Terrorziel Flughafen Tod im Terminal

Atatürk-Flughafen in Istanbul nach dem Anschlag
Foto: OZAN KOSE/ AFP

Atatürk-Flughafen in Istanbul nach dem Anschlag
Foto: OZAN KOSE/ AFPDer Flughafen Atatürk gehört zu den größten Drehkreuzen der Welt, jährlich durchlaufen ihn mehr als 60 Millionen Passagiere. Seit Dienstagabend steht der internationale Airport von Istanbul auch für die Verwundbarkeit von Flughäfen. Mindestens 41 Menschen starben durch Schüsse und Sprengsätze von Terroristen. Der Anschlag erinnert an das Attentat auf dem Brüsseler Flughafen im März, bei dem 16 Menschen getötet wurden. Wie in Brüssel deuten auch im Fall Istanbul erste Hinweise auf Mitglieder des "Islamischen Staats" (IS).
Der Anschlag wirft Fragen nach der Sicherheit in Flughafenkomplexen auf: Brauchen wir noch schärfere Standards, sind sie überhaupt machbar - und falls ja, wie sinnvoll wären sie?
Der Anschlag in Istanbul, sagen deutsche Sicherheitsexperten, könnte ein "game changer" für die Sicherheit an internationalen Flughäfen sein, ein grundlegender Umbruch. "Die Muster der Attacken von Brüssel und Istanbul lehren uns, dass die Terroristen nicht mehr wie beim 11. September 2001 in die Flugzeuge wollen", erklärt ein Beamter.
Statt zu versuchen, entführte Flugzeuge wie in den USA als fliegende Bomben zu nutzen, zielten die Terroristen darauf, "am Flughafen möglichst viele Reisende zu töten". Folglich müsse man den Flughafen als Sammelpunkt von vielen Menschen besser schützen. "Das kann erhebliche Auswirkungen haben."
Brüssel hat schon aufgerüstet
Schon nach 9/11 hatten viele Airports ihre Sicherheitsmaßnahmen erheblich verschärft. Mit neuen Durchleuchtungstechniken und vielen Vorschriften für das Handgepäck verhinderte man erfolgreich, dass Terroristen erneut zuschlagen konnten.
Die Flughafengebäude hingegen sind bis heute leicht und meist ohne jede Kontrolle zugänglich. In Brüssel haben die Behörden nach den Anschlägen bereits aufgerüstet. Dort findet außerhalb des Terminals inzwischen eine gründliche Vorkontrolle statt - die allerdings das schnelle Einchecken der Reisenden erheblich verzögert. Es kommt zu langen Schlangen.
Grundsätzlich stehen die Behörden also vor einem Spagat zwischen Sicherheit und Aufrechterhaltung des Flugbetriebs. Jede weitere Maßnahme führt zu längeren Wartezeiten für die Reisenden.
Kontrollen wie im Kriegsgebiet?
Theoretisch gibt es aber Möglichkeiten, die Sicherheit zu erhöhen. Um die Terminals besser zu schützen, wäre eine Vorabkontrolle wie an Flughäfen in Bagdad oder Kabul durchaus denkbar. Fernab des eigentlichen Flughafens würde schon an einer Sicherheitslinie das Gepäck untersucht. Logistisch machbar wäre es, die Reisenden von dort mit einem Shuttle zum Terminal zu bringen.
Auch in den Terminals könnte man aufrüsten. Zusammen mit der Nato hat die Industrie einen unauffälligen Scanner entwickelt, der an den Eingängen auch in Koffern oder am Körper versteckten Sprengstoff entdecken kann. Das Gerät ist allerdings noch sehr teuer, und absolute Sicherheit verspricht es auch nicht.
Skeptiker warnen: Schon das Signal, das von derart verschärften Kontrollen ausginge, wäre ein Erfolg für die Terroristen. Zum einen würde der freie Reiseverkehr spürbar eingeschränkt. Zum zweiten würden die Flughäfen in Europa, Amerika oder Asien bald jenen in Kriegsgebieten wie im Irak oder in Afghanistan ähneln.
Eine weitere Sorge sind die Kosten. Schon jetzt geben allein die EU-Flughäfen vier Milliarden Euro für Sicherheitskontrollen aus. Finanziell würden neue Maßnahmen über die Flughafengebühren sowohl Passagiere als auch Airlines treffen. "Das allein wäre eine Art Sieg für die Terroristen", sagt Ben Vogel, Chef des Fachmagazins "Jane's Airport Review".
Wie sich ein Hochsicherheitsflughafen anfühlt, erlebt man am israelischen Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv. Er ist einer der am besten gesicherten weltweit. Noch nie wurde ein Flugzeug entführt, das dort gestartet ist. Seit den frühen Siebzigerjahren gab es keinen größeren Terrorangriff mehr - trotz der komplexen Bedrohungslage.
