Terrorpläne Wie al-Qaida Heathrow in die Luft sprengen wollte

Sie waren die Masterminds des 11. September 2001 - und danach schmiedeten Ramzi Binalshibh und Chalid Scheich Mohammed erfolgsbeschwingt und energisch neue Anschlagspläne, am liebsten wieder mit Flugzeugen. Dies zeigen ihre geheimen Verhöre. Ein Terrorziel war der Londoner Flughafen Heathrow.
Polizisten im Flughafen Heathrow: (Archivbild 2008): Terrorplot gegen London

Polizisten im Flughafen Heathrow: (Archivbild 2008): Terrorplot gegen London

Foto: epa Rain/ picture-alliance/ dpa

Hamburg - Am Morgen des 11. September 2001 waren Chalid Scheich Mohammed und Ramzi Binalshibh in Karatschi unterwegs, als zwei Flugzeuge in das World Trade Center und eines in das Pentagon rasten. Als Binalshibh und der Scheich etwas später ein Versteck von al-Qaida erreichten, schalteten sie den Fernseher ein. Für die beiden Chefplaner der Anschläge von Amerika war es eine Freudenstunde.

Die Flugzeugattacken seien ein Traum von ihm gewesen, bekannte der Scheich später gegenüber einem Qaida-Vertrauten, sie seien sein Lebenswerk. Eines Tages werde er den Angriff auf das Weiße Haus nachholen, das das vierte, in Pennsylvania abgestürzte Flugzeug, am 11. September womöglich hatte treffen sollen. Scheich Mohammed, Binalshibh, der ebenfalls anwesenden Finanzier der Anschläge, Mustafa Ahmed al-Hawsawi, und ein Neffe des Scheichs sahen die Bilder aus Amerika über den Fernsehschirm laufen, sie prosteten sich zu und dankten Allah für den Erfolg ihrer Operation. So erzählte es Binalshibh später in amerikanischer Haft.

Die detaillierten Schilderungen sind Teil jener geheimen Guantanamo-Dossiers der US-Regierung, die dem SPIEGEL vorliegen und nun von WikiLeaks veröffentlicht werden. Darin enthalten sind auch Berichte über hochrangige Qaida-Funktionäre wie Chalid Scheich Mohammed oder Ramzi Binalshibh, die jahrelang von der CIA in Geheimgefängnissen verhört wurden, ehe sie 2006 nach Guantanamo verlegt wurden.

Die Zusammenfassungen der Vernehmungen enthüllen, mit welcher Energie al-Qaidas Chefplaner Scheich Mohammed auch nach dem 11. September 2001 ähnliche Pläne vorantrieb - vor allem einen Anschlag auf den britischen Flughafen Heathrow. Ein Dreivierteljahr nach den Anschlägen, Anfang Juni 2002, soll Scheich Mohammed Binalshibh in das Heathrow-Szenario eingeweiht haben, das schon weit gediehen schien. Die Idee sei, erläuterte der Scheich, ein in Heathrow startendes Flugzeug zu entführen, es zu wenden und in den Airport stürzen zu lassen.

Was Binalshibh davon halte, wollte der Scheich wissen.

Die Operation sei einfacher, wenn es gelänge, Qaida-Operateure in das Flughafenpersonal einzuschleusen, antwortete Binalshibh, damit diese interne Informationen beschaffen könnten. Jenseits dessen brauche man aber immer noch mindestens ein Team, das das Flugzeug selbst entführe.

Gefangene unter Drogen, Verdacht auf Folter

Seinen Vernehmern berichtete der Scheich später, dafür seien bereits zwei Zellen gebildet worden. Eine der beiden Gruppen residiere in Großbritannien und habe den Auftrag gehabt, ein Pilotentraining in Kenia zu absolvieren, um später das Flugzeug zu steuern. Eine zweite Gruppe in Saudi-Arabien habe, ähnlich wie bei den Anschlägen des 11. September, nach potentiellen Märtyrern Ausschau halten sollen, die an den Attacken mitwirken könnten. Scheich Mohammed, so sagte es Binalshibh, sei begierig gewesen, den Plan umzusetzen.

