Terror in Afghanistan Cüneyt C. - Der erste Selbstmordattentäter aus Deutschland?
Berlin/Kabul Die letzte Mission begann um exakt vier Minuten nach vier am Nachmittag des 3. März. Gerade hatte der Fahrer seinen blauen Toyota Dyna-Kleinlaster vor dem Sabari Distriktzentrum in der ostafghanischen Provinz Khost gestoppt, der Motor lief noch, da drückte er den Zünder. Die Wucht des Sprengstoffs auf der Ladefläche ließ die Erde beben, das Eingangsgebäude stürzte in sich zusammen, unter den Betontrümmern wurden Dutzende US-Soldaten verschüttet. So heftig war die Detonation, dass Augenzeugen von einem Raketenangriff auf das vor zwei Monaten von der US-Armee errichtete Verwaltungsgebäude ausgingen.
Nach der Detonation herrschte Chaos. Angreifer mit AK-47 stürzten auf US-Soldaten am Eingang zu, wollten das Gebäude stürmen, doch die US-Kämpfer wehrten sie ab. Noch Stunden nach der Attacke wühlten Ärzte und vom Knall taube Soldaten im Schutt, Hubschrauber flogen die Schwerverletzten weg. Zwei US-Soldaten konnten die Helfer nur noch tot herausziehen, gut ein Dutzend weitere wurden schwer verletzt. Es war der schwerste Angriff auf die Schutztruppe Isaf dieses Jahr in Afghanistan - nur eine Stunde entfernt von der pakistanischen Grenze.
Chaos und Verwirrung mit einer Bombe, dann mit Bewaffneten angreifen und den Sturm versuchen - spätestens seit dem blutigen und symbolträchtigen Angriff auf das Kabuler Nobel-Hotel Serena im Januar gilt das als eine typische Taliban-Technik. Und ganz nach Drehbuch der fragilen Lage Afghanistans im Jahr sieben der Isaf-Mission brüstete sich auch in diesem Fall schnell ein Sprecher der Gotteskrieger mit der Attacke. Die Opferzahlen übertrieb er, wie so oft, reichlich und freute sich zynisch über den Angriff auf ein Symbolprojekt der US-Armee in Khost.
Ein Alptraum für die Terrorfahnder
Seit dem 6. März beschäftigt der Fall auch deutsche Terrorfahnder. Seit Experten des Berliner Terror-Abwehrzentrums (GTAZ) im Internet ein Pamphlet inklusive Fotos eines grinsenden, bärtigen Mannes entdeckten, gehen sie mit Hochdruck einem heiklen Verdacht nach. Einiges spricht dafür, dass der Bomber von Khost kein radikaler Afghane oder Pakistani war. Vielmehr könnte ein islamistischer Türke aus Bayern, geboren in Freising und als gefährlich eingestuft, der Täter sein. Es wäre der Alptraum der Ermittler der erste Selbstmordattentäter aus Deutschland.
Was die Fahnder im Netz fanden, las sich zunächst wie pure Propaganda. Auf anderthalb Netzseiten skizziert die Terrorgruppe Islamische Dschihad Union (IJU) auf Türkisch, wie sie "gegen das Militärlager der Besatzer von Ungläubigen" mit 4,5 Tonnen Sprengstoff vorging, wie das US-Lager "vollkommen vernichtet" wurde. Genüsslich zitieren die Verfasser Taliban, mit denen die Operation vorbereitet worden sei, die von Hubschraubern zum Abtransport der Leichen berichten. Statt der beiden toten US-Soldaten raunt die IJU düster von 60 Opfern.
Dann wird es blumiger und doch sehr konkret. Cüneyt C., alias Saad Ebu Furkan, habe den Anschlag "erfolgreich durchgeführt" - ein "tapferer Türke, der aus Deutschland kam und sein Luxusleben gegen das Paradies eintauschte". Angeblich, so die Verfasser, betete "unser Bruder stets darum, den Ungläubigen großen Schaden zuzufügen". Dieses Gebet von Cüneyt C. habe Allah mit dem Anschlag nun erhört. Unterzeichnet ist das Schreiben mit "Pressestelle der Islamischen Dschihad Union".
Mit Frau und Kindern abgesetzt
Der vermeintliche Märtyrer aus Deutschland ist keine fiktive Figur. Cüneyt C., ein 28-jähriger Türke, ist als Islamist bekannt und gehört zu den Kontaktpersonen der Sauerland-Gruppe um Fritz Gelowicz und Adem Yilmaz spätestens seit deren Festnahme gilt auch er als brandgefährlich. "Ismail aus Ansbach", wie C. von Freunden genannt wurde, setzte sich schon vor dem Zugriff ab. Bereits am 2. April verließ er mit seiner Frau und den beiden Kindern Ansbach, vorher löste er seine Wohnung auf, kündigte seinen Arbeitsvertrag und meldete sich ordnungsgemäß beim Amt ab.
Für die Fahnder gehört C. seitdem fest zum suspekten Reisekader, der aus Deutschland nach Pakistan zog, sich dort nach Meinung der Behörden als Dschihadisten ausbilden ließ und aus Sicht der Behörden nun mehr als gefährlich ist.
Die Gruppe, teilweise mit deutschen Pässen ausgestattet, ist untereinander befreundet. Der junge Vater aus Ansbach war ein Kumpel von Adem Yilmaz aus der Sauerland-Gruppe. Die Ermittler nehmen an, dass Yilmaz C.s Reise über die Türkei und Iran nach Pakistan organisierte. Yilmaz gilt als eine Art Reisebüro, er kannte die Route und die Ansprechpartner, die den Weg in die Terrorlager wiesen.
