Start-up aus Tansania Aufklärung per Handy

Kadushi und Shoo: "Wenn wir nichts ändern, wird sich nichts ändern"
Foto: Maria FeckÜber Menstruation spricht man nicht. Dieser Grundsatz hält sich in vielen Ländern hartnäckig. Auch in Tansania ist das Thema tabu. Als Hilderruth Allan Shoo noch zur Schule ging, wurde nur einmal über die weibliche Periode gesprochen - im Rahmen einer Werbeaktion für einen Hersteller von Damenbinden.
Damals war sie zwölf Jahre alt. Mittlerweile ist sie 28 und Ärztin. Und das hat auch mit jener Unterrichtsstunde zu tun, an die sich Shoo noch heute erinnert: Zunächst hätten die Jungen den Raum verlassen müssen, dann seien Damenbinden von den Promoterinnen verschenkt worden. "Man sagte uns: Ihr werdet eines Tages eine kleine Blutspur in eurer Unterwäsche finden, dann braucht ihr jeden Monat für ein paar Tage die Binden", erzählt die junge Ärztin. Kein Wort hätten die Promoterinnen verloren über Eisprung, Zykluslänge oder Schmerzen.
Als Shoo wenig später zum ersten Mal ihre Periode bekam, war da mehr als nur ein bisschen Blut. Sie hatte Krämpfe - und Angst. "Niemand hat mir gesagt, dass es mir schlecht gehen würde. Ich war mir sicher, dass da was nicht stimmt. Dass ich krank bin", erzählt Shoo.

Ärztin Shoo: Schon ihr Großvater war Mediziner
Foto: Maria FeckBeruhigen konnten sie damals ihre Eltern: "Ich hatte Glück, meine Familie ist sehr aufgeklärt. Schon mein Opa war Arzt. In den meisten Haushalten bleiben Fragen zu Gesundheit und Sexualität jedoch unbeantwortet." Die Gründe dafür seien Scham, vor allem aber Unwissenheit.
Shoo will das ändern. Gemeinsam mit ihrer Mitstreiterin Mariatheresa Kadushi hat sie sich vorgenommen, einer breiten Masse den Zugang zu medizinischem Grundwissen zu ermöglichen. Ihr Ziel ist es, die gesundheitliche Aufklärung in Tansania und ganz Ostafrika zu verbessern.
Aus ungewollten Schwangerschaften entstehen ungewollte Kinder
"Die großen Wissenslücken führen zu unnötigem Leid und zu Todesfällen, die sich vermeiden ließen", sagt Kadushi. Die 27-Jährige hat Kommunikationsdesign studiert und 2016 das Start-up Mobile-afya gegründet. Noch im selben Jahr kam Shoo dazu.
Gesundheit und Aufklärung sind für Kadushi bereits in ihrem ersten Job zu Herzensthemen geworden. Nach ihrem Studium arbeitete die junge Frau aus Tansania mit Straßenkindern zusammen. Die Kinder, die sie dabei kennenlernte, erzählten ihr häufig von ihren Erfahrungen zu Hause - von Hunger, Armut, Gewalt und dem Gefühl, nicht erwünscht zu sein. So wurde Kadushi auf das Thema Familienplanung aufmerksam.

