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Fotostrecke: Rakka und die Islamisten

Foto: STRINGER/ REUTERS

Provinz Rakka Syrer wehren sich gegen radikale Rebellen

Radikale in Syrien wollen die Macht an sich reißen. Mit Brutalität und Terror versuchen sie, die Bevölkerung einzuschüchtern. Doch die denkt nicht daran, sich von den Islamisten die Zukunft diktieren zu lassen.

Berlin - Die neuen starken Männer haben es sich bequem gemacht. Die einstige Residenz des Gouverneurs der Provinz Rakka ist nun ihr Hauptquartier - ein Palast mit Whirlpool, Sauna, Kristallleuchter und viel Marmor. So beschreibt es  ein spanischer Journalist, der die Salafisten-Kämpfer der "Syrischen Islamischen Front" dort besuchte.

Rakka ist die erste Provinzhauptstadt, die vollständig unter Kontrolle der Opposition steht. Die konservativsten und radikalsten Gruppen unter den Rebellen waren bei der Eroberung der Stadt im März dabei. Während das syrische Regime im Westen des Landes seine Macht konsolidiert, experimentiert Rakka im Nordosten Syriens mit der Zeit nach Assad. Dabei tun sich neue Konflikte auf.

In Rakka gibt es noch keine Rebellengruppe, die klar dominiert, berichten auch Journalisten des "Economist"  und "Telegraph" , die die Stadt besucht haben. Neben den Männern der "Syrischen Islamischen Front" in der Gouverneur-Residenz patrouillieren in der Stadt auch die moderat-islamistische Farouk-Miliz und die mit al-Qaida-verbündete Nusra-Front.

Zwischen den verschiedenen Gruppen kommt es immer wieder zu Zusammenstößen. Aber auch mit der örtlichen Bevölkerung sind die Nusra-Kämpfer schon aneinandergeraten.

Streit mit der Nusra-Front

Anders als viele Milizen, die sich der "Freien Syrischen Armee" zuordnen, stammen die Nusra-Rebellen nicht aus den Gebieten, in denen sie kämpfen. Viele sind nicht einmal Syrer.

Umso größer sind oftmals die Differenzen zwischen Radikalen und den Einheimischen. Doch die Nusra-Rebellen scheinen nicht davor zurückzuschrecken, ihre Vorstellungen von Recht und Ordnung auch gegen Widerstände durchzusetzen - im Zweifelsfall mit Einschüchterungsversuchen.

Einer der dramatischsten Fälle in Rakka traf die Rifaei-Familie. Mitten in der Nacht kamen zehn bewaffnete Männer mit Gesichtsmasken zu ihnen nach Hause und verhafteten die jungen Schwestern Nour, Nagham, ihre Freundin Yusra und einen ihrer Cousins, berichtet der "Telegraph" .

"Sie sagten uns: 'Zieht mehr Kleidung an, setzt ein Kopftuch auf'", erzählt die 19-jährige Nagham al-Rifaei. Die jungen Frauen wurden abgeführt, verhört und vor ein Gericht gestellt. Es war 1 Uhr morgens. Erneut drängten die Radikalen, die junge Frau vor dem Gericht ein Kopftuch aufzusetzen. Sie weigerte sich und erschien so vor den zwei Richtern.

Der Richter las die Anklage vor: "Es heißt, ihr wart allein mit einem Mann zusammen, was sagt ihr dazu?" Gemeint war ihr Cousin. Nagham al-Rifaei antwortete: "Meine Antwort ist, dass das niemanden etwas angeht." Der Richter stimmte ihr zu, und die jungen Frauen wurden freigelassen.

Rakkas Bevölkerung protestiert gegen die Radikalen

Noch in der Nacht des Prozess formierte sich in Rakka die erste Demonstration gegen die Verhaftung der Rifaei-Frauen.

"Es gibt eine beeindruckende Zivilgesellschaftsbewegung in Rakka", sagt Lama Fakih SPIEGEL ONLINE. Sie war für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im April in der Stadt und hat dort die verlassenen Folterzentren des Assad-Regimes besucht .

