wiederannäherung zwischen den USA und Russland geworben hatte.
In der vergangenen Woche haben Einheiten der syrischen Armee und der libanesischen Hisbollah-Miliz eine neue Offensive gegen den Teil Aleppos gestartet, der seit 2012 von Aufständischen kontrolliert wird. Unterstützt werden sie durch Bombenangriffe der syrischen und russischen Luftwaffe.
Assad vor größtem militärischen Erfolg seit 2012
Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet unter Berufung auf Augenzeugen, dass seit Beginn der neuen Angriffe mindestens 141 Zivilisten durch Luft- und Artillerieangriffe im Osten Aleppos getötet wurden, unter ihnen seien 18 Kinder. Hunderte Menschen seien verletzt worden. Im Westen der Stadt, der unter der Kontrolle des Regimes steht, seien 16 Zivilisten durch Beschuss der Rebellen getötet worden. Am Sonntag wurden acht Kinder getötet, als eine Granate in einer Schule in West-Aleppo einschlug.

Krieg in Syrien: Tödlicher Alltag in Aleppo
Seit Russland im September 2015 an der Seite des Assad-Regimes in den Syrienkrieg eingriff, versuchen Assads Truppen, Aleppo vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Es wäre der bislang wichtigste militärische Erfolg der Allianz Putin-Assad. Der Vormarsch verläuft schleppender als vom Kreml erwartet, aber inzwischen sind die Truppen des Regimes so weit in den Osten Aleppos vorgerückt wie nie zuvor seit 2012.
Am Montag eroberten sie den östlichen Teil des Stadtviertels Masaken Hanano. Von dort aus können sie niedriger gelegene Rebellenviertel unter Beschuss nehmen. Offenbar ist ein Ziel der Assad-Truppen, eine Schneise durch den von Aufständischen kontrollierten Kessel zu schlagen und das Rebellengebiet in zwei Teile zu trennen. Masaken Hanano ist nicht nur von strategischer, sondern auch von großer symbolischer Bedeutung, denn es war der erste Stadtteil, aus dem die Regierungstruppen 2012 vertrieben wurden.
Assad-Anhänger verhöhnen Helfer in Aleppo
Bereits am Sonntag hatte die Regierung in Damaskus einen von der Uno vorgelegten Waffenstillstandsplan abgelehnt. Der Entwurf sah vor, dass der Osten Aleppos übergangsweise unter Verwaltung der Opposition gestellt wird.
Die Retter der Hilfsorganisation Weißhelme sprechen von den bislang schwersten Angriffen auf Ost-Aleppo. Ärzte ohne Grenzen sieht das "Ende der Humanität" gekommen. Das syrische Regime reagiert mit blankem Zynismus: "Niemand in der Welt unternimmt größere Anstrengungen, um syrische Menschenleben zu retten, als die syrische Regierung", sagte der syrische Uno-Botschafter Baschar al-Jaafari in New York.
Unterstützer des Assad-Regimes machen sich in den sozialen Netzwerken über Meldungen lustig, dass in Aleppo "das letzte funktionstüchtige Krankenhaus" beschädigt worden sei - schließlich habe es in den vergangenen Monaten genau diese Meldung doch schon Dutzende Male gegeben. Was sie übersehen: Es ist den Rettern in Aleppo bislang jedes Mal gelungen, einzelne Krankenstationen notdürftig wieder in Betrieb zu nehmen. Von Krankenhäusern, wie man sie aus Europa kennt, konnte ohnehin nicht die Rede sein: Die meisten Feldlazarette waren improvisierte Krankenstationen, die in umgebauten Wohnungen, Geschäften und Kellern entstanden.
Im Video: Drohnenflug durch den zerstörten Ostteil von Aleppo
"Das ist nicht Business as usual", sagte der Uno-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien. "Das ist nicht einfach nur ein Wiederaufflammen der Gewalt in Aleppo. Das ist ein unerbittlicher, unmenschlicher Angriff. Wir alle sollten uns dafür schämen, dass wir die Vernichtung Ost-Aleppos und seiner Menschen nicht stoppen."
O'Brien machte ausdrücklich "alle Konfliktparteien" für das Leid der Zivilisten in Aleppo verantwortlich. Offenbar bezog er sich dabei nicht nur darauf, dass die Rebellen den Westteil der Stadt mit Granaten beschießen, sondern auch darauf, dass die Aufständischen einen von Russland und Syrien vorgelegten Plan zur Evakuierung von Ost-Aleppo mehrfach ablehnten.
Trotz aller Beteuerungen des Regimes: Niemand, der den von Aufständischen kontrollierten Teil der Stadt verlässt, kann sicher sein, dass die Regierung sich an ihre Versprechen hält und freies Geleit gewährt. Hunderte Zivilisten, die sich den Behörden in den vergangenen Jahren gestellt haben, sind verschwunden. Bislang hat auch niemand einen Plan vorgelegt, wo die rund 250.000 Menschen aus Ost-Aleppo im Falle einer Evakuierung Schutz finden sollten.
Zusammengefasst: Seit einer Woche fliegen Russland und Syrien neue Angriffe auf Aleppo. Dabei wurden bislang mehr als 140 Menschen getötet. Uno-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien spricht von einem "unerbittlichen, unmenschlichen Angriff" und der "Vernichtung Ost-Aleppos und seiner Menschen". Die sogenannte internationale Gemeinschaft lässt Baschar al-Assad und Wladimir Putin trotzdem gewähren. Europa fürchtet eine weitere Eskalation des Konflikts mit Russland. Und die USA warten auf die Amtseinführung Donald Trumps, der für eine Annäherung an Moskau geworben hat.