Trumps Syrien-Vorstoß Garantie für endlosen Unfrieden

Donald Trump will die US-Truppen aus Syrien abziehen - und damit die Türkei in den Nordosten des Bürgerkriegslands einmarschieren lassen. Dieser Schritt ist ein Verrat an den Kurden und stärkt Iran.
Gepanzerter US-Truck und kurdische Demonstranten nahe der syrischen Grenze

Gepanzerter US-Truck und kurdische Demonstranten nahe der syrischen Grenze

Foto: Delil SOULEIMAN / AFP

Die Mitteilung aus dem Weißen Haus klang so lapidar, als habe man mit der ganzen Sache nicht wirklich etwas zu tun: "Die Türkei wird bald mit ihrem lang geplanten Einsatz in Nordsyrien voranschreiten", hieß es im Statement von Sonntag. Die amerikanischen Streitkräfte würden diese Operation "weder unterstützen noch darin involviert sein" und nach dem Sieg über das "Kalifat" des "Islamischen Staates" in dem "unmittelbaren Gebiet" nicht mehr länger präsent sein.

Was das konkret bedeutet? Bleibt unklar. Vermutlich wissen es nicht einmal die Befehlshaber der noch etwas 1000 US-Soldaten in Nordostsyrien, vielleicht wissen es nicht einmal US-Präsident Donald Trump und Mike Pompeo, sein mittlerweile dritter Außenminister.

Die USA bescheren Iran einen Etappensieg auf dem Silbertablett

Aber eines ist diese Mitteilung gewiss: eine Konkurserklärung amerikanischer Außenpolitik. Das hat vor allem drei Gründe:

  • Seit 2014 haben die USA die kurdisch geführte Miliz der "Syrian Democratic Forces" (SDF) massiv mit Waffen, Luftunterstützung und eigenen Special Forces unterstützt im Kampf gegen die Terrormiliz des IS. Nun waren die SDF in Führung und Struktur ein Ableger der einst in der Türkei entstandenen Separatistenorganisation PKK, war der neue Name nur ein anderes Label. Aber gekämpft haben sie, fast fünf Jahre lang, und das im Sommer 2014 weite Teile Ostsyriens beherrschende Terror-Kalifat im März 2019 schließlich besiegt. Diese Verbündeten nun lapidar einer türkischen Invasion zu überlassen, wird künftig jede politische Formation skeptischer sein lassen, was die Versprechungen der Schutzmacht der freien Welt angeht.
  • Syrien wird durch einen Einmarsch der türkischen Armee in die Kurdengebiete nicht friedlicher werden, im Gegenteil: Entweder werden heftige Gefechte zwischen der auf dem Papier mächtigen, im Einsatz aber oft unerfahrenen türkischen Armee und den kampfstarken kurdischen Einheiten entbrennen. Oder, wahrscheinlicher, die kurdische Führung wird sich mit Syriens Diktator Bashar al-Assad und dessen Schutzmacht Russland arrangieren. Assads Regime kann auch den Nordosten wieder einnehmen, dafür blockieren die Russen die türkische Invasion.
  • Trumps Vorstoß zeigt, dass seine Außenpolitik nicht nur amoralisch, sondern auch völlig widersprüchlich ist. Denn indirekter Gewinner eines amerikanischen Rückzugs aus dem flächen- und ölreichen Nordosten Syriens werden Irans Revolutionswächter sein, Assads treueste Verbündete und Washingtons größte Feinde.

Vor zwei Jahren brach Trump das mühsam ausgehandelte, von Teheran eingehaltene Nuklearabkommen in der Absicht, Iran zu einer Art von Kapitulation zu bewegen. Ein erneutes Wirtschaftsembargo, eine hochriskante militärische Eskalation waren die Folge, ein Absturz der iranischen Wirtschaft - und nun bekommen die Radikalen Erben Khomeinis einen Etappensieg auf dem Silbertablett serviert.

Für Trumps Innenpolitik muss der Rest der Welt herhalten

Die Essenz der lapidaren Sätze aus dem Weißen Haus: Es gibt nur noch Innenpolitik, für die auch der Rest der Welt herhalten muss. Trump steht unter Druck:

  • Der Skandal um seine Versuche, die ukrainische Regierung zur Einmischung in die US-Wahlen zu bewegen, hat unerwartete Schlagkraft entwickelt.
  • Den angekündigten Abzug aus Afghanistan hat er abgesagt.
  • Bleibt ein Abzug aus Syrien, um bei seiner Wählerschaft punkten zu können.

