Blutiger Donnerstag in Damaskus Suche nach den Hintermännern des Terrors

Blutiger Donnerstag in Damaskus: Suche nach den Hintermännern des Terrors
Foto: AP/ SANADamaskus - Augenzeugen berichten von erschütternden Szenen, auch das syrische Staatsfernsehen zeigt teils drastische Aufnahmen von verkohlten Leichen in den Straßen von Damaskus. Bei zwei schweren Bombenexplosionen starben in der Hauptstadt Syriens mindestens 70 Menschen. Diese Zahl dürfte noch weiter steigen, schließlich wurden mehr als 370 Personen verletzt. Schon jetzt ist jedoch klar: Es handelt sich um die blutigsten Anschläge seit dem Start der Revolte gegen Präsident Baschar al-Assad - und von dem mühsam ausgehandelten Waffenstillstand ist nichts mehr übrig.
Es war gegen 7.50 Uhr am Morgen, als an einer belebten Kreuzung zweier Hauptverkehrsstraßen im Osten der Millionenstadt die Hölle losbrach. Kurz nacheinander detonierten mitten im Berufsverkehr zwei Sprengsätze, nach Augenzeigenberichten war die erste Explosion die größere. Autos wurden durch die Luft geschleudert, die umstehenden Passanten getötet oder schwer verletzt. Noch in weit entfernten Stadtvierteln klirrten die Fenster der Gebäude. Laut syrischem Innenministerium wurden die gewaltigen Explosionen von zwei Selbstmordattentätern in Autos ausgelöst.
In der Nähe der Explosionsstelle befinden sich zahlreiche Gebäude der Universität, auch diese wurden durch die Anschläge beschädigt. Noch wichtiger jedoch: Nur wenige Minuten entfernt befindet sich eins der berüchtigsten Foltergefängnisse des Assad-Regimes.

Syrien: Zerfetzte Autos, Krater in der Straße
Das sogenannte Palästina-Verhörzentrum ist eine der am meisten gefürchteten Einrichtungen des Sicherheitsapparats des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Viele politische Gefangene wurden dort gefoltert.
Noch ist völlig unklar, wer hinter den brutalen Anschlägen steckt. Drei Szenarien kommen jedoch in Frage:
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Das syrische Regime: Diese Theorie vertritt die Opposition im Land. Sie vermutet, dass Damaskus so die Aufständischen diskreditieren und seine Getreuen an sich binden will. Für die Rebellen sprechen mehrere Anzeichen dafür, dass das Regime selbst hinter den Anschlägen steckt:
Erstens: Die großen Krater der Explosionen weisen darauf hin, dass große Mengen Sprengstoff verwendet wurden. Diese lassen sich nicht in der eigenen Küche herstellen, sondern muss gekauft werden.
Zweitens: Damaskus wird vom Regime gut überwacht. Ein einziges Mal kam es in Damaskus in der Vergangenheit zu einem größeren Bombenanschlag. 2008 starb dort der Hisbollah-Führer Imad Mugnijeh durch eine Autobombe. Hinter dem Anschlag wurde der israelische Geheimdienst vermutet, weil für jeden anderen das Attentat zu kompliziert gewesen wäre. Israel bestreitet jedoch die Urheberschaft.
Drittens: Augenzeugen berichteten in der Vergangenheit, dass Sicherheitskräfte die Umgebung absperrten, bevor dann tatsächlich eine Bombe explodierte.
Viertens: Das Staatsfernsehen ist immer sofort nach der Explosion vor Ort und überträgt die Bilder der Verletzten.
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Die syrische Opposition: Ein Teil der Aufständischen unterstützt inzwischen auch einen bewaffneten Kampf gegen das Regime. Sie sind lose in der Freien Syrischen Armee verbunden. Weil diese in einer direkten Konfrontation der gut ausgerüsteten regulären Armee unterlegen sind, setzen die Deserteure mehr und mehr auf Guerrillataktik wie den Häuserkampf. Es ist denkbar, dass zu dieser Strategie auch immer häufiger Anschläge mit Sprengstoff gehören werden. In kleineren Sprengstoffanschlägen auf Verkehrsstraßen außerhalb von Städten sind immer wieder Regime-Getreue ums Leben gekommen.
In der vergangenen Woche bekannte sich ein Kämpfer, der sich selbst zur Freien Syrischen Armee zählte, zu einem Anschlag auf eine Autowaschanlage in Aleppo. Zur Begründung hieß es, dass sich dort häufig Assad-Milizen aufhalten würden. Die Freie Syrische Armee bestritt jedoch, für das Aleppo-Attentat verantwortlich zu sein. Die Explosion in Damaskus wäre allerdings von einem ganz anderen Kaliber. Dafür müsste die Opposition in den Besitz von großen Mengen Sprengstoff gelangt sein.
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al-Qaida: Das US-Außenministerium geht davon aus, dass inzwischen auch dschihadistische Gruppen aus dem Irak an den Aufständen gegen das syrische Regime beteiligt sind. Qaida-nahe Terrorgruppen sind in Syrien nicht neu. Damaskus ließ in den letzten zehn Jahren Dschihadisten auf syrischem Staatsgebiet gewähren - und unterstützte sie sogar. Denn Angehörige der Terrorgruppe waren auf der Durchreise und machten dort einem gemeinsamen Feind, den Amerikanern, das Leben schwer.
Nun könnten die Dschihadisten die bestehenden Kanäle zwischen dem Irak und Syrien in die umgekehrte Richtung nutzen. Zu einem Selbstmordanschlag am 27. April in Damaskus, bei dem ein Dutzend Menschen getötet wurde, bekannte sich im Internet die neue "Nusra Front zum Schutz der Levante". Als die Levante werden die Länder östlich des Mittelmeers bezeichnet - Palästina, Syrien, Libanon und der Süden der Türkei. Die Nusra-Gruppe bezeichnete sich selbst als Teil von Qaida. Qaida-Anführer Aiman al-Sawahiri hatte im Februar in einer Videobotschaft Muslime aus anderen Ländern dazu aufgerufen, die Opposition in Syrien zu unterstützen.
In drastischen Worten verurteilte Kofi Annan, Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, die Vorfälle. "Diese abscheulichen Taten sind nicht zu akzeptieren, und die Gewalt in Syrien muss aufhören. Jedes Vorgehen, dass die Spannungen noch weiter eskalieren lässt, kann nicht im Interesse der Beteiligten liegen." Am Abend meldete sich auch der Uno-Sicherheitsrat zu Wort und verurteilte die Anschläge.
Erschüttert zeigte sich der Leiter der Uno-Beobachtermission in Syrien, General-Major Robert Mood, nachdem er sich persönlich ein Bild von der Lage vor Ort gemacht hatte. "Dies ist ein weiteres Beispiel für das Leid, das die Gewalt dem syrischen Volk zufügt", sagte er. "Ich rufe alle innerhalb und außerhalb Syriens auf, dabei zu helfen, diese Gewalt zu stoppen."
Dabei wäre er selbst vor kurzem beinahe Opfer eines Anschlags geworden. Nur einen Tag zuvor war in unmittelbarer Nähe seines Konvois in der Provinz Daraa ein Sprengsatz explodiert, der sechs syrische Soldaten verletzte. Am Mittwoch hatte auch die Freie Syrische Armee Syriens, die vor allem aus desertierten Soldaten der Assad-Armee besteht, erklärt, dass sie den Kampf wieder aufnehmen wird.