Syrien Menschenrechtler werfen Assad Kinderfolter vor

In Syrien seien seit Beginn des Aufstands gegen Präsident Assad mehr als 600 Oppositionelle zu Tode gefoltert worden, klagen Menschenrechtsaktivisten an. Im ganzen Land hat das Regime demnach provisorische Lager errichtet, in denen Aufständische misshandelt werden.
Sicherheitskräfte misshandeln Demonstranten: 69.000 festgenommene Oppositionelle

Sicherheitskräfte misshandeln Demonstranten: 69.000 festgenommene Oppositionelle

Foto: REUTERS TV/ Reuters

Im Kampf gegen den Aufstand in Syrien hat Präsident Baschar al-Assad sein Land mit einem Netz von provisorischen Gefängnissen und Internierungslagern überzogen. Seine Sicherheitsdienste haben Sportstadien, Schulen, Krankenhäuser und selbst Kirchen in Folterstätten verwandelt. Das belegt ein Bericht der amerikanischen Stiftung Avaaz, der erstmals detailliert Auskunft über Zahl und Lage der Gefangenenlager gibt. Die weltweit agierende Stiftung steht den US-Demokraten nahe und macht sich für Menschenrechte in repressiven Staaten stark.

Laut der Studie sind seit Beginn der Rebellion im März vergangenen Jahres in Syrien 617 Menschen zu Tode gefoltert worden, unter ihnen 39 Kinder. Insgesamt 69.000 Menschen seien seither festgenommen worden. Von denen befänden sich etwa 37.000 derzeit noch immer in Haft, 32.000 seien mittlerweile auf freien Fuß gesetzt worden. Landesweit habe der Aufstand zwischen März und Dezember mehr als 6.200 Menschenleben gefordert. Unter den Toten seien auch über 900 staatliche Sicherheitskräfte, so der Bericht. Die Daten seien von 58 Menschenrechtsbeobachtern und syrischen Partnerorganisationen gesammelt worden, erklärt die Stiftung. Jede Verhaftung und jeder Tod, der darin aufgeführt ist, sei von mindestens drei unabhängigen Quellen bestätigt worden. Demnach ist statistisch einer von 300 Syrern in den vergangenen neun Monaten verhaftet oder getötet worden.

In fast allen syrischen Gefangenenlagern ist Folter an der Tagesordnung. Besonders berüchtigt sind die Geheimdienststellen der Armee. Hier werden die festgenommenen Regimegegner verhört, bevor sie in reguläre Gefängnisse gebracht werden. Dort werde seltener gefoltert, erklären Zeugen in dem Bericht, die Haftanstalten seien aber völlig überfüllt. So müssten sich etwa im Zentralgefängnis vom Homs 300 Gefangene 65 Betten teilen, im Gefängnis der Stadt Saidnaya würden jeweils 40 Insassen in eine 16 Quadratmeter große Zelle gesperrt, berichten ehemalige Häftlinge. Viele Gefangene seien zudem unterernährt und schwer erkrankt.

Harsche Kritik an der Arabischen Liga

Weil die Kapazität der Gefängnisse mit Assads Verhaftungswelle nicht Schritt halten kann, hat das Regime in den vergangenen Monaten zahlreiche provisorische Lager errichtet, in denen Oppositionelle festgehalten werden.

  • So sei etwa eine Kirche in Homs in ein improvisiertes Gefängnis verwandelt worden, in dem Regierungsgegner misshandelt wurden.
  • Im Militärkrankenhaus der Stadt würden eingelieferte Aufständische nicht behandelt, sondern gefoltert. Oppositionellen, die Demonstrationen filmten, seien dort die Arme gebrochen worden, anderen hätten Folterer mit Meißeln die Augen ausgestochen.
  • In Hama würden heute Gefangene gefoltert, wo bis vor kurzem Studenten im Institut für Computertechnologie lernten.
  • In der Hafenstadt Lattakia würden gleich in mehreren Stadien und Sporthallen Oppositionelle festgehalten.
  • Insgesamt führt der Bericht mehr als 60 Haftanstalten und Gefangenenlager auf, in denen Assad-Gegner interniert sind.

Zu den Misshandlungen, denen Oppositionelle ausgesetzt werden, gehört der so genannte "deutsche Stuhl". Dabei wird der Häftling auf ein stuhlähnliches Gerät gesetzt, das aus beweglichen Teilen besteht und mit dem der Körper des Gefangenen überdehnt wird. Häufig führt diese Methode dazu, dass den Opfern die Wirbelsäule gebrochen wird. Unterschiedliche Versionen existieren über den Ursprung des Foltergeräts. Einige Quellen berichten, dass geflohene Schergen des Naziregimes den "deutschen Stuhl" nach Syrien brachten, andere geben an, dass die DDR-Staatssicherheit hierfür den Anstoß gab.

Freigelassene Häftlinge schilderten zudem, dass sie von Folterern mit Elektroschocks gequält und ihnen Finger- und Zehennägel ausgerissen worden seien. Andere wurden tagelang an den Händen aufgehängt. Schlafentzug für Gefangene sei an der Tagesordnung, so der Bericht.

Zufrieden hatte Nabil al-Arabi, der Generalsekretär der Arabischen Liga, erst in dieser Woche erklärt, dass kürzlich 3.500 politische Gefangene auf seine Initiative hin freigelassen worden seien. Das ist jedoch weniger als ein Zehntel aller Inhaftierten. Entsprechend harsch fällt die Kritik von Stephanie Brancaforte, Kampagnenleiterin von Avaaz, an Arabis Organisation aus: "Eine glaubhafte Mission der Arabischen Liga würde die Folterkammern besuchen und sicherstellen, dass das Regime seine Gräueltaten sofort beendet". Außerdem müssten sich Assad und seine Folterknechte vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten, so Brancaforte.

Der Bericht von Avaaz nennt die Namen von 13 Offizieren, die für die Folterungen maßgeblich verantwortlich sein sollen. Unter ihnen ist mit Hafis Machluf auch ein Cousin des Präsidenten, der zum engsten Führungszirkel gehört und als Chef des staatlichen Geheimdienstes in Damaskus Folterungen angeordnet haben soll. Solange das Regime in Syrien nicht gestürzt ist, wird sich jedoch keiner der Verantwortlichen vor einem Verfahren in Den Haag fürchten müssen.

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