Häftlinge in Syrien Verspätete Todesnachrichten aus Damaskus

Lange war nichts über ihr Schicksal bekannt, jetzt räumt das Regime in Syrien den Tod Hunderter Häftlinge ein. Was bezweckt Diktator Assad mit dem plötzlichen Eingeständnis?
Militärgefängnis Sednaja

Militärgefängnis Sednaja

Foto: AFP/ Amnesty International

Hunderte syrische Familien bekommen in diesen Wochen Post vom Amt. In den Schreiben werden sie darüber informiert, dass ihre Angehörigen im Gefängnis eines natürlichen Todes gestorben seien. Manche bekommen noch ein paar Habseligkeiten der Verstorbenen, verbunden mit der Aufforderung, mit niemandem über die Toten zu sprechen.

Unter den Gefangenen, deren Tod das Regime seit Anfang Juli mitgeteilt hat, sind einige prominente Fälle: etwa Niraz Saied, ein palästinensisch-syrischer Fotograf aus Damaskus, der im Oktober 2015 festgenommen wurde. Er hatte die verheerenden Folgen der Belagerung des palästinensischen Flüchtlingslagers Jarmuk durch die syrische Armee dokumentiert. Für ein Foto dreier Jungen, die auf ihre Evakuierung aus Jarmuk warten, war er 2014 vom Uno-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) ausgezeichnet worden.

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Am Montag teilte das Regime Saeeds Frau Lamis al-Khateeb mit, dass ihr Mann in Haft gestorben sei. Ein Regierungsvertreter soll Saeeds Mutter gesagt haben, dass der Fotograf bereits im September 2016 im Militärgefängnis von Sednaja hingerichtet wurde.

Jahrelanges Hoffen und Bangen

Auch Islam Dabbas ist unter den Toten. Der Architekturstudent hatte 2011 die ersten Proteste gegen Diktator Baschar al-Assad in Daraya, einem Vorort von Damaskus, mitorganisiert. Er wurde im Juli desselben Jahres festgenommen - nur wenige Wochen nach Beginn der Demonstrationen in Syrien. Im Juli 2012 durfte ihn seine Familie zum letzten Mal im Gefängnis besuchen. Später teilten die Behörden der Familie auf jede Anfrage mit, Dabbas sei nicht mehr in Haft, und man habe keine Informationen über sein Schicksal. Am Montag verkündete das Amt den Eltern, dass ihr Sohn bereits im Dezember 2013 im Gefängnis von Sednaja gestorben sei.

Auch bei anderen Häftlingen, zu deren Tod sich das Regime nun geäußert hat, liegt das Sterbedatum schon Jahre zurück. So erfuhren nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte mehrere Familien aus Hama, dass ihre Angehörigen bereits 2014 im Gefängnis ums Leben gekommen seien. In Muadamijat al-Scham, einem Vorort von Damaskus, berichteten die Behörden zahlreichen anderen Familien, ihre Verwandten seien 2015 gestorben - das schreibt das syrische Onlinemagazin "Enab Baladi".

Es gibt wohl mehrere Gründe, warum das Regime gerade jetzt Stellung bezieht. Zum einen ist es für die Familien nahezu aussichtslos, Jahre später noch etwas zu den Umständen des Todes zu erfahren. Sie können kaum nachweisen, dass ihre Angehörigen möglicherweise gar nicht an Herzversagen gestorben sind, wie es in den amtlichen Mitteilungen zumeist heißt - sondern zum Beispiel durch Folter getötet oder hingerichtet wurden.

Dabei ist längst bekannt, dass in Sednaja und anderen syrischen Gefängnissen Folter an der Tagesordnung ist. Ex-Häftlinge schildern schlimmste Qualen: "In Sednaja fühlte es sich an, als sollte die Folter eine Art der natürlichen Selektion erreichen - als wollte man die Schwachen loswerden, sobald sie eintrafen", wird etwa ein Überlebender in einem Bericht von Amnesty International zitiert.

Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Geheimdienstchef

In Deutschland aber hat die Bundesanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, Jamil Hassan, erwirkt. Die Ermittler in Karlsruhe werfen ihm systematische Folter und willkürliche Exekutionen von politischen Gefangenen vor. Das Verfahren fußt auf Angaben des syrischen Militärfotografens mit dem Codenamen "Caesar" und weiterer Zeugen. Offenbar will das Regime in Damaskus nun vorsorglich den Beleg dafür bringen, dass alle Todesfälle in Haft allein auf gesundheitliche Probleme der Häftlinge zurückzuführen sind.

Syrische Oppositionelle vermuten hinter den jüngsten Todesmitteilungen aber auch politisches Kalkül. In den nächsten Wochen soll im russischen Sotschi eine neue Runde von Friedensgesprächen zwischen dem Regime und Teilen der syrischen Opposition stattfinden. Nachdem Assad mithilfe aus Russland und Iran die Aufständischen militärisch weitgehend besiegt hat, rechnet kaum ein Regimegegner noch mit politischen Zugeständnissen aus Damaskus. Das Schicksal der Zehntausenden politischen Gefangenen ist einer der wenigen Streitpunkte, bei dem sich die Oppositionellen ein kleines Entgegenkommen erhoffen - etwa in Form einer Amnestie.

Doch offenbar will das Regime dieses Thema vor der nächsten Verhandlungsrunde auf seine Art lösen - indem es vorher einräumt, dass viele Häftlinge schon lange tot sind. Damit reduziere sich die Zahl der Fälle, über die überhaupt noch verhandelt werden kann, sagt Yasser Farhan, der aufseiten der Opposition an den Verhandlungen in Sotschi teilnehmen soll: "Das Regime will das Thema der politischen Gefangenen loswerden, weil es ein großes Hindernis auf dem Weg zu seiner Rehabilitierung darstellt."

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