Enteignung von Hausbesitzern in Syrien Assad will Flüchtlinge aussperren

Straßenszene in Ost-Ghuta bei Damaskus
Foto: ALI HASHISHO/ REUTERSAm 2. April veröffentlicht die staatliche syrische Nachrichtenagentur ein Dekret des Präsidenten Baschar al-Assad . Zunächst nimmt kaum jemand davon Notiz, erst nach einigen Tagen erkennen Juristen die Tragweite des "Dekrets 10".
Der Erlass hat das Potenzial, "die Verhältnisse vor Ort grundlegend zugunsten des Regimes und seiner Unterstützer zu verändern und die Rückkehr einer gewaltigen Zahl von Syrern zu erschweren", konstatiert inzwischen auch das Auswärtige Amt in Berlin.
Darum geht es: Das "Dekret 10" gibt der syrischen Regierung das Recht, Bebauungspläne für zerstörte Gebiete zu erstellen. Die Lokalverwaltung muss dafür innerhalb von 45 Tagen eine Liste der Grundbesitzer in den betroffenen Gebieten aufstellen. Die Besitzer haben dann 30 Tage Zeit, ihre Eigentumsrechte nachzuweisen und zu bestätigen. Tun sie das nicht, fällt der Besitz an den Staat.
Das Dekret könnte Millionen Syrer enteignen: 6,6 Millionen Syrer sind innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht, 5,6 Millionen haben in Nachbarländern Zuflucht vor dem Bürgerkrieg gefunden. Auch wenn die Betroffenen Verwandte schicken können, um ihre Besitzansprüche geltend zu machen, wird der Großteil von ihnen kaum Kontakt zu einem Staatsapparat suchen, vor dem sie geflüchtet sind. Zehntausende Geflüchtete werden von der Justiz per Haftbefehl gesucht, weil sie an Demonstrationen teilnahmen oder anders ihren Protest gegen das Regime äußerten.
"Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln"
Zudem können nur die wenigsten Flüchtlinge ihre Ansprüche überhaupt nachweisen. Laut einer Studie des Uno-Flüchtlingshilfswerks sind nur neun Prozent der Binnenflüchtlinge in Syrien im Besitz von Eigentumsdokumenten. Unter den Syrern im Ausland sind es laut einer zweiten Studie des Norwegischen Flüchtlingsrats rund 17 Prozent. Und in vielen weiteren Fällen gibt es schlicht gar keine Nachweise über Eigentum, weil die Häuser in sogenannten informellen Siedlungen standen, die in den vergangenen Jahrzehnten erbaut wurden, ohne offiziell registriert zu werden.

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Das Gesetz hat also gravierende Folgen - auch für die syrischen Flüchtlinge in Deutschland. "Assads Dekret ist die Fortsetzung seines Krieges gegen die eigene Bevölkerung mit anderen Mitteln", sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, dem SPIEGEL. "Es macht den Weg zu einer Befriedung des Landes nahezu unpassierbar, denn die Menschen haben keinen Ort mehr, an den sie zurückkehren können, selbst wenn sie es wollten."
Genau das ist offenbar das Ziel des Dekrets. Die Menschen, die aus den einstigen Rebellenhochburgen in Aleppo, Homs oder Ost-Ghuta bei Damaskus vertrieben wurden, sollen auch gar nicht mehr zurückkehren. Stattdessen sollen die strategisch wichtigen Gebiete in den Bevölkerungszentren mit Syrern besiedelt werden, die dem Regime gegenüber loyal eingestellt sind.

Syrische Oppositionelle vergleichen das Dekret mit dem israelischen Abwesenheitsgesetz, das die Enteignung von Arabern erlaubte, die im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948 aus ihrer Heimat flüchteten. Ähnlich wie dieses Gesetz seit fast sieben Jahrzehnten die Rückkehr von geflüchteten Arabern nach Israel verhindert, werde es bald auch den Syrern ergehen, prophezeien sie.
Das ist besonders für Deutschland ein Problem. Denn es senkt die Aussichten, dass die Hunderttausenden syrischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehren können. Entsprechend alarmiert ist die Bundesregierung. Ein solches zynisches Ansinnen müsste verhindert werden, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. "Der Uno-Sicherheitsrat müsste sich dieses Themas annehmen."
Hilfe beim Wiederaufbau nur gegen Zugeständnisse
Doch dort dürfte Russland als Verbündeter des syrischen Regimes mit einem Veto verhindern, dass Assads Dekret verurteilt wird. Tatsächlich steht das Dekret schon jetzt im Widerspruch zur Uno-Resolution 2254 vom Dezember 2015, in der betont wird, dass die Voraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge geschaffen werden müssten. Konsequenzen: Fehlanzeige.
Der Wiederaufbau Syriens galt lange als der letzte Hebel, mit dem der Westen möglicherweise noch Einfluss auf die Entwicklungen im Bürgerkriegsland leben könnte. Denn die Rekonstruktion der zerstörten Städte und Dörfer wird weder Syriens Regime noch seine Verbündeten Russland und Iran im Alleingang stemmen können. Die Hoffnung in der EU war daher, Assad im Gegenzug für Finanzhilfen beim Wiederaufbau doch noch zu Zugeständnissen bewegen zu können. Nun schafft der Diktator Tatsachen, bevor überhaupt an Wiederaufbau zu denken ist.
Der Grüne Nouripour fordert daher: "Deutschland muss Russland und Iran klarmachen: Europa wird den Wiederaufbau Syriens unter diesen Bedingungen nicht mitfinanzieren."