Die Aussagen der Guantanamo-Häftlinge sind unter Vorbehalt zu bewerten, sie entstanden wohl zumindest in Teilen unter Folter. Chalid Scheich Mohammeds Widerstand etwa unterzog die CIA wiederholte Male mit dem so genannten " Waterboarding". Dabei wird der Häftling auf ein Brett geschnallt und so lange mit Wasser übergossen, bis er zu ertrinken glaubt.

Vieles spricht dafür, dass Chalid Scheich Mohammed, der Architekt der Anschläge des 11. September an einem Ort nahe des polnischen Flughafens Szymany festgehalten und dort gefoltert wurde. Der 9/11-Koordinator wurde über viele Monate mit Psychopharmaka vollgepumpt, andere, schon vorab bekanntgewordene Guantanamo-Akten Binalshibh betreffend, enthalten über Seiten nur Schwärzungen: Die Medikamente, die er nahm, sollten nicht bekannt werden.

Trotzdem sind die Heathrow-Pläne wohl ernstzunehmen, auch Angaben anderer Häftlinge, etwa von Walid Muhammad Bin Attasch, bestätigen, dass das Heathrow-Szenario innerhalb von al-Qaida intensiv diskutiert wurde. Bin Attasch sagte der CIA, er sei nicht nur in die Vorbereitung des Plans eingeweiht, sondern habe ihn selbst vorgeschlagen. Im übrigen gilt Chalid Scheich Mohammed als ein sehr geständiger, stolzer Gefangener, der den Vernehmern auch Taten und Pläne in den Block diktierte, von denen sie bis dahin nichts wussten. Immer wieder betonte der von den Amerikanern nur KSM genannte Gefangene, er wünsche nichts mehr, als so schnell wie möglich den Märtyrertod zu sterben und von den Amerikanern verurteilt zu werden.

Chalid Scheich Mohammed, 46, war von Osama Bin Laden als Operationschef von al-Qaida eingesetzt worden. Er war der Mann, der entschied, welche Ziele al-Qaida ins Visier nahm, der Geld und seinen Segen verteilte und damit aus Sicht der Amerikaner mindestens so gefährlich war, wie Bin Laden selbst. Seine Festnahme im März 2003 durch den pakistanischen Geheimdienst ISI gilt als einer der größten Erfolge im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Unverzüglich händigten die Pakistaner den Festgenommenen an die CIA aus.

Hass auf alles Amerikanische und noch mehr Terrorpläne

Gebrochen durch das "Waterboarding" und den von der Bush-Regierung autorisierten speziellen Verhörtechniken, erzählte Scheich Mohammed in amerikanischer Haft von diversen Terrorprojekten, die jeweils zum Ziel hatten, möglichst viele Ungläubige zu töten. So habe er den US-amerikanischen Qaida-Mann Jafar al-Tayar beauftragt, den Panama-Kanal auszukundschaften, um ein oder zwei mit Sprengstoff beladene Schiffe explodieren zu lassen. Al-Tayar habe auch den allgemeinen Auftrag gehabt, mögliche Ziele in den USA auszukundschaften.

Der Scheich schien wie besessen von der Idee, Flugzeuge zu Terrorwaffen zu machen. Die Liste der geplanten Anschläge will nicht enden in dem "Detainee Assessment" von Chalid Scheich Mohammed, sie geht über mehrere Seiten. Penibel erklärte der Chefplaner seinen Vernehmern anscheinend, was er alles vorhatte. Und korrigierte sie kleinlich, wenn nötig, so in einem Fall, wo er darauf bestand, nur die Hälfte der Verantwortung für die Planungen getragen zu haben. Auch die Anwendung von Nuklearwaffen schloss irgendwann nicht mehr aus: "A nuclear hell storm", "einen nuklearen Höllensturm" wollte er entfachen.

