Barack Obamas Syrien-Politik Präsident für Zaudern und Zögern

Warum hört eigentlich keiner mehr auf Amerika? Die Eskalation in Syrien und der mutmaßliche Chemieangriff mit Hunderten Toten zeigen einmal mehr, wie Barack Obamas Drohungen verpuffen.
US-Präsident Obama: Zögern und Zaudern in der Syrien-Frage

US-Präsident Obama: Zögern und Zaudern in der Syrien-Frage

Foto: MANDEL NGAN/ AFP

Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, seitdem der US-Präsident dem syrischen Diktator Baschar al-Assad eine rote Linie zog: "Ich habe bis jetzt kein militärisches Eingreifen angeordnet, aber für uns ist eine rote Linie überschritten, wenn eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt wird", so erklärte es Barack Obama im August 2012.

Das war die erste Warnung an Assad. Im April 2013 dann teilte das Weiße Haus US-Parlamentariern mit, es könne mit "unterschiedlichen Graden an Sicherheit" gesagt werden, dass in Syrien das Gift Sarin "in einem kleinen Maßstab" zur Verwendung gekommen sei. Warnung Nummer zwei.

Warum ignoriert Assad die Drohungen?

Im Juni machte Obama dann Ernst. Der Präsident ließ mitteilen, dass man die C-Waffen-Hinweise geprüft habe und die US-Geheimdienste nun davon ausgingen, "dass das Assad-Regime chemische Waffen, darunter das Nervengas Sarin, eingesetzt hat." Konsequenz: "Militärische Hilfe" für den demokratischen Teil der Rebellen, im Klartext: kleinere Waffen und Munition.

Ist diese Botschaft in Damaskus angekommen?

Offenbar nicht. Am Mittwoch haben Berichte und grausame Bilder von einem mutmaßlichen Giftgasangriff der Regierungstruppen die Runde gemacht, Oppositionsangaben zufolge sollen bis zu 1300 Menschen getötet worden sein. Noch ist nicht klar, was am Mittwoch in der Region Ghuta östlich der Hauptstadt Damaskus geschah. Videos zeigen Dutzende, vielleicht Hunderte Leichen, äußere Verletzungen sind auf den Bildern nicht zu erkennen. Einige Leichen haben Schaum vor dem Mund.

Augenzeugen berichten von grausigen Szenen in Notkrankenhäusern in Irbin. Aber momentan weiß niemand mit Sicherheit, wer für das Grauen verantwortlich ist. Die Aufständischen beschuldigen das Assad-Regime, dieses dementiert.

Sollten sich die Vorwürfe jedoch bestätigen, dann hat der Diktator in dieser Woche ein unmissverständliches Signal gesetzt: Er pfeift sowohl auf die Drohungen der Amerikaner als auch auf die Anwesenheit der Uno. Derzeit hält sich ein Team der Vereinten Nationen in Syrien auf, das den Einsatz von Giftgas untersuchen soll. Wer meint, sich in solch einer Phase einen Chemiewaffenangriff erlauben zu können, der muss sich sehr sicher fühlen.

"Sichergehen, dass diese Untersuchung überhaupt stattfindet"

In Washington wird diese Art eigener Machtlosigkeit bitter aufgenommen. Fühlt sich Assad eigentlich in keinster Weise von den USA bedroht? "Ich kann nicht sagen, was er bedrohlich findet und was nicht", entgegnet Obamas Sprecher Josh Earnest, auf den die Journalistenfragen am Mittwoch nur so niederprasseln.

Wie weiter jetzt? Earnest sagt, die Vereinten Nationen müssten die Vorwürfe untersuchen, das Uno-Team vor Ort müsse vollen Zugang bekommen.

Und wenn nicht? "Bevor wir empfehlen, was nach einer Inspektion geschehen könnte, sollten wir sichergehen, dass diese Untersuchung überhaupt erst mal stattfindet." Das ist, wieder mal, als Warnung an Assad zu verstehen.

