
Taliban-Anschlag auf Bundeswehr Verletzter General behält sein Kommando
Berlin/Kabul/Masar-i-Sharif - Der deutsche General Markus Kneip will die deutsche Mission in Nordafghanistan weiter führen. "Die Soldaten hier und ich als ihr Kommandeur haben den ganz klaren Auftrag, gemeinsam mit unseren afghanischen Partnern Frieden und Sicherheit in dieses Land zu bringen", schreibt der 55-jährige Regionalkommandeur für die Isaf-Truppen in Nordafghanistan in einer Stellungnahme, "ich werde diese Erwartungen erfüllen."
Bei dem Anschlag innerhalb des Gouverneurspalasts der Provinz Takhar, wo sich am Nachmittag eine hochrangige afghanische Delegation aus Politikern und Militärs mit einer Gruppe von führenden Bundeswehroffizieren getroffen hatte, war Kneip durch die Splitter der Bombe des Selbstmordattentäters leicht verletzt worden. Einer seiner Bodyguards und ein weiterer enger Mitarbeiter wurden durch die Wucht der Explosion getötet. Unter den verletzten Bundeswehrsoldaten ist auch eine Frau. Die Übersetzerin ist laut Bundeswehr in einem "kritischen Zustand".
In der Mitteilung beschreibt Kneip erstmals den Moment des fatalen Angriffs. Er habe "sehr gute, in die Zukunft gerichtete Gespräche" geführt - mit dem Gouverneur der Provinz, den ranghöchsten afghanischen Militärs, dem Geheimdienstchef der Region und dem Polizeichef von Nordafghanistan. Dann habe die Gruppe den Besprechungssaal im zweiten Stock verlassen und sei in kleinen Gruppen hinunter in die Halle gegangen. Ganz plötzlich habe es "in unserer unmittelbaren Umgebung eine ungeheure Explosion" gegeben, berichtet Kneip. "Zwei Soldaten aus meinem engsten Mitarbeiterkreis sind dabei gefallen, andere wurden zum Teil schwer verletzt." Kneip schreibt, er habe "jeden Tag mit diesen wunderbaren Menschen" zusammengearbeitet. Nun denke er an deren Familien und bete für sie.
Die beiden Gefallenen gehörten zu Kneips innerstem Zirkel: ein 43-jähriger Major aus dem Führungsunterstützungsbataillon 282 in Kastellan und einer seiner Personenschützer, ein 31-jähriger Hauptfeldwebel des Feldjägerbataillons 152 aus Hannover. Trotz der Trauer um seine Mitarbeiter, so Kneip, müsse er nach vorne sehen: "Ich bin Kommandeur hier im Norden Afghanistans und werde gemeinsam mit meinen Soldaten unseren Auftrag weiter ausführen." Nur Stunden vor dem Anschlag hatte Kneip eine Trauerfeier im Feldlager in Kunduz geleitet - für einen vor knapp zwei Wochen gefallenen Kameraden. Von dort reiste er nach Talokan zum Treffen mit den Afghanen.
Enger Vertrauter der Nato-Truppen getötet
Kneip erinnerte auch an die afghanischen Opfer des Anschlags. Vor allem der Tod eines der ranghöchsten afghanischen Sicherheitsbeamten, des nordafghanischen Polizeichefs Daud Daud, gilt unter Beobachtern als Rückschlag für die internationalen Bemühungen um eine Stabilisierung der Lage. Daud Daud hatte sich in den vergangenen Jahren den Ruf eines unnachgiebigen Kämpfers gegen die Taliban erworben. Er war ein enger Vertrauter der internationalen Truppen, obwohl ihm enge persönliche Kontakte in den milliardenschweren Opiumhandel in Afghanistan und den Schmuggel der Drogen ins Ausland nachgesagt wurden. Die Bundeswehr kannte Daud Daud über viele Jahre, Kneip hat ihn Dutzende Male getroffen.
Die Schutztruppe Isaf und auch das Verteidigungsministerium stärkten Kneip am Sonntag den Rücken. Am Morgen flog spontan der zweithöchste Isaf-Kommandeur David Rodriguez nach Masar-e-Sharif. Dort wird der General noch immer im Feldlazarett behandelt. Nur Stunden später traf auch Isaf-Chef David Petraeus in dem Feldlager ein und traf sich mit Kneip. Petraeus bestärkte den deutschen General in seiner Absicht, die rund 5000 deutschen, aber auch die über tausend amerikanischen Soldaten und die Truppenteile aus anderen Nationen weiter zu befehligen und dankte ihm für seinen Einsatz.
Auch aus Deutschland traf hochrangiger Besuch in Nordafghanistan ein: Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE reiste der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, umgehend nach dem Anschlag nach Masar-i-Sharif, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen. Beim Besuch bei Kneip versicherte Wieker dem General, dass er die volle Rückendeckung der Regierung habe. Am Abend wollte Wieker sich mit einer Ansprache an die Soldaten richten und ihnen Mut für die gefährliche Mission zusprechen. Kneip sprach sich dafür aus, weiter entschlossen zu agieren: "Das erwarten die Menschen hier von uns, nach 30 Jahren Krieg", schrieb Kneip, "wir werden diese Erwartung erfüllen, dafür stehe ich persönlich ein."