In ihrem ersten Job hat Kadushi mit Straßenkindern gearbeitet
Foto: Victor Stephen Photography/ Mobile-AyfaViele Menschen in Tansania wüssten nicht, wie der weibliche Zyklus funktioniere, sagt Kadushi. Verhütung sei ein heikles Thema. Daher käme es zu vielen ungewollten Schwangerschaften. "Und die Kinder, die dann geboren werden, sind oft auch nicht gewollt", sagt sie. Der Kreislauf der Armut setze sich dadurch fort.
Ähnliche Beobachtungen macht auch Ärztin Shoo täglich in ihrem Beruf. Da war die junge Frau, die voller Verzweiflung auf ihre zehnte Schwangerschaft reagierte. Oder die 15-jährige Schülerin, die von einem Medizinstudium träumte und dann eine HIV-Diagnose erhielt. "Wenn wir nichts ändern, wird sich nichts ändern", sagt Shoo. Deshalb sei sie vor drei Jahren in das von Kadushi gegründete Start-up Mobile-afya eingestiegen - neben ihrem Vollzeitjob im Krankenhaus und ohne Bezahlung.
Ohne Internet und anonym
Die App von Mobile-afya funktioniert wie eine Art medizinisches Lexikon, das sich per Handy abrufen lässt, anonym, rund um die Uhr - und ohne Internet. Denn die wenigsten Menschen in Tansania haben einen Zugang. Per USSD-Anwendung sollen Abonnenten Informationen abfragen können, die Experten zusammengestellt haben.
Neu ist die Technik nicht, zahlreiche Dienstleister in Afrika greifen darauf zurück, um ihre Kunden zu erreichen. Bekanntestes Beispiel ist wohl das bargeldlose Bezahlsystem M-Pesa aus Kenia. Und auch in Deutschland wird USSD angewendet - beispielsweise wenn man das Guthaben eines Prepaidhandys abfragen will.
Der Abonnent gibt einen kurzen Code ein und aktiviert damit eine Informationsabfrage beim Mobilfunkanbieter. Im Fall von Mobile-afya wird dann ein Startmenü mit Themenübersicht verschickt. Daraus kann ein medizinisches Themenfeld ausgewählt werden - der Kunde bekommt die gewünschten Informationen.
Ursprünglich sollte es bei Mobile-afya ausschließlich um die Themen Sexualität und Frauengesundheit gehen. Nachdem Kadushi Zeugin eines Unfalls wurde, erweiterten sie ihr Konzept. Dazugekommen sind die Rubriken Erste Hilfe, mentale Gesundheit und Vorsorge.
Mit ihrem Start-up, so hoffen Shoo und Kadushi, könnte sich die Gesundheit der Bevölkerung verbessern. Als ein Beispiel nennt Kadushi Cholera. Sie glaubt, künftig Todesfälle durch die Durchfallerkrankung verhindern zu können. "Die Leute sterben daran, weil sie dehydriert sind und das nicht erkennen. Würden sie die Symptome kennen und wissen, was zu tun ist, könnte das Leben retten", sagt sie.
Ein Jahresabonnement der App soll nur wenige Dollar kosten. Ärztliche Beratungen sind hingegen teuer. Auch hätten viele Menschen ohnehin keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung, so Kadushi.
Und das Internet könne nur bedingt dabei helfen, Informationen zu suchen. Zwar sind Mobiltelefone in Tansania weitverbreitet, Internetzugriff haben jedoch nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Hinzu kommt, dass Online-Inhalte in der Landessprache Swahili begrenzt sind, Englisch beherrscht hingegen nur eine Minderheit im Land wirklich gut. Die Offline-App soll diese Lücke schließen.
Monatelang hat Shoo die Inhalte der App entwickelt. Auf Swahili und in SMS-Länge verfasste sie die einzelnen Informationstafeln. Mittlerweile gehören dem Team vier weitere Frauen an - alle sind jünger als 30 Jahre. Geld verdient haben sie in dem Start-up alle noch nicht. Im kommenden Jahr soll sich das ändern.
Vorbehalte gegen junge afrikanische Frauen
Dann will Mobile-afya auf den Markt. 100.000 Abonnenten im ersten Jahr sind das Ziel, auch hofft Kadushi, dass sie ihren Mitstreiterinnen dann endlich ein Gehalt zahlen kann. Einige Zehntausend Euro haben die jungen Unternehmerinnen für den Markteinstieg einkalkuliert. Die Suche nach Investoren ist schwer.
"Wir sind junge Frauen aus einem afrikanischen Land. Das weckt Vorurteile, auch in Tansania", sagt Kadushi. Man traue ihnen die Aufgabe nicht zu. Unterstelle ihnen, sie würden es nicht ernst meinen, könnten schnell das Interesse verlieren oder sich in "Frauenstreitigkeiten" verlieren.

Kadushi präsentiert ihre Offline-App vor potenziellen Investoren
Foto: Mobile-AyfaShoo und Kadushi haben sich davon bisher nicht einschüchtern lassen. "Wir belassen es erst mal bei einem reinen Frauenteam. Allein, um zu beweisen, dass die Kritiker falsch liegen", sagt Kadushi. In den vergangenen drei Jahren hätten sie ohnehin schon Fakten geschaffen, um Investoren zu überzeugen. Der angestrebte Starttermin im kommenden Jahr ist mittlerweile finanziell gesichert.
Im Herbst führten Kadushi und ihr Team mehrere Gespräche mit potenziellen Geldgebern in Europa. Die seien einem jungen Frauenteam gegenüber offener als afrikanische Investoren. Einigen konnten sie sich schließlich mit einer Unternehmerin aus Deutschland. "Wir freuen uns, dass wir noch eine Frau gewinnen konnten. Wir werden von ihren Erfahrungen profitieren. Und mit dem Geld aus Europa wächst auch in Tansania das Vertrauen", sagt Kadushi. "Ausländische Investoren sind dort ein überzeugendes Argument."
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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