Schätzungsweise ein paar Dutzend Gruppen hätten sich bereits gebildet, als eine der größten "Haquna", übersetzt: "unser Recht". Die Gruppe organisierte bereits mehrmals Demonstrationen gegen die Nusra-Radikalen, zuletzt unter dem Slogan "Rakka ist frei, raus mit der Nusra-Front!", wie die Journalistin des "Economist" berichtete .

"Eine gut ausgebildete, liberale Bewegung setzt sich dafür ein, eine neue Führung zu entwickeln - einen gewählten Stadtrat", sagt Lama Fakih. Auch werde darüber diskutiert, welche Gesetze zukünftig gelten sollen - islamische, wie von der Arabischen Liga kodifiziert, oder syrische, die der neu gewählte Stadtrat zu verabschieden habe.

Die Bewohner von Rakka bauen an ihrer Zukunft mitten im Krieg. Noch immer schlagen regelmäßig Artilleriegeschosse und Raketen des Assad-Militärs ein, berichtet Fakih. Viele haben ihre Arbeit verloren. Die humanitäre Hilfe der internationalen Organisationen kommt hier nicht an. Ein Großteil der Lieferungen geht an Gebiete, die vom Regime kontrolliert werden. Vier Frühgeburten starben im Krankenhaus von Rakka, weil der Generator kaputtging und damit die Sauerstoffpumpe ausfiel, erzählt Fakih. Den Ärzten fehlen die Mittel, um den Generator reparieren zu lassen.

In Aleppo haben Radikale einen 15-Jährigen hingerichtet

Die Provinz Rakka ist die einzige, die komplett in Rebellenhand ist. Doch in weiten Teilen der anderen Provinzen im Nordosten sieht es ähnlich aus, auch wenn das Regime dort noch einzelne Stützpunkte hält.

Am Boden ist kaum etwas vom syrischen Regime bemerkbar, außer den Einschlägen der Luftwaffe, die immer wieder Zivilisten töten. Das Ringen darum, wer im Syrien nach Assad das Sagen hat, ist längst entbrannt. Dabei greifen einzelne Rebellenmilizen offenbar zu immer drastischeren Mitteln: Wo ihnen die Unterstützung fehlt, versuchen sie, sich mit Terror durchzusetzen.

Einer der schockierendsten Übergriffe soll sich am Wochenende in einem von Rebellen kontrollierten Stadtteil von Aleppo ereignet haben. Ein 15-Jähriger wurde dort hingerichtet, berichtete die Aktivistengruppe "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" mit Sitz in London, die als recht zuverlässig gilt. Sie verbreitete Bilder des Getöteten.

Vor den Augen seiner Eltern und Geschwister soll der Junge, Mohammed Kattaa, von radikalislamistischen Rebellen einmal in den Mund und einmal ins Genick geschossen worden sein, so der Bericht. Sein Vergehen: angebliche Blasphemie. Er soll den Namen des Propheten Mohammed ohne den nötigen Respekt verwendet haben.

Mohammed Katta verkaufte Kaffee, als ein anderer Junge ihn fragte, ob er einen umsonst bekommen könne. Katta soll geantwortet haben: "Selbst wenn Mohammed persönlich herkommt, werde ich ihn nicht anschreiben lassen."

Kämpfer einer nicht näher genannten radikalen Gruppe verurteilten ihn daraufhin zum Tod. Genauere Angaben über die Täter macht der Bericht der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte nicht. Sie berichtet nur, die Männer hätten Hocharabisch gesprochen, nicht den syrischen Dialekt. Der implizite Vorwurf: Es seien ausländische Radikale gewesen.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die von einem langjährigen Assad-Kritiker gegründet wurde, nannte die Hinrichtung ein "Verbrechen". Man arbeite nun daran, mit Hilfe von Aktivisten vor Ort die Täter zu identifizieren.

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