Terror in Ägypten "Rache für palästinensische und irakische Märtyrer"
Berlin - Drei unbekannte Gruppen, zwei Sympathiebekundungen, ein Bekenneranruf - so lautet die bisherige Bilanz der Suche nach den Terroristen, die in der vergangenen Nacht mit insgesamt drei Bomben ausländische Touristen auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel angegriffen haben. Mindestens 30 Menschen kamen ums Leben, viele der Opfer sind israelische Urlauber.
Schon kurz nach der Tat meldete sich ein Anrufer bei der Nachrichtenagentur AFP in Jerusalem und erklärte, der Anschlag sei "die Rache für die palästinensischen und irakischen Märtyrer"; er spreche im Namen der "Internationalen Islamischen Gruppe", schreibt die Agentur auf ihrer Internetseite. Bislang ist eine Gruppe dieses Namens noch nicht in Erscheinung getreten. Einiges spricht aber dafür, dass sich eine radikale Abspaltung der einschlägig bekannten ägyptischen Terrorgruppe al-Gamaa al-Islamija hinter dieser Bezeichnung verbirgt.
Hauptindiz dafür ist die beinahe vollständige Namensgleichheit: AFP zufolge hatte der Anrufer für seine Gruppe den arabischen Namen al-Gamaa al-Islamija al-Alamija genannt - und damit die lediglich um das Attribut "international" ergänzte Bezeichnung von al-Gamaa al-Islamija. Offiziell hat al-Gamaa al-Islamija dem bewaffneten Kampf schon vor Jahren abgeschworen. Doch eine Abspaltung der Terrorgruppe hat sich Ende der neunziger Jahre dem Terrornetzwerk al-Qaida angeschlossen. Es handelt sich dabei um Gefolgsleute des Ägypters Aiman al-Sawahiri, der heute als Stellvertreter des Qaida-Gründers Osama Bin Laden gilt und sich - wahrscheinlich mit diesem gemeinsam - versteckt hält.
Verbindung zu al-Qaida nicht ausgeschlossen
Al-Sawahiri ist einer der prominentesten Vertreter des internationalen Dschihadismus. Früh schon propagierte er die Notwendigkeit, die vermeintlichen Feinde des Islam an jedem Ort der Welt zu bekriegen. Allerdings blieb das ägyptische Regime für ihn immer eines der Hauptziele. In einem Strategiepapier erklärte er noch vor kurzem: "Der Weg nach Jerusalem führt über Kairo." Damit wollte er aussagen, dass eine Vernichtung des Staates Israel erst denkbar sei, wenn zuvor der ägyptische Präsident Husni Mubarak gestürzt wird.
Die Vergangenheit von al-Gamaa al-Islamija ist außerordentlich blutig: Schon 1981 waren Mitglieder der Gruppe an der Ermordung des ägyptischen Staatspräsidenten Anwar al-Sadat beteiligt. 1997 führte al-Gamaa al-Islamija einen Terroranschlag auf Besucher der ägyptischen Tempelstadt Luxor durch; 69 westliche Touristen kamen damals ums Leben.
Es ist nahe liegend, dass die Attentäter der vergangenen Nacht durch die Selbstbezeichnung "internationale al-Gamaa al-Islamija" eine Linie zu diesen Anschlägen ziehen und zugleich den Stellenwert des internationalen Terrorismus in ihrer Doktrin betonen wollen. Sollte diese These zutreffen, der auch deutsche Sicherheitsexperten zuneigen, dann ist eine Verbindung zwischen al-Qaida und den Attentätern von gestern Nacht nicht unwahrscheinlich.
Die ägyptische al-Gamaa al-Islamija ist unterdessen nicht identisch mit der Terrorgruppe Jemaah Islamiah, wie es einige Medien heute falsch berichteten. Die Jemaah Islamiah ist in Asien beheimatet. Sie war zum Beispiel verantwortlich für den Anschlag von Bali 2002, dem Hunderte westliche Urlauber zum Opfer fielen.
Sympathiebekundungen von Trittbrettfahrern?
Derweil tauchten heute auf einschlägig bekannten islamistischen Internetseiten im Laufe des Tages zwei weitere Wortmeldungen islamistischer Gruppen zu den Anschlägen auf der Sinai-Halbinsel auf. Von einigen Nachrichtenagenturen und Medien wurden sie vorschnell als weitere Bekennerschreiben eingestuft. Bei genauer Lektüre allerdings stellt sich heraus, dass es sich eher um Sympathiebekundungen und Drohungen handelt. Beide Schreiben liegen SPIEGEL ONLINE vor.
