Massaker in Syrien Rebellen töten Dutzende Alawiten-Familien

Bei einem Massaker in Latakia sind laut einem Bericht von Human Rights Watch im August mindestens 190 Zivilisten getötet worden. Die Opfer waren Alawiten, zu denen auch der Assad-Clan gehört - die Täter hingegen Dschihadisten und Kämpfer der Rebellen. Sie brüsteten sich mit dem Blutbad.
Massengrab in Latakia: Mindestens 190 Zivilisten wurden ermordet

Massengrab in Latakia: Mindestens 190 Zivilisten wurden ermordet

Foto: DPA/ SANA

Am 4. August um 4.45 Uhr morgens, kurz nach dem muslimischen Morgengebet, wecken Schüsse Ghazi Ibrahim Badour. Der Familienvater aus Baruda, einem alawitischen Dorf im syrischen Küstengebirge, steht auf und geht zum Checkpoint der Assad-treuen Armee. Was ist los?

Baruda liegt in einer Talsenke. Die Anhöhe gegenüber kontrollieren seit Ende 2012 die Rebellen. Und von dort haben sie an jenem Morgen das Feuer auf den Assad-Checkpoint eröffnet. Die "Operation zur Befreiung der Küste", wie die Rebellen ihre zwei Wochen andauernde Offensive in der syrischen Provinz Latakia nennen, hat begonnen.

Die Rebellen haben Rache geschworen für das Massaker an den sunnitischen Familien der Küstenorte Banias und Baida. Alawiten werden von manchen Rebellen pauschal für Unterstützer des Diktators Baschar al-Assad gehalten. Radikalislamisten sehen die Religionsgruppe nicht als rechtgläubige Muslime.

Ghazi Ibrahim Badour kehrt zurück zu seinem Haus. Er will mit seiner Frau und den zehn Kindern fliehen, doch die Rebellen haben die Straße blockiert. Die Familie versucht, durch die Wälder zu flüchten. Die Rebellen schießen auf sie: Badours Frau wird in den rechten Arm getroffen, eine Tochter ins Bein. Tochter Safeh treffen zwei Kugeln in den Kopf, Tochter Sara vier in den Oberkörper. Beide kommen ums Leben.

Die Mörder twitterten stolz ihre Taten

Insgesamt werden bei der Rebellenattacke im August auf mehr als zehn alawitische Dörfer in Latakia mindestens 190 Zivilisten ermordet. Manche werden auf der Flucht erschossen wie die Kinder von Ghazi Ibrahim Badour. Andere werden in ihren Häusern exekutiert. So beschreibt es ein Bericht  der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Rund 200 alawitische Frauen und Kinder werden noch immer von den Rebellen als Geiseln gehalten, um inhaftierte Aufständische freizubekommen.

Das Massaker ist das schwerste, das bisher den Rebellen vorgeworfen wird. Erstmals hat die syrische Regierung den Menschenrechtlern Zugang zu den betroffenen Gegenden gewährt. Der Assad-Armee gelang es, die Dörfer zurückzuerobern. Allerdings sind die wenigsten Bewohner heimgekehrt.

Immer wieder bat Human Rights Watch seit Beginn der Aufstände Damaskus um eine Einreiseerlaubnis, um Kriegsverbrechen zu untersuchen - jedes Mal ohne Erfolg, steckte doch meist das Regime in Damaskus selbst hinter den Gräueltaten. Die Menschenrechtler mussten deshalb illegal einreisen oder Zeugen befragen, die in Syriens Nachbarländer geflohen waren. Doch dieses Mal konnte die Organisation ungehindert arbeiten.

In der Küstenprovinz Latakia leben, anders als etwa im Norden Syriens, viele unterschiedliche Konfessionen. Christliche und alawitische Syrer sind zusammen zahlreicher als sunnitische, die insgesamt die Mehrheit stellen. Der Familienclan der seit über 40 Jahren herrschenden Assads stammt ebenfalls aus dieser Provinz.

Die Täter von Latakia gaben sich keinerlei Mühe, ihre Kriegsverbrechen zu verbergen - im Gegenteil: Auf YouTube, Facebook und Twitter kündigten die Milizen ausführlich ihre Offensive an und dokumentierten sie. Vor Ort hinterließen sie Graffiti. Auch die Überlebenden konnten die Kämpfer beschreiben.

Der Ansprechpartner des Westens lobt die Dschihadisten

Verantwortlich waren, so Human Rights Watch, fünf dschihadistische Organisationen. In deren Reihen kämpfen sehr viele Ausländer, darunter die zwei mit al-Qaida verbündeten Gruppen Dschabhat al-Nusra und Islamischer Staat im Irak sowie die von Tschetschenen dominierte Dschaisch al-Muhadschirin wa al-Ansar. Ein marokkanischer Ex-Guantanamo-Insasse kam bei dem Latakia-Feldzug ums Leben.

Alle fünf Gruppen sind vergleichsweise neu. Sie wurden im Laufe des vergangenen Jahres immer wichtiger, während die Bedeutung örtlicher Organisationen abgenommen hat, die den Aufstand noch Anfang 2012 dominierten. Eine solche, die Hassan-al-Ashari-Miliz, habe während des Massakers versucht, alawitische Frauen vor den ausländischen Dschihadisten zu schützen, heißt es in dem Bericht.

Der Bericht zeigt auch, wie schwierig es geworden ist, die verschiedenen Gruppen zu unterscheiden. Denn ihre Zusammenarbeit ist eng.

So war auch Salim Idriss, nominal Generalstabschef des obersten Militärrats der Freien Syrischen Armee, in der Provinz Latakia anwesend. Er ist ein wichtiger Ansprechpartner des Westens. "Ich bin heute hier, um mir ein Bild zu machen von den großen Erfolgen unserer Mitrevolutionäre in ihrer Küstenkampagne", sagte er in einem Video, das am 11. August in Latakia aufgenommen worden sein soll. Inwieweit Idriss und seine Männer an dem Feldzug beteiligt waren, ist offen. Doch eine Distanzierung von den Massakern klingt anders.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren