Taliban-Aussteigerprogramm Deutschland überweist Millionensumme nach Kabul

Taliban-Kämpfer in Afghanistan: Aussteigerprogramm soll Mitläufer locken
Foto: ? Stringer Pakistan / Reuters/ ReutersBerlin - Als eine der ersten in engagierten Nationen will Deutschland zehn Millionen Euro für ein von der afghanischen Regierung geplantes Aussteigerprogramm für Kämpfer der Taliban überweisen. An diesem Dienstag unterzeichneten der afghanische Finanzminister Omar Zakhiwal und der deutsche Botschafter in Afghanistan, Rüdiger König, in Kabul dazu eine Absichtserklärung. In dem Dokument kündigt Deutschland seinen Beitrag zu dem Programm an. Mit dieser ersten Tranche, die noch in den nächsten Tagen nach Afghanistan überwiesen werden soll, erfüllt Deutschland frühere Zusagen.
Im Frühjahr hatte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) auf der internationalen Afghanistan-Konferenz angekündigt, Deutschland werde insgesamt 50 Millionen zu dem mit einem Gesamtvolumen von 250 Millionen Dollar geplanten Projekts beisteuern. Den größten Beitrag werden die USA leisten, 100 Millionen Dollar sind versprochen. Andere große Geldgeber sind Großbritannien und Japan.
Der Unterzeichnung war ein monatelanges Ringen um die Details des Programms vorausgegangen, das den ihre Basis an willigen Kämpfern nehmen soll. Bis heute haben die USA wegen fehlender konkreter Pläne der afghanischen Regierung erst einige hunderttausend Dollar überwiesen. Allerdings wird auch Japan angeblich in den kommenden Tagen seine erste Zahlung leisten. Nach Angaben der afghanischen Kommission, welche die Reintegrationsprojekte leiten soll, könnten bei einem Erfolg bis zu 9000 Fußsoldaten der Taliban in ein normales Leben zurückgeführt werden.
Deutsche wollen Geld in konkrete Projekte fließen sehen
Bisher aber sind die Inhalte des Programm noch ziemlich vage. Bei einem Treffen der Afghanistan-Beauftragten vieler am Hindukusch engagierter Länder vergangene Woche in Rom stellte der Leiter der afghanischen Kommission nach Druck aus dem Westen erstmals Grundzüge vor. Danach entschied sich das Auswärtige Amt zur Überweisung. Die Diplomaten legen Wert darauf, dass die deutschen Millionen in konkrete Projekte fließen. So sollen 1,5 Millionen Euro aus der ersten Überweisung in ein Programm gehen, das Kämpfern Jobs bei einem Minenräumungsprogramm anbieten soll.
Mohammed Masum Stanikzai, von Präsident Karzai als Reintegrationsbeauftragter eingesetzt, lobte den deutschen Beitrag. "Mit dem Geld können wir unsere bereits begonnene Arbeit finanzieren", sagte Stanikzai SPIEGEL ONLINE. "Nun hoffen wir, dass die anderen Länder ihren Versprechungen nachkommen." Konkrete Projekte konnte Stanikzai auf mehrmalige Nachfrage nicht nennen. Seinen Angaben nach sind aber bereits in vielen Teilen des Landes Kämpfer reintegriert worden, darunter auch in Distrikten im von der Bundeswehr kontrollierten Norden Afghanistans.
Außenminister Westerwelle vertritt dieselbe Auffassung wie die meisten Nato-Nationen: dass der Konflikt in Afghanistan nur durch eine politische Lösung beendet werden kann. Neben Verhandlungen der afghanischen Regierung mit der Spitze der Aufständischen gehört laut Westerwelle die Reintegration von Kämpfern der Taliban zentral zu einer solchen Lösung. Das Integrationsprogramm zielt vor allem auf Mitläufer, die für Geld in den Reihen der Taliban kämpfen. Diese sollen mit Jobangeboten und Ausbildungsprojekten aus der Struktur der Taliban herausgelöst werden.
Unterschiedliche Vorstellungen vom Reintegrationsprogramm
In der Tat waren kürzlich sowohl in Kunduz, dem gefährlichsten Standort der Bundeswehr, als auch in Baghlan etwas weiter südlich mehrere Gruppen von Kämpfern zur Kabuler Regierung übergelaufen. Nach dem Seitenwechsel sind die Ex-Taliban nun als lokale Milizen tätig, die in Baghlan mit der Bundeswehr kooperieren. Von US-Offizieren war jedoch zu hören, dass die Unterstützung der einstigen Feinde durch die afghanische Regierung bisher noch zu wünschen übrig lässt. In Baghlan zahle deshalb die US-Armee den Ex-Taliban den Sold.
Stanikzai wies die Kritik an der bisherigen Arbeit seiner Kommission allerdings zurück. "Wie viele Taliban bisher reintegriert wurden, ist nicht entscheidend", sagte der Projektleiter. Wichtiger sei, dass die Sicherheitslage in den betroffenen Regionen verbessert worden sei. Seine Vorstellungen, wie er das Programm nun gestalten will, klingen allerdings ganz anders als die bisher bekannten Pläne. "Wir werden den einstigen Taliban keine Jobs anbieten", sagte Stanikzai. "Stattdessen werden wir das Geld für den Wiederaufbau der Regionen ausgeben, in denen Taliban überlaufen."
Die unklare Vorgehensweise bei dem ambitionierten Vorhaben war einer der Gründe für die Verzögerung der Zahlungen aus dem Westen. Bei den USA herrscht auch weiterhin große Skepsis. Unter Diplomaten in Kabul gibt es vor allem Befürchtungen, dass das Geld aus dem Westen - wie bei vielen anderen Programmen - versickern könnte. Folglich pochte das Auswärtige Amt auf eine projektbezogene Budgetierung. Gleichwohl wollen die Afghanen den Großteil der ersten deutschen Zahlung für andere Dinge ausgeben als konkrete Projekte, nämlich für die Peripherie: das Sekretariat der Kommission zum Beispiel, Computer und Telefone.
Das Aussteigerprogramm wird zur Bewährungsprobe
Um einen gewissen Grad an Effektivität sicherzustellen, begleitet die Schutztruppe Isaf vor Ort das Aussteigerprogramm. Dazu hat die Nato-Truppe im Kabuler Hauptquartier eine sogenannte "Force Reintegration Cell" eingesetzt, welche die afghanische Kommission unterstützen, aber auch kontrollieren soll. Im Sommer waren Mitglieder der Arbeitsgruppe auch bei mehreren Treffen mit Unterhändlern anwesend, die Kontakte zur Führung einzelner Taliban-Gruppierungen aus verschiedenen Provinzen Afghanistans aufbauen sollen.
Die Bilanz im Hauptquartier über die bisherigen Erfolge ist vorsichtig optimistisch. Aus allen Regionalkommandos, so ein Nato-Offizier, gebe es Berichte von übergelaufenen Taliban-Gruppen oder anderer Kämpfer. Die Gesamtzahl gehe bereits in die Hunderte. Allerdings befänden sich die Überläufer in sehr unterschiedlichen Stadien auf dem Weg zur Wiedereingliederung. "Manche zeigen Interesse, auf unsere Seite zu kommen, andere verhandeln noch und wieder andere sind schon reintegriert", so der Nato-Mann. Besonders wichtig sei, dass die bereits Übergelaufenen nun bei der Sache blieben.
Gleichwohl steckt die Nato bei dem Aussteigerprogramm erneut in dem Dilemma, das typisch für alle Aktivitäten in Afghanistan wird. Auf der einen Seite sollen die Afghanen immer mehr Verantwortung übernehmen: So soll in den nächsten Jahren ein Abzug der Nato-Truppen ermöglicht werden. Andererseits trauen die westlichen Regierungen den von Präsident Karzai eingesetzten Kommissionen und deren Projekten immer weniger zu. Das Aussteigerprogramm wird so zur Bewährungsprobe - aus Sicht von Diplomaten zur Geduldsprobe.
Kommissionsleiter Stanikzai jedenfalls warnte westliche Politiker schon jetzt vor zu hohen Erwartungen an das Projekt. "Niemand kann in Afghanistan Frieden mit Geld erkaufen", sagte er.