Seinen Dschihad-Freunden aus Süddeutschland hinterließ der Islamist C. bei seiner Abreise sogar noch seinen Renault Twingo, den die Polizei bereits verwanzt hatte. Die Brüder fuhren den Wagen noch einige Wochen und gingen damit auf die Suche nach US-Amerikanern, deren Wagen sie demolierten. Dann, im Juni, verkauften sie das Dschihad-Asservat des Glaubensbruders aus Ansbach. Zu diesem Zeitpunkt waren ihnen die Fahnder schon rund um die Uhr auf den Fersen, da sie von den Terrorplänen des Trios durch Hinweise aus den USA Wind bekommen hatten.
Drückte "Ismael aus Ansbach" den Zünder?
Mit dem Bekennerschreiben aus dem Netz scheinen die schlimmsten Hypothesen der Ermittler wahr zu werden. Alles passt plötzlich zusammen: der junge Türke, der nach Pakistan ging und nun womöglich in Afghanistan seine Bestimmung fand, und das Bekennerschreiben auf einer von der noch weitgehend mysteriösen IJU genutzten Webseite, auf der auch die Verhaftung der Sauerland-Gruppe kommentiert wurde. Lange schon gehen die Behörden davon aus, dass Chef-Kader der IJU die geplanten Anschläge in Deutschland zumindest beförderten und das Trio zu Taten drängte.
C. wäre nach Sadullah K. aus Langen bereits der zweite Islamist aus Deutschland, der in den vergangenen Monaten im fanatischen Kampf gegen die Ungläubigen fiel. K., ein junger Deutscher aus Hessen, ebenfalls von Adem Yilmaz geworben, starb im Oktober bei einem Luftschlag der US-Luftwaffe in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, nachdem er wie C. in einem Lager der IJU ausgebildet worden war. Im Fall von K. lieferte die CIA den Beweis für seinen Tod. Mit dem neuen Verdacht nun verdichtet sich die These, dass die Pakistan-Reisenden zu allem bereit sind.
Die Ermittler vermuten, dass C. spätestens Ende April 2007 bei der IJU in Pakistan eingetroffen sein muss. Das geht aus einer E-Mail hervor, die jener ominöse IJU-Kommandant mit dem Decknamen "Sule" am 26. April an Fritz Gelowicz sandte. Darin spricht "Sule" von zwei "Familien" aus Deutschland, die mittlerweile bei ihm seien und die von den Brüdern aus Deutschland geschickt worden seien. Das Lager der IJU soll sich zu diesem Zeitpunkt in einem Ort namens "Mir Ali" in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion befunden haben.
Dort verliert sich C.s Spur. Zwar erhielten die Behörden im Januar einen Hinweis, der junge Türke sei möglicherweise bei Kämpfen in Pakistans Grenzregion zu Afghanistan getötet worden, doch diese ließen sich nicht verifizieren. Eine erste Analyse der Bilder von der Website ergab, dass es sich bei dem Mann durchaus um den jungen Türken aus Deutschland handeln könnte.
"Zu plausibel für einen reinen Propaganda-Gag"
Seit dem 6. März tun die deutschen Behörden alles, um zu klären, ob "Ismail aus Ansbach" den Zünder drückte. In Kabul arbeitet der Verbindungsbeamte des BKA mit den lokalen Behörden zusammen, um alle Informationen über den Mann auf dem Fahrersitz des Lasters zu bekommen. Über andere Kanäle bemüht man sich, von den US-Truppen oder dem afghanischen Geheimdienst DNA-Material oder Fingerabdrücke für eine Identifizierung zu bekommen. Bisher aber konnte der NDS nur liefern, dass der Täter vermutlich schwarze Kleidung trug.
So blieben die Bemühungen um eine definitive Klärung ohne Erfolg - auch weil die Explosion so heftig war, dass es kaum Spuren gibt. "Wir haben keinen hundertprozentigen Beweis, dass unser Mann dabei war", so ein deutscher Beamter, "doch die Geschichte ist zu plausibel für einen reinen Propaganda-Gag".
Video-Testament im Internet
Für deutsche Ermittler sind die Ergebnisse der aktuellen Recherche auch für das Verfahren gegen die Sauerland-Bomber von Bedeutung. Handfeste Beweise aus Afghanistan über eine IJU-Verbindung nach Deutschland könnte man auch in die Anklage gegen das Trio einbauen. Bisher ist die IJU weitgehend nebulös geblieben, bis auf Erkenntnisse aus Usbekistan und einige kryptische E-Mails an Gelowicz und Co. haben die Bundesanwälte nicht viel in der Hand. Gleichwohl ist die Rolle der Auftraggeber für eine mögliche Verurteilung mehr als wichtig.
Guido Steinberg, Terrorexperte beim Institut für Wissenschaft und Politik, sieht in dem aktuellen Fall "einen weiteren Hinweis dafür, dass diese Organisation IJU tatsächlich besteht". Aus Sicht des Analysten ist die Gruppe "jung, zahlenmäßig klein und nicht sehr stark, aber sie existiert". Deutlich sei auch zu erkennen, dass die Gruppe "durch Veröffentlichungen im Internet versucht, an Profil zu gewinnen".
Weiteren Stoff und möglicherweise Beweise für die Beteiligung von Cüneyt C. hat die IJU angekündigt: In den nächsten Tagen soll sein Video-Testament online gehen.