Egal, welche Folgen der für Syrien hat, für die Verbündeten und nicht zuletzt auch für den Kampf gegen den IS. Der hat zwar sein offen kontrolliertes Gebiet verloren. Aber dass so etwas nicht das Ende einer Terrorgruppe bedeutet, hat al-Qaida lange genug bewiesen.

Sind sie bald weg, droht ein brutaler Krieg: US-Soldaten im Nordosten Syriens

Sind sie bald weg, droht ein brutaler Krieg: US-Soldaten im Nordosten Syriens

Foto: US ARMY/ EPA-EFE/ REX

Erdogan will die Demografie Syriens verändern

Außerdem haben die SDF-Einheiten die IS-Angehörigen nicht flächendeckend massakriert, sondern Gefangene gemacht. Viele Gefangene. Etwa 10.000 Männer und 80.000 Frauen, Alte, Kinder. Die keiner haben will, auch nicht die Herkunftsländer der ausländischen IS-Kämpfer wie Frankreich und Deutschland. Die USA wollen sie auch nicht. Die Türkei solle sich um die kümmern. Was sie auch nicht tun wird.

Was nun genau im ruhigsten und - im Vergleich zu Assads Herrschaft - mit Abstand freiestem Gebiet Syriens geschehen wird, ist offen. Die türkische Armee hat Truppen und gepanzerte Fahrzeuge im Ort Akcakale zusammengezogen. Genau dort, wo die Türkei noch im Oktober 2014 gutnachbarschaftliche Beziehungen mit dem IS aufrecht erhielt und der Grenzübergang zum IS-Gebiet geöffnet blieb, während die kurdischen Bewohner von Kobane 60 Kilometer weiter westlich einen verzweifelten Kampf gegen die vorrückenden IS-Truppen führten. Dort hielt die Türkei die Grenze hermetisch verschlossen, erlaubte den USA nicht einmal die Benutzung ihres Luftwaffenstützpunktes im türkischen Incirlik, um die Kurden zu unterstützen.

Genau dort will der türkische Präsident Tayyip Erdogan nun seine Armee einmarschieren lassen: angeblich, um eine Dutzende Kilometer tiefe "Sicherheitszone" zu schaffen entlang der gesamten Grenze. Und, um syrischen Flüchtlingen die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.

Recep Tayyip Erdogan droht mit einer Offensive gegen die Kurden in Syrien

Recep Tayyip Erdogan droht mit einer Offensive gegen die Kurden in Syrien

Foto: Adem ALTAN/ AFP

Was er tatsächlich schaffen wird, ist eine Kampfzone, denn Kobane und die meisten kurdischen Städte liegen unmittelbar an der Grenze. Überdies kommen die allermeisten der gen Türkei geflohenen Syrer nicht aus dem Nordosten des Bürgerkrieglandes, sondern aus Homs, Aleppo, Damaskus, den arabischen Teilen. Sie nun in die Kurdengebiete zu deportieren, wäre ein Versuch der demografischen Veränderung und Garantie für endlosen Unfrieden.

Vielleicht wird diese Offensive schon sehr viel früher zum Erliegen kommen, als Erdogan und sein neo-osmanischen Strategen sich dies erträumen. Vielleicht bleiben US-Truppen vorläufig in einigen Gegenden. Vielleicht bleibt es bei einem Einmarsch in Manbidsch, jener mehrheitlich arabischen Stadt westlich des Euphrats, die die Kurden sich einverleibt haben und die Erdogan schon jahrelang für sich gefordert hat.

Das klingt befremdlich, aber auch Erdogans Motive sind innenpolitisch. Es geht ihm nicht um ein anderes Syrien, sondern um eine vergrößerte Türkei. Das jedenfalls lässt sich schließen aus der Art, wie die bereits vom türkischen Militär beherrschten Gebiete im Nordwesten Schritt für Schritt als türkische Statthalterprovinzen behandelt werden.

Sicher ist nur eines: dass die USA unter Trump gar kein Interesse mehr haben an einer Außenpolitik, die sich auch um ihre Folgen schert.

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