Uno-Hilfskonvoi in Syrien
Wer hat geschossen? Russland oder die USA?
Die USA machen Russland für den Angriff auf den Uno-Hilfskonvoi in Syrien verantwortlich, liefern aber keine Beweise. Moskau weist alle Schuld von sich - und präsentiert ständig neue Versionen des Tathergangs.
Es war ein denkwürdiger Schlagabtausch im Uno-Sicherheitsrat. Die Außenminister der USA und Russlands, John Kerry und Sergej Lawrow, machten sich am Mittwoch vor laufenden Kameras gegenseitig für das Scheitern der Waffenruhe in Syrien verantwortlich.
Kerry, der direkt nach Lawrow das Wort ergriff, wollte davon nichts wissen. "Ich habe meinem Kollegen aus Russland zugehört und fühlte mich hier ein bisschen wie in einem Paralleluniversum", sagte der US-Außenminister.
Er forderte Moskau auf, die Verantwortung für den Angriff vom Montag zu übernehmen. "Das hier ist ein Moment der Wahrheit für Präsident Putin und für Russland."
Bislang haben die USA keine Beweise dafür vorgelegt, dass die russische Armee oder das syrische Militär für den Angriff verantwortlich sind.
Und der Kreml hat seine Version gleich mehrfach verändert. Diverse Erklärungen zum Beschuss des Konvois sind inzwischen widerlegt worden. Die Beispiele:
Am Dienstag bestritt Generalmajor Igor Konaschenkow, dass die Lastwagen überhaupt beschossen wurden. "Wir haben Videoaufzeichnungen geprüft und keine Anzeichen festgestellt, dass die Wagenkolonne von Munition - welcher Art auch immer - getroffen wurde. Zu sehen sind keine Bombentrichter, die Wagen weisen keine Schäden durch eine Druckwelle auf", behauptete der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow. "Alles, was wir im Video gesehen haben, ist eine direkte Folge eines Brands"
In den Videos und Fotos, die von den Ersthelfern der Syrischen Weißhelme, Aktivisten des oppositionellen Aleppo Media Center und von AFP-Fotojournalisten am Tatort gemacht wurden, sind aber sehr wohl Schäden an Fahrzeugen und Paketen zu erkennen, die offensichtlich von Bomben- oder Granatsplittern herrühren.
Schäden durch Splitter an Konvoi-Fahrzeug
Foto: Syria Civil Defense/ dpa
Schäden durch Splitter an Medikamentenbox
Foto: AMMAR ABDULLAH/ REUTERS
Außerdem sind in Videos, die Helfer der Weißhelme kurz nach dem Angriff am Tatort gemacht haben, die Geräusche von Jets deutlich zu hören und Krater zu sehen.
Außenminister Lawrow selbst revidierte die Darstellung des Verteidigungsministeriums. Vor dem Uno-Sicherheitsrat sagte er am Mittwoch, der Konvoi könnte mit Raketen oder Artillerie beschossen worden sein, außerdem erwähnte er Helikopter und Kampfjets als mögliche Verursacher.
Eine russische Überwachungsdrohne filmte den Konvoi aus der Luft. Sprecher Konaschenkow behauptete am Dienstag, die Lastwagen hätten ihr Ziel um 13.40 Uhr erreicht, und anschließend habe die russische Seite aufgehört, den Konvoi zu beobachten.
Das ist nachweislich falsch: Der russische Staatssender RT veröffentlichte die Aufnahmen einer russischen Überwachungsdrohne auf YouTube. Die Bilder zeigen den Konvoi genau an der Stelle, an der die Fahrzeuge später angegriffen wurden. Laut den Metadaten des Videos wurden diese Aufnahmen zwischen 16.25 Uhr und 18.50 Ortszeit gemacht. Der russische Blogger Ruslan Lewijew geht nach einer Analyse des Schattenwurfes davon aus, dass die Drohnenaufnahmen nach 17 Uhr entstanden. (Hier ist das Video, der Konvois ist nach ungefähr 57 Minuten am späteren Tatort zu sehen)
Der Angriff auf den Konvoi fand zwischen 19 Uhr und 19.30 Uhr Ortszeit statt. Zwei bis drei Stunden vorher beobachteten russische Drohnen also die Lastwagen am späteren Tatort. Damit ist auch die Behauptung des Kreml widerlegt, dass "die Bewegungen des Konvois nur den Milizionären in dem Gebiet bekannt waren."
