Streit um Chemiewaffen Obama schiebt Militärschlag gegen Syrien auf

Streit um Chemiewaffen: Obama schiebt Militärschlag gegen Syrien auf
Foto: Evan Vucci/ AP/dpaBarack Obamas Ghostwriter waren nicht zu beneiden. Hatten sie doch begonnen, einen Schlachtruf zu schreiben - nur um mittendrin wieder umsatteln zu müssen. Die 48 Stunden vor Obamas Rede waren ein einziges diplomatisches Chaos gewesen, und selbst als der US-Präsident im Weißen Haus schließlich vor die TV-Kamera trat, blieb vielen unklar, was wirklich los war.
Also bemühte sich Obama um Klarheit - indem er den geplanten Militärschlag gegen das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad vorerst absagte: "Ich habe die Führer des Kongresses gebeten, ein Votum zur Autorisierung eines Einsatzes aufzuschieben."
Seine Truppen stünden aber weiter bereit, "um den Druck auf Assad zu wahren", warnte Obama zugleich. Die USA seien nicht die Weltpolizei, "aber wenn man Kinder davor schützen kann, vergast zu werden, sollte man es tun".
Einstweilen aber setze er nun doch erst mal auf Diplomatie, um Assad seiner Chemiewaffen zu entledigen. Die große Rede blieb klein und war in 16 Minuten vorbei: "Danke schön, Gott schütze Sie, und Gott schütze die Vereinigten Staaten von Amerika."
Militärische Option noch nicht vom Tisch
Krieg und Frieden: Die zwei Seelen Obamas, die dieser Tage so offen zutage treten, waren auch in dieser dankbar knappen Ansprache deutlich, die ausgerechnet auf den Vorabend des 9/11-Jahrestags fiel. Angesichts der Verwirrung der vergangenen Tage versuchte Obama den Spagat - eine politische Lösung in Syrien zu forcieren, ohne die militärische Option auszuschließen.
Einige sagen, angesichts des diplomatischen Durcheinanders hätte Obama lieber ganz auf diesen Auftritt verzichten sollen. "Diese Rede hätte man canceln sollen", twitterte Kolumnist Ross Douthat von der "New York Times". Doch Obama nutzte sie, um den desinteressierten Amerikanern nahezubringen, "warum Syrien wichtig ist und wie es jetzt weitergeht".
Seine Argumente sind bekannt.
- Der horrende Giftgasangriff vom 21. August: "Wir wissen, dass das Assad-Regime verantwortlich war."
- Amerikas Pflicht: "Dies ist keine Welt, die wir akzeptieren sollten."
- Der Militärschlag: "Das ist mein Urteil als Oberkommandierender."
- Die Mitverantwortung des Parlaments: "Unsere Demokratie ist stärker, wenn der Präsident mit der Unterstützung des Kongresses handelt."
Ebenso bekannt ist aber, dass Obama diese Unterstützung eben nicht hat - weder im Kongress noch bei den US-Wählern, die ein neues Militärabenteuer mehrheitlich ablehnen.
"Es darf keine Verzögerungstaktik sein"
Weshalb Russlands Initiative, das syrische Chemiewaffenarsenal unter internationale Kontrolle zu bringen, Obama gelegen kommt - trotz nagender Zweifel an der Aufrichtigkeit Russlands oder Syriens: "Es ist zu früh, um zu sagen, ob das Angebot Erfolg haben wird."
Doch schon jetzt entpuppt sich der Ausweg als neue Falle. Die Debatte wurde an die Uno verwiesen - doch dort fuhr sie prompt wieder gegen die bekannte Betonwand.
Die Fronten im Sicherheitsrat sind nämlich unverändert. Frankreich, Großbritannien und die USA suchen eine bindende Uno-Resolution gegen Syrien, untermauert von militärischem Druck. Russland dagegen akzeptiert nur eine schwächere "Erklärung" des Sicherheitsrats und fordert obendrein, dass die USA darin einem Militärschlag vollends "abschwören".
Als sich am Dienstag herausstellte, dass beides unvereinbar ist, sagte Russland eine von ihm einberufene Sondersitzung des Sicherheitsrats kurzfristig wieder ab. Stattdessen soll US-Außenminister John Kerry nun am Donnerstag nach Genf fliegen, um seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow direkt zu treffen. "Es darf keine Verzögerungstaktik sein", warnte Kerry die Russen bereits am Dienstag.
Obama: Eher hilfloser Zuschauer denn entschlossener Akteur
Obama Rede sollte die Verhandlungsposition abstecken. Das war auch bitter nötig: In den vergangenen Monaten des politischen Theaters um Syrien wirkte Obama eher wie ein hilfloser Zuschauer denn wie ein entschlossener Akteur.
Er zog eine "rote Linie". Er beschloss einen Militärschlag. Er bat um den Segen des Kongresses. Er sagte, er könne auch ohne den Kongress handeln. Er distanzierte sich von der "roten Linie". Er begrüßte Russlands Vorstoß. Er reklamierte den Vorstoß für sich. Er rief die Uno an. Und nun schickt er Kerry nach Genf.
Stuart Rothenberg vom Kongressmagazin "Roll Call" verglich das Chaos mit einem "Peter-Sellers-Film über einen unfähigen politischen Führer" - Obama als Inspektor Clouseau auf der Jagd nach dem rosaroten Panther Assad. "So kann man nicht regieren", schimpfte auch Watergate-Legende Bob Woodward im Kabelsender MSNBC. "Es gibt keinen Plan."
Auch anderswo wächst die Skepsis. Experten verweisen darauf, dass es so gut wie unmöglich sei, alle Chemiewaffen in Syrien zu finden, geschweige denn aus dem Land zu schaffen. Kerry habe sich im Schachspiel mit Putin zu einem "leichtsinnigen Bauernzug" hinreißen lassen, schreibt Bill Keller, Kolumnist und Ex-Chefredakteur der "New York Times".
So bleibt die Debatte ein unwägbares Risiko. Gibt Syrien seine Chemiewaffen tatsächlich auf, wird nur der politische Erfolg zählen und nicht das diplomatische Chaos. Scheitert die Initiative, dürfte es doch zum Militäreinsatz kommen - und Obama wird nicht als Friedenspräsident in die Geschichte eingehen, sondern als ein weiterer Kriegspräsident.