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Dschihadisten: Von Waziristan aus gegen den Westen

Terrorwarnungen Europa im Visier

Geheimdienste warnen vor einer angeblich geplanten Anschlagserie islamistischer Terroristen in Europa, auch Dschihadisten aus der Bundesrepublik sollen an den Planungen beteiligt sein. Deutsche Sicherheitskreise allerdings sehen keine akute Gefahrenlage.
Von Yassin Musharbash

Berlin - Die Meldungen klingen dramatisch: Mehrere TV-Sender und Zeitungen berichteten über angebliche Terrorpläne islamistischer Extremisten in Europa, auch Deutschland sei gefährdet. Der US-Präsident Barack Obama, so der US-Fernsehsender ABC, sei über die Terrorgefahr unterrichtet worden. Mit seinen schwer bewaffneten Drohnen in Pakistan, meldet das "Wall Street Journal", versuche der US-Auslandsgeheimdienst CIA die angeblich geplante Anschlagserie zu vereiteln. Und der britische Sender Sky News erklärt, die Planungen der Terroristen seien bereits weit fortgeschritten gewesen.

In deutschen Sicherheitskreisen heißt es allerdings übereinstimmend, der Eindruck, es gäbe eine neue und akute Gefahrenlage, sei falsch. Tatsächlich gäbe es keine neuen Erkenntnisse, die auf unmittelbar bevorstehende Anschläge in Europa hinwiesen, auch wenn generelle Bestrebungen verschiedener Gruppen in dieser Richtung bekannt seien. Vielmehr seien offenbar unbestätigte Geheimdienstinformationen und Planspiele in die Berichte eingeflossen.

SPIEGEL ONLINE analysiert die Hintergründe.

Was hat die Warnungen ausgelöst?

Sicher ist: Die USA glauben schon seit längerem Hinweise darauf zu haben, dass Terrorgruppen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet Anschläge in Europa verüben wollen. Diese Befürchtung ist jedoch offenbar nicht besonders konkret, sondern beruht eher auf dem Zusammenspiel verschiedener Informations-Schnipsel, unter anderem diesen:

  • Seit Juli 2010 befindet sich im afghanischen Baghram der aus Hamburg stammende Islamist Ahmad S. in Haft. Er wird der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) zugerechnet. In seinen Aussagen hat er, wie der SPIEGEL bereits Anfang dieses Monats meldete, unter anderem erklärt, mehrere Terroristen mit europäischen Pässen seien ausgesandt worden, um in verschiedenen Staaten Europas Anschläge auszuführen. Das Problem: Niemand weiß, wie viel davon wahr ist. Die deutschen Behörden hatten bisher noch keinen direkten Zugang zu S. Sie halten es zumindest für möglich, dass S. die Terrorgefahr absichtlich als groß darstellt.
  • Westliche Geheimdienste stimmen überein, dass es ein "erhöhtes Grundrauschen" in der Kommunikation der Dschihadisten mit Blick auf Europa gibt. Das aber gab es zum Beispiel auch rund um die Bundestagswahl 2009 mit Bezug auf Deutschland, ohne dass daraufhin Anschläge verübt oder vereitelt wurden. Solche Hinweise sind wichtig, aber keine Belege für tatsächliche Planungen.
  • Frankreich ist in diesem Zusammenhang ein Sonderfall: Dort warnen die Behörden seit Wochen eindringlich vor möglichen Anschlägen. Allerdings gilt hier eher die Qaida-Filiale in Nordafrika (AQIM) als möglicher Drahtzieher - zum einen, weil AQIM sich zuletzt deutlich verstärkt auf französische Ziele in Nordafrika fixiert hat, zum anderen, weil Frankreich ein Burka-Verbot beschlossen hat und AQIM-Führer schon 2009 erklärt haben, das würden sie nicht hinnehmen. Zudem sollen nordafrikanische Dienste konkrete Hinweise über verdächtige Reisebewegungen geliefert haben.

Was für Anschläge sind geplant?

Das weiß niemand. Es ist nicht einmal sicher, dass überhaupt Anschläge geplant sind. Jenseits der schwer zu überprüfenden Aussagen des in Baghram inhaftierten Deutschen Ahmad S. gibt es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE derzeit keine Erkenntnisse über konkrete Attentatsplanungen in Europa in naher Zukunft.

Was ist die Islamische Bewegung Usbekistan?

