Human Rights Watch über Syrien "Wir konnten noch Blutspritzer sehen"

Zerstörung in Homs: Assads Versprechen klingen wie Hohn
Foto: AFP/ Shaam News NetworkDer Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist es gelungen, ein eigenes Expertenteam nach Syrien einzuschleusen. "Es hat mich überrascht, wie systematisch die Regierungstruppen Menschen verhaftet und hingerichtet haben", berichtet Ole Solvang, Experte für Krisenregionen SPIEGEL ONLINE. In der vergangenen Woche besuchte Solvang mit seinen Kollegen fünf Dörfer im Norden Syriens in der Provinz Idlib, um Verbrechen zu dokumentieren, die Syriens Truppen begangen haben. Solvang ist ein anerkannter Experte für Krisengebiete, er hat schon viele Kriegsschauplätze für Human Rights Watch besucht.
Der neue Bericht der Organisation stellt die Verhandlungsbereitschaft des syrischen Regimes in Frage. Denn der brutale Feldzug in der Provinz Idlib begann ausgerechnet am 22. März, einen Tag, nachdem der Uno-Sicherheitsrat in einer Präsidialerklärung dem Friedenvermittler Kofi Annan seine Unterstützung ausgesprochen hatte. Wie Hohn klingen rückblickend die syrischen Versprechen: Damaskus erklärte nach seiner Zustimmung zum Friedensplan Ende März, man werde den Waffenstillstand ab dem 10. April umsetzen. Die so gewonnenen Tage wurden offenbar dazu genutzt, um bei einer brutalen Razzia im Norden des Landes gegen die Bevölkerung vorzugehen.
"Es ist schockierend, dass, während Assad am Verhandlungstisch saß, seine Truppen diese grauenhafte Gewalt verübt haben", sagt Solvang. Die fünf Dörfer - Sarmin, Sarakeb, Taftanas, Hasano und Kelli - seien verwüstet worden. Mindestens 95 Zivilisten starben, ein Drittel davon wurde per Kopfschuss hingerichtet. "Wir konnten noch Blutspritzer und die Einschusslöcher in der Wand sehen, wo Exekutionen stattgefunden haben", sagt Solvang. In 50 bis 60 Zentimetern Höhe - die Opfer mussten sich offenbar hinknien.
Racheaktion gegen Angehörige von Aktivisten
"Die meisten Menschen sind geflohen, sobald sie Gerüchte hörten, die Armee würde sich nähern", erzählt Solvang. Wenn die Truppen erst einmal da waren, war es zu spät. Augenzeugen berichteten den Menschenrechtlern von der immer gleichen Vorgehensweise. Die Ortschaften wurden umzingelt und unter Artilleriebeschuss genommen, ohne Vorwarnung. Danach marschierten Soldaten und zivil gekleidete Mitglieder des Militärgeheimdienstes ein und durchsuchten die Häuser mit Namenslisten. Wer darauf stand, wurde abgeführt und erschossen.
"Die Opfer sind häufig Aktivisten oder Familienangehörige von Oppositionskämpfern", sagt Solvang. In einem Fall wurden 19 Männer einer einzigen Familie hingerichtet, der älteste 75 Jahre, die zwei jüngsten keine 18. Nach den Hinrichtungen zogen die Soldaten plündernd durchs Dorf und steckten Häuser in Brand. "Wir haben Hunderte ausgebrannte Häuser gesehen", erzählt Solvang. An manchen Wänden standen Graffiti: "Macht weiter wie bisher, und wir kommen zurück - die Todesbrigade."
Viele Geflohene seien inzwischen in ihre Dörfer zurückgekehrt, erzählt Solvang. Nun versuchten sie, ihre Häuser wieder aufzubauen. Meist besäßen sie nicht mehr als die Kleidungsstücke, die sie bei ihrer Flucht trugen. "Die Menschen sind wütend, richtig, richtig wütend." In einem Nachbardorf brachten Oppositionskämpfer anschließend einen Mann um, den sie für einen Spitzel des Regimes hielten, erzählt Solvang. Die internationale Gemeinschaft fordert er auf, vorsichtig zu sein: "Sie muss genau überprüfen, was Assad sagt und sich nicht auf sein Wort verlassen. Die Uno-Beobachter müssen aufpassen, dass hinter ihrem Rücken nicht solche Verbrechen begangen werden."