"Der Mann sprengte sich direkt vor uns in die Luft"
Derzeit laufen Ermittlungen, wie sich der Selbstmordattentäter in das für das VIP-Treffen gesicherte Gebäude Zugang verschaffen konnte. Dabei wird immer deutlicher, dass sich der Anschlag wohl nicht gegen die Bundeswehr sondern vielmehr gegen den nordafghanischen Polizeichef Daud Daud richtete. Der bei dem Anschlag verletzte Gouverneur der Provinz schilderte SPIEGEL ONLINE am Telefon, wie sich der Anschlag abgespielt hatte. "Als wir aus dem Besprechungssaal kamen, gingen zunächst der Chef des Geheimdienstes und andere Politiker hinunter in die Halle", sagte Abdul Dschabar Takwa. Erst als Daud Daud aus dem Raum kam, griff der Selbstmordattentäter den mächtigen Polizeichef direkt an. "Zuerst fielen Schüsse", so der Gouverneur, "dann sprengte sich der Mann direkt vor Daud Daud in die Luft."
Als erwiesen gilt mittlerweile, dass der Attentäter eine Uniform der Afghan National Police (ANP) trug und vermutlich so in das Gebäude gelangt war. Nach Angaben aus Kreisen des afghanischen Geheimdienstes NDS ist bisher nicht geklärt, ob der Angreifer tatsächlich ein Polizist war, der möglicherweise von den Taliban für den Angriff rekrutiert worden war, oder einer ihrer Kämpfer die Uniform nur als Tarnung benutzte. Die Bundeswehr hat sich bisher nicht zu den Details des Angriffs geäußert und stets auf die laufenden Ermittlungen verwiesen. Anhand von forensischen Untersuchungen der Leichenteile des Attentäters soll dessen Identität geklärt werden, sagte der Befehlshaber der deutschen Auslandstruppen bereits am Samstag in Berlin.
Die Attacke der Taliban markiert eine neue Qualität der Taktik und Effizienz bei Anschlagsplanungen der Taliban. "Natürlich sind solche hochrangigen Treffen immer ein Risiko, das wir eingehen müssen", so ein Nato-Offizier, "doch dass ein Selbstmordattentäter so nah an einen der höchsten Isaf-Offiziere und die Elite der Afghanen herankommt, haben wir noch nie gesehen". Ein Sprecher der internationalen Truppen beschrieb die Art des Angriffs als neue Taktik der Taliban. "Diese Angriffe sind ein Zeichen, dass die Taliban uns nicht mehr mit großen Gruppen in Kämpfe verwickeln wollen, da sie dort wenig Chancen haben", so der Offizier. Stattdessen setze man neuerdings auf gezielte, gut geplante Attacken, die man später für die Propaganda ausschlachten könne.
Geheimdienste warnten vor dem Anschlag
Die Äußerungen der Taliban passen zu dieser Einschätzung. Nur eine Stunde nach dem Anschlag in Talokan meldete sich der notorische Sprecher der Aufständischen und berichtete detailliert über den Anschlag. Die deutsche Delegation erwähnte er dabei erst ganz am Schluss, stattdessen rühmte er den Tod von Polizeichef Daud Daud als großen Erfolg der Taliban. Am Sonntag legte der Sprecher nach und kündigte weitere Attacken an: "Wir haben noch viele Kämpfer in den Reihen der Polizei und der Armee", so der Sprecher, "diese werden immer wieder zuschlagen, wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt."
Unmittelbar vor dem Treffen der Deutschen mit den Afghanen gab es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE eindringliche Warnmeldungen der Geheimdienste über einen drohenden Selbstmordanschlag der Taliban in Talokan. Ohne Details oder ein mögliches Ziel zu nennen, warnten sowohl die Amerikaner und auch der deutsche Geheimdienst vor einem drohenden und gut geplanten Selbstmordanschlag in der Hauptstadt der Provinz Takhar. In Bundeswehrkreisen hieß es jedoch, solche Meldungen gebe es in Afghanistan jeden Tag. Meist seien sie zu unkonkret, um darauf reagieren zu können.
Der Gouverneur der Provinz Takhar ging sogar noch weiter: Der afghanische Geheimdienst hätte sehr konkrete Hinweise auf den späteren Selbstmordattentäter gehabt, sogar dessen Mobilfunknummer sei dem Geheimdienst NDS bekannt gewesen. "Uns ist es tragischerweise nicht gelungen, den Attentäter zu schnappen, bevor er seine Mission ausführen konnte", so der Gouverneur. Offen blieb nach seinen Aussagen, ob die Afghanen die Bundeswehr über die Gefahr informiert hatten.
Es gibt mittlerweile viele Indizien, dass der Angreifer seine Mission lange geplant hatte. Aus afghanischen Sicherheitskreisen erfuhr SPIEGEL ONLINE, der Mann habe bereits Stunden vor dem Angriff in Talokan versucht, sich in ein Treffen von afghanischen und deutschen Offizieren in Kunduz am Samstagmittag einzuschleusen. Als dies nicht gelang, sei er mit der Delegation des afghanischen General Zalmai Wesa nach Talokan gefahren und dort mit der Delegation auf das gesicherte Gelände des Gouverneurssitzes gelangt. "Vieles sieht danach aus", so ein NDS-Ermittler in Kabul, "dass wir bei der Sicherung des Treffens einen großen Fehler gemacht haben." General Wesa wollte die Recherchen nicht bestätigen. "Es kann so gewesen sein", sagte er SPIEGEL ONLINE, "doch wir müssen noch weiter ermitteln."