Das Erste stammt von einer Gruppe, die sich al-Tawhid-Brigade nennt, ein Name, der offensichtlich eine Nähe zu dem im Irak aktiven Top-Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi und dessen Gruppe al-Tawhid wa al-Dschihad suggerieren soll. Wörtlich heißt es in dem arabischen Dokument: "Wir verkünden unseren unterdrückten Brüdern an jedem Ort die Botschaft der gesegneten Operation in dem islamischen Land Kanaan", womit in diesem Fall der Sinai gemeint ist. Eine ausdrückliche Selbstbezichtigung findet sich in dem Text nicht, dafür heißt es weiter: "Vier von unseren Brüdern, die den Märtyrertod gesucht haben, führten diese heldenhafte Operation durch. Trotz der verstärkten Sicherheitsmaßnahmen erstürmten sie das Gelände ... und töteten Hunderte von Ungläubigen. Und wir bekräftigen in dieser Erklärung, dass die Zahl der Getöteten wesentlich höher ist als die von den Medien verkündete."
Weiter heißt es, der Anschlag sei "aus Wut (über den Tod) des Mudschaheddin-Führers Ahmed Jassin" geschehen. Er sei "nur der erste Schlag in das Gesicht der Juden. Unsere Anschläge werden nicht aufhören, bis nicht diese Ungläubigen die Länder des Islams verlassen haben." Ahmed Jassin, der geistige Führer der palästinensischen Terrororganisation Hamas, wurde vor einigen Monaten von der israelischen Armee gezielt durch einen Raketenangriff getötet. Bislang haben islamistische Terrorgruppen aus Palästina allerdings noch nie im arabischen Ausland Anschläge durchgeführt.
Nicht der erste Anschlag gegen israelische Touristen
Ein zweites Schreiben veröffentlichte eine Gruppe, die sich den Namen "Brigaden des Märtyrers Abdullah Azzam " gab. Abdullah Azzam, ein Palästinenser, soll wesentlichen Einfluss auf Osama Bin Laden gehabt haben. Auch in diesem Text heißt es zunächst, man überbringe die frohe Kunde von "heldenhaften Selbstmordanschlägen auf dem Gebiet Kanaans". Durchgeführt haben sollen diese dem Text zufolge "unsere Brüder in der Einheit des Märtyrers und Anführers Chattab". Chattab war ein arabischstämmiger Dschihadist, der sich im Kampf in Tschetschenien hervorgetan hat. Es folgen in dem Schreiben Drohungen und Warnungen an den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon ("Wir haben ein Heer von solchen zusammengestellt, die den Märtyrertod suchen") und das "zionistische Volk". Unterzeichnet ist das Dokument mit "Brigaden des Märtyrers Abdullah Azzam, Organisation al-Qaida, Großsyrien und Kanaan" - ein offenkundiger Versuch, sich selbst in die Nähe des Terrornetzwerks zu stellen.
Keine der beiden Gruppen, die heute diese Sympathiebekundungen veröffentlichten, hat bisher von sich reden gemacht. Es ist denkbar, dass es sich bei den Verfassern der Texte um Trittbrettfahrer handelt, die den Schrecken der Anschläge durch ihre Bekundungen lediglich noch potenzieren wollen.
Der freilich ist auch so schon horrend: Hunderte israelischer Urlauber verließen heute panikartig ihre Urlaubsorte in Ägypten. Der Anschlag der gestrigen Nacht ist unterdessen nicht der erste, der zielgerichtet gegen israelische Urlauber durchgeführt wurde. Ein vergleichbarer Anschlag wurde im November 2002 auf das Paradise Hotel in Mombasa verübt, das von einem israelischen Staatsbürger geführt wurde. Kurz darauf scheiterte der Versuch, ein Flugzeug der israelischen Fluggesellschaft Arkia abzuschießen. Hinter beiden Anschlägen wird al-Qaida vermutet.
Die Anschlagsserie in Ägypten vermischt so Qaida-Traditionen mit der traditionellen Taktik ägyptischer Terrorgruppen, die eigene Regierung zu destabilisieren - indem nämlich Touristen angegriffen werden, die eine der Haupteinnahmequellen des Landes darstellen. Auch das spricht dafür, eine Verbindung der Attentäter zur al-Qaida nicht vorschnell auszuschließen.