Strategie gegen den Bürgerkrieg
"Obamas Nachfolger werden entschiedener in Syrien intervenieren"
Wie kann der grausame Krieg in Syrien beendet werden? US-Sicherheitsexperte Anthony Cordesman wagt einen Ausblick - und formuliert einen Wunsch an Deutschland.
Russland und Iran stützen das Assad-Regime und scheinen fest entschlossen, den Diktator vor dem Untergang zu bewahren. Die USA und Europa scheinen die Achse Moskau-Teheran-Damaskus gewähren zu lassen. Die Strategie des Westens wirkt konfus.
Anthony Cordesman, früherer Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums und Experte für globale Sicherheit, erklärt im Interview, was die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten tun können, um den Krieg in Syrien zu beenden. An ein schnelles Ende des Konflikts glaubt er nicht. Der nächste US-Präsident oder die nächste US-Präsidentin werde sich aber Russland entschiedener entgegenstellen, prophezeit der 77-Jährige.
Zur Person
Foto: Center for Strategic and International Studies
Anthony Cordesman, 77, ist Vorstand des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. Der Verteidigungsexperte war zuvor langjähriger Berater im US-Außenministerium und im Pentagon. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich Cordesman seit Jahrzehnten mit den Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten.
SPIEGEL ONLINE: Mr. Cordesman, fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien, Hunderttausende Menschen sind tot, Millionen auf der Flucht, der "Islamische Staat" hat eine Terrorherrschaft in Teilen des Landes errichtet. Welche Antwort hat der Westen, haben die USA auf all das?
Cordesman: Die US-Politik wartet ab: Abwarten in der Hoffnung, dass Russland einen Kompromiss eingeht; abwarten mit Blick auf die Entwicklung der Kampfhandlungen; abwarten, was passiert, wenn es den Kurden gelänge, den IS aus dessen Hauptstadt Rakka zu vertreiben; abwarten, ob es möglich ist, den IS aus dem Irak zu werfen. Es ist also nicht klar, ob die USA eine eindeutige Politik für die Zukunft haben.
SPIEGEL ONLINE: Sollten die USA in einer solchen Lage nicht den Frieden in Syrien zu einer ihrer größten außenpolitischen Prioritäten machen? Denken Sie an die Flüchtlingskrise und den weltweiten Terrorismus, die beide auch in Syrien ihre Ursache haben.
Cordesman: Die Vereinigten Staaten dürfen sich nie nur auf ein einziges Land konzentrieren. Sie haben ebenfalls strategische Prioritäten in Afghanistan, am Golf, in Tunesien, Ägypten und Libyen. Und: Wir mögen Stabilität wollen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass wir auch Stabilität bekommen. Natürlich gibt es klare Sicherheitsinteressen in Syrien, aber es gibt eben keine Regierung: Man kann nicht mit dem Assad-Regime zusammenarbeiten, man kann den Syrern nicht die Regierungsbildung abnehmen, und die Syrer waren bisher eben nicht in der Lage, irgendetwas Sinnvolles in dieser Richtung zu erreichen. Frieden in Syrien - das ist eine Aufgabe in Nation Building, auf die niemand in der internationalen Gemeinschaft vorbereitet ist.
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SPIEGEL ONLINE: Ziemlich düstere Bestandsaufnahme. Gibt es denn keinen Hoffnungsschimmer?
Cordesman: Es wird kein rasches, dauerhaftes Ende des Bürgerkriegs in Syrien geben. Die Leute denken immer, dass alle Kriege irgendwie ausklingen. Das tun sie nicht. Es mischen so viele Kräfte und Mächte in Syrien mit, da gibt es keine simple Bewegung in Richtung Stabilität. Nicht jede Geschichte hat ein Happy End, und einige Geschichten haben gar kein Ende, sie wandeln sich nur ganz langsam mit der Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Was kann die internationale Gemeinschaft tun?
