Völkerrecht im Syrienkrieg Das Recht des Stärkeren

Die Uno-Charta soll sicherstellen, dass selbst im Krieg Regeln gelten. Doch Despoten wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan setzen sich darüber hinweg. Das Völkerrecht spielt in Syrien keine Rolle mehr.
Eine Einheit der syrischen Armee am Rand der Provinz Idlib

Eine Einheit der syrischen Armee am Rand der Provinz Idlib

Foto: -/ SANA/ AFP)

Während Kremlchef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Syrien unter sich aufteilen, gehen die Bombardements weiter. Russische Jets nahmen am Donnerstag erneut die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens unter Beschuss. Sie unterscheiden dabei nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen.

Putin inszeniert sich als Friedensstifter. In Wahrheit haben er und sein syrischer Vasall, Diktator Baschar al-Assad, in diesem Krieg so gut wie jedes Tabu gebrochen. Sie haben gezielt Krankenhäuser attackiert, das Assad-Regime hat Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und ganze Städte ausgehungert.

Folgen hatte das keine.

Das Völkerrecht soll Kriegsverbrechen verhindern. Doch Putin und Assad haben sich in Syrien nach Belieben darüber hinweggesetzt. Auch Erdogan wischte rechtliche Bedenken beiseite, als er in den Norden des Bürgerkriegslands einmarschierte, um die Kurden-Miliz YPG zu zerschlagen.

"Die Türkei ist nicht annähernd ihrer Darlegungslast nachgekommen"

Der türkische Einmarsch stellt nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags "offensichtlich einen Verstoß gegen das Gewaltverbot" der Uno-Charta dar. Dieses untersagt den Mitgliedstaaten jede "gegen die territoriale Unversehrtheit" eines Staats gerichtete Anwendung von Gewalt. Letztere ist nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt, unter anderem dann, wenn sich ein Staat auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der Charta berufen kann.

Das kann die Türkei laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags im Falle der Syrien-Offensive aber nicht. Denn sie habe nicht nachgewiesen, dass sie von Nordsyrien aus angegriffen worden sei oder bald angegriffen werden könne. Der Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen kommt zum gleichen Ergebnis.

Es sei zwar anerkannt, dass Selbstverteidigung auch gegen nicht staatliche Akteure möglich sei, sagt Herdegen. Das setze aber einen massiven, einer kriegerischen Handlung unter Staaten vergleichbaren Angriff voraus. "Die Türkei ist hier aber nicht annähernd ihrer Darlegungslast nachgekommen", sagt der Jurist. Sie habe nicht deutlich gemacht, dass sie Opfer eines solchen Angriffs geworden ist.

"Wir können davon ausgehen, dass der russische Präsident im Namen und mit Zustimmung von Assad paktiert", sagt Herdegen. Dies ändere zwar nichts an der völkerrechtlichen Bewertung des Einmarsches, den Putin bei dem Treffen mit Erdogan in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi am Dienstag gewissermaßen billigte. Der Pakt mit Erdogan hebe den Völkerrechtsbruch also nicht rückwirkend auf.

"Erdogan handelt derzeit klar völkerrechtswidrig"

Die Besetzung syrischen Territoriums aber, also die Errichtung der sogenannten Schutzzone durch die Türkei, muss laut Herdegen nun anders bewertet werden. "Die türkische Präsenz hat mit dem Pakt eine völkerrechtliche Legitimation gefunden", sagt er.

Es sei zwar ein bemerkenswerter Vorgang: eine Vereinbarung zweier Machthaber über die Organisation und Ausübung von Hoheitsgewalt auf fremdem Gebiet.

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Der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich, brachte zuletzt eine Anklage gegen Erdogan vor dem Internationalen Strafgerichtshof ins Spiel. "Erdogan handelt derzeit klar völkerrechtswidrig. Er führt einen Angriffskrieg", sagte Mützenich der "Welt am Sonntag". Sein Verhalten müsse Konsequenzen vor dem Internationalen Strafgerichtshof haben.

Allerdings ist die Türkei nicht Vertragsstaat des Römischen Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof. Ein Prozess gegen Erdogan wäre laut Herdegen deshalb nur möglich, wenn der Uno-Sicherheitsrat den Fall an den Internationalen Gerichtshof überweist. Das sei aber schon vor dem Pakt von Sotschi nicht realistisch gewesen - auch wegen der Bedeutung der Türkei für die Nato. Nach der Einigung mit Russland sei es das nun umso weniger.

Das Völkerrecht krankt seit jeher daran, dass es nur schwer durchzusetzen ist. In Syrien ist die internationale Ordnung kollabiert, das einzige Recht, das noch gilt, ist, wie im Dschungel, das Recht des Stärkeren. Nun bestimmen die Gewinner dieses Kriegs, Putin, Erdogan, Assad, die Regeln.

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