Nie verwunden hatte er anscheinend, das Weiße Haus in Washington als Anschlagsziel verpasst zu haben, das wollte er in einem seiner zukünftigen Pläne wieder wettmachen. Und auch die sogenannte "second wave", die zweite Anschlagswelle, das heißt der Angriff mehrerer Ziele in den USA, blieb eines seiner Projekte. Flugzeuge wurden eine Art Obsession für ihn. Ende 2001 habe er die Anweisung gegeben, das "höchste Gebäude Kaliforniens" mittels eines entführten Flugzeugs anzugreifen. Den Zugang zum Cockpit sollten sich die Attentäter mit mindestens zwei in der Schuhsohle versteckten Bomben verschaffen. Auch das geht aus den Dokumenten hervor.

Ebenso wie ein geplanter Anschlag auf ein westliches Kriegsschiff im Hafen von Dubai per Flugzeug. Dazu sollte eine Maschine am Flughafen Dubai gekidnappt, mit Sprengstoff beladen und dann gen Hafen geflogen werden. Der Sprengstoff, auch das war Teil des Plans, der nun durch die Aussagen der 14 "High Value"-Gefangenen bekannt wird, sollte von einem jemenitischen Qaida-Führer geliefert werden, der Transport dann über Landweg von Jemen gen Dubai erfolgen. Zur Tarnung war unter anderem vorgesehen, die explosive Ware unter Fischen zu verstecken. Teilweise lesen sich die Qaida-Pläne wie wilde und zuweilen auch recht naive Räuberpistolen.

Den Qaida-Operateur Lyman Faris will der Scheich im April 2002 angewiesen haben, eine grundsätzliche Studie über eine mögliche Infiltration des Frachtbereichs von Flughäfen auszuarbeiten. Er habe vorgehabt, mehrere Frachtflugzeuge zu entführen und sie gleichzeitig in verschiedene Flughafengebäude in den USA stürzen zu lassen. Faris habe auch die Brooklyn Bridge in New York zerstören sollen.

Tödlicher Streit um US-Geisel

Vergleichsweise überschaubar war hingegen eine Idee, die kurz vor der praktischen Anwendung stand, aber nach einer Razzia in Karatschi aufflog. Im September 2002 fanden pakistanische und amerikanische Sicherheitskräfte manipulierte Videospielkassetten der Firma Sega, die mit Sprengstoff gefüllt und per Fernsteuerung teilweise über Mobiltelefone, gezündet werden sollten.

Scheich Mohammed war nicht nur der Chefplaner, sondern wohl hausinterner, mobiler Bankier zur Finanzierung diverser Operationen. Dem langjährigen indonesischen Topterroristen Hambali, der mittlerweile ebenfalls in Guantanamo festgehalten wird, übermittelte er nach eigenen Angaben 130.000 Dollar - 100.000 davon als Belohnung für den erfolgreichen Anschlag auf der Insel Bali im Oktober 2002 und weitere 30.000 Dollar für künftige Aktionen.

Anfang 2002, als der Fahndungsdruck in Pakistan höher wurde, habe er einem Vertrauten namens Saifullah Paracha zwischen 500.000 und 600.000 Dollar übergeben, die dieser für ihn verwahren sollte; Paracha habe ein halbes Jahr vorher den Auftrag erhalten, sichere Anlageformen auszusuchen. Summen wie diese übergab er gern eingewickelt in Zeitungs- oder auch Zellophanpapier.

Wie groß Scheich Mohammeds Hass auf alles Amerikanische war, zeigt eine weitere Episode aus den Guantanamo-Akten, die den Tod des Wall-Street-Journal-Reporters Daniel Pearl betrifft. Nach Angaben eines Qaida-Mitglieds habe es 2002 einen Streit zwischen Scheich Mohammed und dem hochrangigen Qaida-Mann Seif al-Adl gegeben.

Pearl war in Pakistan in eine Falle gelockt und während eines vermeintlichen Interviewtermins entführt worden, die Entführer übergaben ihn anschließend Scheich Mohammed, der damals das Kommando über terroristische Operationen in Karatschi besaß. Es wäre nicht sehr weise, Pearl umzubringen, sagte al-Adl und riet dazu, den Journalisten entweder freizulassen oder aber den ursprünglichen Entführern zurückzugeben. Chalid Scheich Mohammed widersprach.

Ein paar Tage später war Daniel Pearl tot.

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