Cordesman: Es ist gemeinhin eine Garantie fürs Scheitern, wenn man eine internationale Gemeinschaft ohne exakte Adresse anruft. Was ich damit sagen will: Man muss das konkretisieren. So gibt es bestimmte Dinge, die etwa die EU tun kann. Es gibt Dinge, die einzelne Länder wie Deutschland bereits gemacht haben: Schutz und Hilfe für Flüchtlinge. Humanitäre Hilfe allein bringt noch keinen Frieden oder Stabilität, aber sie bringt Menschen Hoffnung. Angebote machbarer ökonomischer Alternativen, Vorschläge für politische Lösungen, Stabilitätshilfen für die Länder rund um Syrien und den Irak - das sind alles Dinge, die andere Länder tun können. Selbst der kleinste Beitrag kann da den Unterschied machen.
SPIEGEL ONLINE: Wo sehen Sie in diesem Szenario die künftige Rolle der USA?
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Cordesman: Die USA sind bereits der wichtigste Geldgeber in Sachen humanitärer Hilfe. Und Amerika macht militärisch, was es kann. Die neue Präsidentin oder der neue Präsident werden sicherlich entschiedener in Syrien intervenieren - nicht im Sinne von US-Divisionen, aber möglicherweise mit Blick auf die Ausbildung der Rebellen für den Kampf gegen Assad und im Sinne von mehr Gegenwind für die Russen. Man darf Russland nur nicht zu hart anfassen. Die Ereignisse in der Ukraine zeigen ja, dass wir es mit einem ganz anderen Land zu tun haben, als sich viele einst erhofften. Das ist auch der Punkt, an dem US-Unterstützung für Europa entscheidend ist. Ich sage bewusst: Unterstützung. Amerika sollte Europa unterstützen, nicht ersetzen.
SPIEGEL ONLINE: Was heißt das konkret?
Cordesman: Früher oder später werden sich Länder wie Deutschland entscheiden müssen, ob sie bereit sind für ernsthafte, gemeinsame Verantwortung. Andernfalls wird sich die Lage verschlechtern. Nicht unbedingt in Syrien, aber Syrien könnte die ohnehin prekäre Beziehung mit Russland weiter belasten.
SPIEGEL ONLINE: Haben die USA eine besondere Verantwortung für Syrien, bedenkt man die lange Geschichte von US-Interventionen in der Region?
Cordesman: Noch einmal, wir sind der größte Geldgeber, wir führen die Anti-IS-Koalition in der Luft an, wir haben maßgebliche Kräfte am Boden. Von daher ist es schon ein bisschen schräg, wenn Leute meinen, wir würden nicht handeln.
SPIEGEL ONLINE: Die USA haben die Region durch ihren Irak-Krieg destabilisiert.
Cordesman: Wir haben Fehler im Irak gemacht, aber wir hatten nichts zu tun mit dem Krieg zwischen dem Irak und Iran in den Achtzigerjahren. Wir hatten auch nichts zu tun mit den politischen Umbrüchen im Jahr 2011. Seit langer Zeit wird von Korruption, Misswirtschaft und massivem Bevölkerungswachstum im arabischen Raum berichtet, die Instabilität in der Region zur Folge haben würden. All das existiert noch immer, und es hat nichts zu tun mit den USA. Als Superpower wird man für alles verantwortlich gemacht - leider geben einem diese Vorwürfe aber nicht die Macht, auf der ganzen Welt den Lauf der Geschichte zu beeinflussen.
So fing es an: Vor fünf Jahren kam es in mehreren syrischen Städten zu Massenprotesten gegen Präsident Baschar al-Assad. Das Foto zeigt eine Demonstration am 29. Juli 2011 in Hama. Die Protestbewegung wurde brutal niedergeschlagen. Manche Assad-Gegner fingen an, sich zu bewaffnen.
Foto: HO/ REUTERS
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Seit fünf Jahren setzt das syrische Regime die Luftwaffe gegen sein eigenes Volk ein. Tausende Menschen wurden bereits von den Trümmern ihrer Häuser erschlagen. Das Bild zeigt ein Mädchen, das aus einem Haus geborgen wurde, in das Artilleriegeschosse einschlugen. Das Foto entstand am 16. Juni 2015 in Duma, einem Vorort von Damaskus, der als Hochburg der Proteste galt. Die Aufnahme stammt von Bassam Khabieh, einem Fotografen der Nachrichtenagentur Reuters.