Das liegt vor allem an der äußerst effizienten Zusammenarbeit der israelischen Geheimdienste, von Polizei und Militär mit dem Sicherheitsdienst des Flughafens. "Die Kooperation ist dort viel stärker als an den meisten anderen Orten der Welt", sagt Kobi Michael vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien, "Informationen werden sehr schnell weitergereicht".
Auch das Netz an Kontrollen ist ungewöhnlich dicht. Das Gelände in Tel Aviv ist in "Ringen" organisiert: Der erste Eingang, den Autos und Busse durchfahren müssen, befindet sich kilometerweit von den Terminals entfernt. Die Zwischenstrecke ist mit Kameras ausgestattet, Sicherheitskräfte patrouillieren. Gepäck wird mithilfe von Röntgengeräten durchleuchtet, außerdem mit Sprengstoffdetektoren, die auf Geruchsbasis arbeiten. So genannte Bodyscanner gehören zur Standardausstattung.
Neben technischen Instrumenten setzten die Israelis auf das so genannte "racial profiling", das in Europa sehr umstritten ist: Passagiere werden gemäß ihrer Herkunft und ihres Aussehens in Kategorien eingeteilt. Jeder Passagier erhält einen Aufkleber, der die Sicherheitskräfte über diese Einstufung informiert. "Nicht jeder muss alle Kontrollen durchlaufen", erklärt Kobi Michael, "die Verdächtigen werden wesentlich gründlicher untersucht."
Jahrelange Erfahrung mit allen denkbaren Formen von Terror hätten dazu geführt, dass man strategisch und technisch gut gerüstet sei. "Wir sind grundsätzlich immer auf alles vorbereitet. Wir rechnen mit Angriffen". Diese Alarmstimmung sei auch in der Bevölkerung verbreitet. Die Menschen seien gewillt, für ihre Sicherheit viele Einschränkungen in Kauf zu nehmen.
Bundespolizei ist schon jetzt überlastet
Für Deutschland ist ein ähnliches Modell bis auf weiteres unrealistisch. Hochrangige Beamte in Berlin sehen Gedankenspiele über extrem gesicherte Flughäfen kritisch - ein schneller, ungehinderter Reiseverkehr habe Priorität.
Das könnte sich zwar verändern, sollte es zu einem größeren Terroranschlag auf einen deutschen Flughafen kommen. Doch auch dann wäre offen, wer schärfere Standards am Ende umsetzen müsste. Die für Flughäfen zuständige Bundespolizei ist heillos überlastet und reißt in ihren Planungen schon jetzt erhebliche Lücken, etwa am Kölner Hauptbahnhof, um die Mindestanforderungen des Flughafenschutzes in Frankfurt zu gewährleisten.
Auf Dauer, so ist von deutschen Sicherheitsbehörden zu hören, ließe sich ein systematischer Schutz wie am Brüsseler Flughafen nur gewährleisten, wenn
Zusammengefasst: Flughäfen in Israel, im Irak oder in Afghanistan sind schon jetzt extrem gesichert. Ähnliche Maßnahmen waren für die meisten anderen internationalen Airports bislang undenkbar. Anschläge in Brüssel oder wie jetzt in Istanbul zeigen: Terroristen nehmen zunehmend Flughäfen ins Visier. Flächendeckende schärfere Sicherheitskontrollen könnten die Folge sein - sind aber schwierig umzusetzen.
Video: Terror am Istanbuler Flughafen
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Verzweifelte am Atatürk-Flughafen in Istanbul. Am Dienstagabend schossen dort drei Attentäter um sich und sprengten sich anschließend in die Luft.
Mindestens 36 Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben, Dutzende wurden verletzt.
Augenzeugen berichteten CNN-Turk zufolge, dass heftige Explosionen das Ankunftsterminal für internationale Flüge erschüttert hätten.
Die Attentäter sollen mit dem Taxi zum Flughafen gekommen sein. Die türkische Regierung vermutet den sogenannten "Islamischen Staat" hinter der Tat.
Ein Angehöriger eines Opfers vor einem Krankenhaus in Istanbul.
Andere hatten mehr Glück: Diese Menschen können den Flughafen unverletzt verlassen.
Gleichzeitig patrouillieren Sicherheitskräfte rund um den Flughafen.
Die türkische Polizei sperrte zunächst eine Straße ab.
Schon weit vor dem Flughafen leiten Sicherheitskräfte den Verkehr um. Am Mittwochmorgen war der Flugverkehr am Atatürk-Flughafen wieder aufgenommen worden.
Archivbild: Der Atatürk-Flughafen fertigt pro Jahr mehr als 60 Millionen Passagiere ab. Er gilt als das Tor zur Türkei.
Wartende Menschen vor dem Atatürk Airport. Die Türkei ist in jüngster Zeit immer wieder von Terrorattacken heimgesucht worden.
