Diplomatische Krise Syrien soll zweites türkisches Flugzeug angepeilt haben

Der diplomatische Zwischenfall um den vor Syrien abgeschossenen Kampfjet bekommt eine neue Wendung. Ein türkisches Suchflugzeug wurde laut Diplomaten ebenfalls vom syrischen Radar erfasst - und musste seine Mission abbrechen.

Istanbul/Damaskus - Am vergangenen Freitag hat die syrische Luftabwehr einen Kampfjet der türkischen Streitkräfte abgeschossen - seitdem sorgt der Vorfall für heftigste diplomatische Spannungen zwischen den Nachbarländern. Diese könnten sich nun noch verschärfen: Offenbar hatte die Luftabwehr der Assad-Armee noch eine zweite türkische Maschine ins Visier genommen. Dies wurde allerdings bisher nicht offiziell bestätigt.

Ein zu der Absturzstelle entsandtes Suchflugzeug der türkischen Luftwaffe sei vom Radar der syrischen Luftabwehr erfasst worden und habe deshalb abgedreht, hieß es am Montag bei europäischen Diplomaten in Ankara. Den Angaben zufolge wurden die diplomatischen Vertreter aus Ländern der EU und der Nato von der türkischen Regierung über den Vorfall informiert. Die türkischen Behörden äußerten sich zunächst nicht.

Am Mittag nahm der Sprecher des syrischen Außenministeriums zu dem Angriff auf das Kampfflugzeug Stellung. Dieser sei in den Luftraum seines Landes eingedrungen, laut Dschihad Makdissi "eine klare Verletzung der syrischen Unabhängigkeit". Man habe keine andere Wahl gehabt, als den in nur 100 Meter Höhe fliegenden Jet abzuschießen. Dabei seien Luftabwehrgeschütze, keine radargeleiteten Raketen zum Einsatz gekommen, sagte Makdissi.

Sein Land sei aber trotz der Verstimmungen an einem "nachbarschaftlichen Verhältnis" mit der Türkei interessiert, so Makdissi. Noch immer werde nach den beiden vermissten Piloten gesucht. Zu den Gerüchten um die Peilung der zweiten Maschine machte er keine Angaben.

Ankara spricht von Test des türkischen Radars

Intern hatten die Emissäre der Türkei bereits am Sonntag die Nato ausführlich über ihre Sicht der Dinge unterrichtet. Demnach handelte es sich bei dem Flug des türkischen Jets um einen Test des türkischen Radars. Die Maschine sei unbewaffnet gewesen. Versehentlich sei das Flugzeug bei einer ersten Runde sehr kurz in den syrischen Luftraum eingedrungen, später wurde es dann bei einer zweiten Runde beschossen. Nach Angaben des türkischen Militärs geschah dies in internationalem Luftraum.

Die Türkei rief die Nato zu einer Beratung auf, weil ihre Sicherheit bedroht sei. Die Regierung in Ankara will auch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einschalten.

Hinter den Kulissen hat man sich unter den westlichen Partnern der Nato offenbar darauf geeinigt, dass die EU und die Nato den Vorfall aufs Schärfste verurteilt und die Türkei ihrerseits keine einseitigen Reaktionen gegen Syrien startet. So werden die Türken auf dem anberaumten Treffen der Nato-Botschafter am Dienstag lediglich ihre Sicht der Dinge vortragen, sagten mehrere Nato-Diplomaten am Montag. Über militärische Maßnahmen hingegen soll nicht gesprochen werden.

EU besorgt

Die EU-Außenminister verurteilten den Vorfall, riefen die Türken aber gleichzeitig zur Besonnenheit auf. "Wir sind sehr besorgt über das, was geschehen ist", sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Luxemburg. Brüssel werde sich aber darum bemühen, dass die Türkei weiter zurückhaltend reagiere.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) ist seit dem Vorfall intensiv bemüht, eine militärische Eskalation zwischen der Türkei und Syrien oder im Extremfall eine Involvierung der Nato zu vermeiden. Vor dem Treffen der EU-Außenminister telefonierte er deswegen am Sonntagabend länger mit seinem türkischen Amtskollegen. Aus Sicht der Bundesregierung wäre ein militärisches Eingreifen der Türkei oder der Nato der Startschuss für einen Flächenbrand in der ganzen Region.

Westerwelle sagte, der Abschuss ohne Vorwarnung sei völlig unverhältnismäßig. Doch jetzt komme es auf Deeskalation an. "Wir haben alle ein Interesse daran, dass diese Situation sich nicht weiter zuspitzt", betonte er.

Generäle laufen über

Die Fahnenflucht in Syrien geht unvermindert weiter, auch über die Grenzen zu den Nachbarländern. Wie am Montag bekannt wurde, ist die bisher größte Gruppe von syrischen Soldaten mit ihren Familien in die Türkei geflohen. Rund 30 Soldaten sowie ein General und zwei Oberste kamen mit ihren Familien über die Grenze, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Damit sind seit Ausbruch des Aufstands in Syrien bisher 13 Generäle in die Türkei geflohen. Die Gesamtzahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei liegt inzwischen bei rund 33.000.

In der vergangenen Woche war zudem erstmals ein Soldat der syrischen Luftwaffe mit seiner Maschine desertiert. Der MiG-Jet war auf einer jordanischen Militärbasis gelandet, der Pilot hat in dem Land politisches Asyl erhalten. Die Luftwaffe gilt eigentlich als besonders treu gegenüber dem Regime von Machthaber Baschar al-Assad, so dass der Zwischenfall international besonderes Aufsehen erregte.

jok/mgb/AFP/Reuters/AP
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