Foto: BASSAM KHABIEH/ REUTERS
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Der Mann auf der Straße, ein Zivilist, wird von den Kugeln eines regimetreuen Heckenschützen getroffen. Syrische Rebellen versuchen unter Einsatz ihres Lebens, ihn in Sicherheit zu ziehen. Innerhalb der nächsten drei Stunden werden auf dieser Straße drei Bürger erschossen. Zivilisten sind die Hauptleidtragenden des Konfliktes. Das Foto hat der mexikanische Journalist Javier Manzano am 20. Oktober 2012 in Aleppo gemacht.
Foto: Javier Manzano/ AFP
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Aleppo versinkt im Dreck. Im Krieg ist die öffentliche Müllabfuhr zusammengebrochen. Das Foto stammt vom 10. November 2012 und wurde von der spanischen Journalistin Monica G. Prieto aufgenommen. Seit Sommer 2012 ist Aleppo, die einst größte Stadt Syriens, umkämpft.
Foto: Mónica G. Prieto/ AP
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So sieht eine Stadt aus, die das syrische Regime zurückeroberte: Homs liegt zu großen Teilen in Trümmern. Nur wenige Menschen konnten oder wollten in ihr Zuhause zurückkehren.
Foto: STRINGER/ REUTERS
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Ab 2013 kommen ausländische Dschihadisten nach Syrien. Ein Jahr später tut sich eine dritte Front auf: Der "Islamische Staat" (IS) nistet sich in Teilen des Landes ein. Das Foto zeigt eine Parade der IS-Anhänger am 30. Juni 2014 durch die syrische Stadt Rakka. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss, hat die Aufnahme gemacht.
Eine schwere Explosion erschüttert Kobane (Arabisch: Ain al-Arab). Die verschlafene Grenzstadt, die kaum ein Syrer kannte, wird 2014 zum internationalen Symbol im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Mithilfe massiver US-Luftangriffe gelingt es den syrisch-kurdischen Kämpfern, die Dschihadisten aus Kobane zurückzudrängen. Doch große Teile der Stadt sind danach zerstört.
Foto: Getty Images
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Ein Kämpfer des syrischen Ablegers der türkisch-kurdischen PKK trägt ein verwundetes Kind. Es soll nahe der türkischen Grenze auf eine alte Mine getreten sein. In den Fünfzigerjahren hatte das türkische Militär dort Landminen verlegt, um illegale Grenzübertritte zu verhindern. Das Foto hat Rodi Said von der Nachrichtenagentur Reuters am 16. Juni 2015 aufgenommen.
Syrer aus der Stadt Ras al-Ain kehren in ihre Häuser zurück, nachdem der syrische Ableger der PKK die Stadt vom "Islamischen Staat" erobert hat. Gleichzeitig fliehen andere Syrer aus der Stadt, weil sie befürchten, die kurdische Miliz könnte sie pauschal für IS-Anhänger halten und bestrafen, nur weil sie nicht geflohen waren, als der IS einrückte. Das Foto hat der Reuters-Fotograf Rodi Said am 13. Mai 2015 aufgenommen.
Eine Wiege bleibt zurück in der Wüste nahe der türkisch-syrischen Grenze. Seit fünf Jahren dauert der Exodus aus Syrien an - und er wird immer dramatischer: Inzwischen ist die Hälfte der einst 22 Millionen Syrer innerhalb und außerhalb des Landes auf der Flucht.
Ein Junge spaziert an einer Barrikade aus Bussen vorbei. Nur so ist er vor den regimetreuen Heckenschützen sicher. Das Foto wurde am 14. März 2015 in dem von Rebellen kontrollierten Teil Aleppos vom Fotografen Karam al-Masri gemacht.
Foto: KARAM AL-MASRI/ AFP
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Inzwischen wird es für die Syrer immer schwieriger, aus ihrem Land zu flüchten. Außer dem Irak haben alle Nachbarstaaten ihre Grenzen nahezu geschlossen. Das Foto zeigt Syrer, die versuchen, den Grenzzaun zur Türkei zu überwinden. Es wurde am 14. Juni 2015 von der türkischen Seite der Grenze aufgenommen.
Foto: DPA
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Derweil geht das Leben und Sterben in Syrien weiter. Das Bild hat der Fotograf Bassam Khabieh am 13. Dezember 2015 in einer Behelfsklinik in Duma aufgenommen, einem Vorort von Damaskus. Zuvor gab es Luftangriffe des syrischen Regimes.