Ganz offensichtlich stecken die USA in der Klemme. Weder Demokraten noch Republikaner wollen eine US-Militärintervention in Syrien; am weitesten ging stets der republikanische Senator John McCain mit Forderungen nach einer Flugverbotszone. Zudem will man den Rebellen allein kleinere Waffen liefern, nicht die von ihnen geforderten Panzer- und Flugabwehrraketen. Durchaus verständlich, zu groß ist das Risiko, dass diese Waffen in die Hände der falschen Leute fallen könnten.

Und fraglich ist, welche Waffenlieferungen die Rebellen bisher überhaupt erreicht haben. Aus der US-Regierung hieß es eigentlich, ab August solle militärische Hilfe gewährt werden. Zuletzt aber berichtete unter anderem die "Los Angeles Times" unter Berufung auf Vertreter der Aufständischen, dass noch nichts angekommen sei und man auch kein Lieferdatum bekommen habe.

Außenpolitischer Schlingerkurs

Besonders brisant für Obama: Die Ignoranz des Diktators Assad ist kein Einzelfall. Denn auch bei Ägyptens Militär dringt der US-Präsident ja nicht mehr durch. Er kann mahnen und warnen, wie er will, die neuen Herrscher von Kairo lassen sich nichts mehr sagen. Und Russlands Wladimir Putin, der es wohl als Einziger noch in der Hand hätte, Assad unter Druck zu setzen? Zeigt sich unbeeindruckt von Amerika.

Woran kann das liegen? Ist Obama zu schwach?

Keineswegs, sagt Sprecher Earnest, der Präsident habe in der Vergangenheit doch bewiesen, dass er bereit sei, Lösungen mit Gewalt herbeizuführen: So gehe er gegen Qaida-Terroristen vor, Osama Bin Laden sei keine Bedrohung mehr. Außerdem habe Obama diplomatisch in die internationale Gemeinschaft hineingewirkt, habe Beziehungen wiederbelebt, sei zuletzt etwa nach Afrika gereist.

Nur ein bisschen ernst

Das stimmt. Möglicherweise aber hat Obama währenddessen das falsche Signal an Staaten wie Syrien und Ägypten gesendet: das eines Schlingerkurses.

Beispiel Syrien: Es dauerte eine Weile, bis Obama sich schließlich im Sommer 2011 darauf festlegte, Assad müsse abtreten. Das blieb seither stets die offizielle Position - bis Präsidentensprecher Jay Carney im Juli wohl unter dem Eindruck der militärischen Erfolge des Diktators erklärte: "Assad wird nie wieder Syrien regieren so wie zuvor." Plötzlich war keine Rede mehr von einem Sturz. Jetzt, ein paar Wochen später, sagt wiederum Sprecher Earnest: "Wir haben unser Ziel, Assad abzulösen, noch nicht erreicht." Hinzu kommt der knapp einjährige Tanz auf der selbst gesetzten rote Linie.

Beispiel Ägypten: Obama stützte den islamistischen Ex-Präsidenten Mohammed Mursi noch, als schon klar war, dass seine demokratische Wahl allein ihn noch lange nicht zum Demokraten gemacht hatte. Als dann die Militärs in Kairo die Macht übernahmen, warnte Obama sie vor Gewalt, während US-Außenminister John Kerry ihnen attestierte, sie hätten die Demokratie "wiederhergestellt". Als die Situation in der vergangenen Woche eskalierte, machte der Präsident nur ein bisschen Ernst, strich ein geplantes gemeinsames Militärmanöver; die jährliche 1,3-Milliarden-Dollar-Hilfe aber bleibt noch immer unangetastet.

Was denn eigentlich die rote Linie des Präsidenten im Falle Ägyptens sei, wird Obamas Sprecher am Mittwoch noch gefragt. "Nun", scherzt Josh Earnest, "ich habe heute meinen roten Stift nicht dabei."

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