Am Dienstagabend veröffentlichte das russische Verteidigungsministerium ein zweites Drohnenvideo. Die nur 36 Sekunden langen Aufnahmen sollen belegen, dass "Terroristen einen Pick-up-Truck mit einem Granatwerfer im Schutze des Konvois bewegten." Was die Bilder tatsächlich zeigen: Die Lastwagen stehen am Rand der Landstraße 60, das Fahrzeug mit dem Granatwerfer fährt an ihnen vorbei und bleibt dann auf Höhe eines Hilfstrucks stehen. Was anschließend passiert, zeigt das Verteidigungsministerium nicht mehr.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme befindet sich der Konvoi in der Ortschaft Khan al-Asal, mehr als sechs Kilometer vom späteren Tatort entfernt. Blogger Lewijew datiert das Video auf Grund des Schattenwurfes auf spätestens 14 Uhr. Die Aufnahmen des Granatwerfers entstanden demnach mindestens fünf Stunden vor dem Angriff, mehrere Kilometer vom Angriffsort entfernt.
Unklar ist, was Moskau mit der Veröffentlichung dieses kurzen Videos bezwecken möchte. Es entsteht der Eindruck, dass Russland mit der Anwesenheit eines Granatwerfers den Beschuss des Konvois rechtfertigen will, von dem das Verteidigungsministerium zuvor behauptete, dass er gar nicht stattgefunden habe. Bislang deutet jedenfalls nichts darauf hin, dass sich der Granatwerfer zum Zeitpunkt des Angriffs in der Nähe des Konvois befand.
Am Mittwochabend präsentierte der Kreml dann nochmal eine neue Version. Generalmajor Konaschenkow, der einen Tag zuvor noch bestritten hatte, dass es überhaupt einen Luftangriff gegeben hatte, behauptete nun, ein unbemanntes Flugzeug der US-geführten Koalition habe sich zum Tatzeitpunkt in der Nähe aufgehalten. Eine Kampfdrohne vom Typ Predator sei vom Stützpunkt Incirlik in der Türkei aufgestiegen und in einer Höhe von 3600 Metern über dem nordsyrischen Bezirk Urum al-Kubra geflogen. Etwa eine halbe Stunde nach dem Angriff auf den Konvoi habe sie das Gebiet wieder verlassen.
Das Pentagon dementierte die Darstellung des russischen Militärs umgehend: "Weder ein bemanntes noch ein unbemanntes Flugzeug der USA oder der Koalition war in der Nähe von Aleppo."
11 BilderSyrien: Heimtückischer Angriff auf Hilfskonvoi
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Qualm steigt am Morgen nach dem Angriff aus einem der angegriffenen Lastwagen. Am Montagabend wurde der Uno-Hilfskonvoi in Urum al-Kubra bombardiert.
Foto: AMMAR ABDULLAH/ REUTERS
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18 der 31 Lastwagen wurden zerstört.
Foto: AMMAR ABDULLAH/ REUTERS
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Die Trucks hatten Nahrung, Wasser und Medikamente für die 78.000 Menschen in der von Aufständischen kontrollierten Kleinstadt Urum al-Kubra geladen.
Foto: OMAR HAJ KADOUR/ AFP
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Mehrere Geschosse schlugen im Osten der Stadt ein. Kurz zuvor hatte eine russische Drohne die Lastwagen dort gefilmt.
Foto: OMAR HAJ KADOUR/ AFP
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Mindestens 20 Helfer wurden bei dem Angriff getötet: Unter ihnen Omar Barakat, der lokale Chef des Roten Halbmondes.
Foto: AP/ Aleppo 24 news
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Die Hilfslieferung ist nach dem Luftschlag unbrauchbar geworden, Zehntausende Menschen in Urum al-Kubra warten nun weiter auf dringend benötigte Hilfe.
Foto: OMAR HAJ KADOUR/ AFP
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Der Angriff traf nicht nur die Lastwagen sondern auch ein Lagerhaus, in dem Hilfsgüter aufbewahrt wurden.
Foto: OMAR HAJ KADOUR/ AFP
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Als Konsequenz haben Uno und Roter Halbmond sämtliche Hilfslieferungen in Syrien gestoppt.
Foto: OMAR HAJ KADOUR/ AFP
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Mit den Angriffen auf die Helfer wollen Diktator Baschar al-Assad und seine Helfer das Leben in Syrien unerträglich machen.
Foto: OMAR HAJ KADOUR/ AFP
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Der Kreml hat eine Untersuchung des Vorfalls angekündigt.
Foto: AP/ Aleppo 24 news
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In den vergangenen Monaten haben syrische und russische Luftwaffe mehrfach gezielt zivile Einrichtungen bombardiert.