Verhalten nach Anschlägen Bloß keine Panik

Sonntagabend in Paris, eine hippe Bar am Kanal St. Martin: Ein paar junge Franzosen sitzen auf der Terrasse. Im Inneren des Lokals sind ein Dutzend junge Menschen, vor sich auf kleinen Tischen ein Bier oder Tassen. Plötzlich stürmen Passanten herein: "Weg! Weg! Weg! Schüsse!" Es bricht Panik aus, jeder versucht, sich in Sicherheit zu bringen.
Was war passiert? 800 Meter Luftlinie entfernt auf dem Place de la République war ein lauter Knall zu hören gewesen. In Sekundenschnelle verbreitete sich der Alarm über mehrere Pariser Bezirke, die zwei Kilometer auseinander liegen. Polizisten und Feuerwehrmänner wiesen Passanten an, sofort zu verschwinden. Freunde riefen einander auf den Handys an, um sich zu versichern, dass der andere in Ordnung ist.
Alles wegen eines plötzlichen Knalls.
Die Anschläge am Freitagabend haben Paris stärker erschüttert als die Angriffe im Januar auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo", den jüdischen Supermarkt und französische Polizisten. Damals hatten viele den Eindruck, die Attacken galten nicht ihnen. Nun ist jedem klar: Der Terror kann jeden treffen, es ist allein eine Frage des Zufalls.
Mit diesem Gefühl wird Paris in den kommenden Wochen leben müssen: Der Knall eines Feuerwerkskörpers, eine zerspringende Glühbirne - ein lautes Geräusch kann die Menschen in Unruhe versetzen. Panik, diese Form der Angst, bei der Einzelne oder Gruppen so heftig erschrecken, dass sie sich wie kopflos verhalten und chaotisch zu flüchten versuchen, verdankt ihren Namen dem griechischen Hirtengott Pan. Dieser konnte derart laut schreien, dass er damit ganze Tierherden in Aufruhr versetzte.
Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen hat herausgefunden, dass etwa zehn Prozent der Menschen in einer Menge bereits bei kleinsten vermeintlichen Gefahren loslaufen - und weitere 80 Prozent der Gruppe ihnen folgen. Übrig bleiben zehn Prozent, die bedacht handeln.
Viele Wissenschaftler tun sich allerdings schwer mit dem Begriff Massenpanik. Sie argumentieren, dass die einzelnen Menschen in einer Menge ja durchaus rational handeln, in dem sie sich beispielsweise vor Gefahr in Sicherheit bringen wollen. Das Problem ist jedoch: Ihnen fehlen wichtige Informationen - zum Beispiel, dass es womöglich gar keinen Grund zur Unruhe gibt. Oder wenn doch, welcher Weg ihnen eigentlich offen steht.
Menschen in Panik werden zur Gefahr
Wer glaubt, um sein Leben zu rennen, nimmt keine Rücksicht. Er kann zum Risiko werden für sich und andere. Besonders gefährlich wird es, wenn in einer Menge Panik ausbricht und es keine Chance gibt auszuweichen. Bei der Massenpanik in Mekka im September dieses Jahres kamen nach verschiedenen Schätzungen zwischen 769 und 1470 Menschen ums Leben: Sie zertrampelten und zerquetschten sich gegenseitig.
Vermutlich hatten die Selbstmordattentäter vor dem Stade de France auf ein solches Szenario gesetzt. Ihre Bomben scheinen nicht besonders stark gewesen zu sein. Einer der Selbstmordattentäter hatte die Detonation sogar zunächst überlebt, bevor er auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Doch die Bomben hätten in dem vollen Stadion eine tödliche Massenpanik auslösen können. Das umsichtige Verhalten der Stadionleitung verhinderte ein solches Szenario.
Nach dem falschen Alarm am Sonntagabend kehrten nur wenige Menschen wieder zurück auf den Place de la République. Schweigend standen sie um das Monument in der Mitte des Platzes, auf dem Allegorien für Liberté, Égalité, Fraternité, also Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, prangen. Manche fassten sich an den Armen, um sich gegenseitig Halt zu geben.
Eine Gruppe junger Leute setzte sich mit zwei Gitarren vor das Denkmal. Eine Frau stimmte das Lied "Stand by me" von Ben E. King an, die anderen fielen ein: "No I won't be afraid" - "Ich werde keine Angst haben".
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