Abtransport von Verletzten: Vor dem Flughafen-Gebäude sind Dutzende Krankenwagen zu sehen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach den Opfern ihre Anteilnahme aus. Sie sei erschüttert über "diese neuen und hinterhältigen Akte des Terrorismus", sagte sie am Rande des EU-Gipfels in Brüssel.
Der Rote Halbmond versorgt Verletzte. Hinweise, dass Deutsche unter den Opfern des Attentats seien, gebe es bisher nicht.
28. Juni 2016
Atatürk-Flughafen in Istanbul
Erst schießen sie, dann zünden sie Bomben: Drei Selbstmordattentäter töten am Istanbuler Atatürk-Flughafen 41 Menschen. Die Behörden sprechen zudem von mehr als 239 Verletzten. Die Türkei verdächtigt die Terrormiliz IS als Drahtzieher.
7. Juni 2016
Zentrum von Istanbul
Eine Bombe explodiert im Istanbuler Bezirk Vezneciler während der morgendlichen Rushhour nahe einer Bushaltestelle. Ziel des Anschlags ist ein Bus der Polizei. Elf Menschen, darunter sieben Polizisten und vier Zivilisten, sterben, 36 weitere erleiden Verletzungen. Die militanten Freiheitsfalken Kurdistans bekennen sich zur Tat.
10. Mai 2016
Diyarbakir im Südosten der Türkei
Im Zentrum der kurdisch geprägten Stadt Diyarbakir detoniert eine Autobombe. Drei Menschen sterben. 15 Polizisten werden verletzt. Der Sprengsatz explodiert im Bezirk Baglar, als ein Polizeibus vorbeifährt. In der Südosttürkei geht die türkische Armee gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vor, deren Kämpfer sich in Städten verschanzt haben.
1. Mai 2016
Gaziantep, nahe der syrischen Grenze
Vor dem Polizeihauptquartier der südtürkischen Stadt Gaziantep gibt es eine schwere Bombendetonation. Zwei Polizisten sterben. Weitere 22 Menschen werden mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Zu dem Attentat bekennt sich zunächst niemand.
31. März 2016
Diyarbakir im Südosten der Türkei
Bei einem Bombenanschlag in Diyarbakir im kurdischen Südosten der Türkei werden nach Angaben der Sicherheitskräfte sieben Polizisten getötet. 27 weitere Menschen erleiden Verletzungen, darunter mehrere Zivilisten. Die Bombe sei explodiert, als ein Polizeibus in der Nähe des Busbahnhofs der Stadt vorüberfuhr. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu wird einen Tag später in der Stadt erwartet.
19. März 2016
Zentrum von Istanbul
In der beliebten Fußgängerzone Istiklal Caddesi im Zentrum der Millionenmetropole sprengt sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. Er reißt fünf Menschen mit in den Tod, die Behörden melden zudem 36 Verletzte. Unter den Verwundeten sind mehrere Touristen, darunter israelische Staatsbürger. Verantwortlich für den Anschlag könnte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK oder eine ihr nahestehende Gruppierung sein, heißt es in der türkischen Regierung.
13. März 2016
Zentrum von Ankara
Im Zentrum der türkischen Hauptstadt Ankara gibt es eine Explosion. Ein oder zwei Selbstmordattentäter sprengen sich in einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug in der Nähe des zentralen Kizilay-Platzes an einem Busbahnhof in die Luft. 37 Menschen werden getötet, 125 Menschen erleiden Verletzungen. In Sicherheitskreisen heißt es, die PKK oder eine ihr verbundene Gruppierung sei für den Anschlag verantwortlich.
17. Februar 2016
Zentrum von Ankara
Eine Autobombe explodiert im Regierungsviertel Cankaya in Ankara. Sie detoniert am Abend im Berufsverkehr, als ein Konvoi von Armeebussen an der Ampel steht, auf dem Weg zum Militärhauptquartier. Mindestens 28 Menschen sterben, darunter auch Soldaten. 81 Menschen sind verletzt. Die kurdische Terrororganisation "Freiheitsfalken Kurdistans", kurz TAK, bekennt sich zu dem Attentat.
14. Januar 2016
Cinar im Südosten der Türkei
Die Täter zünden eine Autobombe und greifen die Polizeistation von Cinar mit Schusswaffen und einem Raketenwerfer an. Ein Polizist und fünf Zivilisten kommen ums Leben. Die Hauptstadtmedien machen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK für das Attentat verantwortlich.
12. Januar 2016
Altstadt von Istanbul nahe der Blauen Moschee
Ein junger Mann sprengt sich inmitten einer Touristengruppe in die Luft.
Zwölf deutsche Touristen werden getötet, weitere werden verletzt. Der Täter wurde identifiziert und dem "Islamischen Staat" (IS) zugeordnet. Der IS hat sich jedoch zu diesem Anschlag nicht bekannt.