Islamische Bewegung Usbekistan (IBU)

Die ist eine ursprünglich usbekische Gruppe, die seit Jahren vor allem im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet operiert und dort gegen die pakistanische Armee, die afghanische Armee und gegen Nato-Truppen kämpft. Sie wird auf mehrere hundert Kämpfer geschätzt und ist verhältnismäßig gut ausgerüstet. Allerdings erlitt sie 2009 durch die Tötung ihres Führers durch eine US-Drohne einen herben Rückschlag. Bei der IBU hält sich mindestens ein halbes Dutzend Kämpfer aus Deutschland auf, womöglich mehr. Unklar ist, ob die IBU gerade dabei ist, ihre Agenda internationaler auszurichten, das heißt, zum Beispiel Anschläge gegen Ziele im Westen ins Auge zu fassen - was sie bisher nicht getan hat. Es gibt Hinweise darauf, aber keine bekannten Anschlagspläne jenseits der Aussagen von S. in Baghram.

Wer ist al-Qaida im Islamischen Maghreb?

Wie gefährlich sind deutsche Dschihadisten in Waziristan?

Die Qaida-Filiale in Nordafrika, die erst vor einigen Jahren formal gegründet wurde und in Wahrheit die Fortführung dort schon länger bestehender nationaler militanter Islamistengruppen ist, gilt als schlagkräftig - auch wenn sie zuletzt schwer unter Verfolgungsdruck geraten ist. Sie verfügt über gut ausgebildete Kämpfer, hat mehrfach klar gemacht, dass sie zum Beispiel Südspanien als islamisches Gebiet betrachtet und in Frankreich einen besonderen Gegner sieht. Westliche Geheimdienste glauben, dass ein Anschlag durch "Al-Qaida im Islamischen Maghreb" (AQIM) eine ernste Gefahr darstellt. Allerdings sind auch hier keine konkreten, aktuellen Plots bekannt, wie es in europäischen Sicherheitskreisen heißt. Zwar gebe es Hinweise nordafrikanischer Dienste, aber auch die seien noch nicht erhärtet.

Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet halten sich mehrere Dutzend deutscher Dschihadisten auf, sie sind auf mehrere Gruppen verteilt, im Wesentlichen al-Qaida, IBU, Islamische Dschihad-Union (IJU) und Deutsche Taliban-Mudschahidin. Seit die IJU vor drei Jahren die Sauerland-Gruppe zurück nach Deutschland beorderte, um hier Anschläge auszuüben, gilt die Wiederholung eines solches Szenarios als veritable Gefahr. Aber auch in der Krisenregion stellen die deutschen Kämpfer eine Gefahr da: Einer hat sich bereits als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, mehrere waren in Kampfhandlungen verwickelt. Denkbar ist auch, dass eine dieser Gruppen gezielt die Bundeswehr in Nordafghanistan attackiert. Zudem hat al-Qaida im vergangenen Herbst explizit mit Anschlägen in Deutschland gedroht - bisher ist daraus keine konkrete Bedrohung erwachsen. Aber al-Qaida denkt in langen Zyklen. Experten halten daher einen Qaida-Anschlag in Deutschland nach wie vor für möglich. Das geht auch aus einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums vom Mittwoch hervor.

Warum Europa als Ziel?

Al-Qaida

& Co. sind antiwestlich - aber trotzdem ist der Westen nicht ihr Hauptziel. Vorrangig bekämpfen dschihadistische Gruppen die Regime in islamischen Staaten, weil sie sie als ungläubig betrachten und dort die Macht übernehmen wollen. Doch Anschläge im Westen wie in den USA 2001, in Madrid 2004 oder London 2005, steigern das Prestige dieser Gruppen und verschaffen ihnen neue Rekruten. Dazu kommen politische Gründe: Die Teilnahme am Irakkrieg (Großbritannien, Spanien), am Afghanistankrieg (Deutschland), ein Burka-Verbot (Frankreich) oder Mohammed-Karikaturen (Dänemark).

Was ist dran an einem europäischen "Mumbai-Szenario"?

Mumbai-Anschläge von 2008

In einigen Medienberichten wurde darüber spekuliert, die angeblich geplanten Europa-Anschläge sollten nach dem Vorbild der stattfinden. In der indischen Metropole hatte damals eine große Gruppe Attentäter mehrere "weiche Ziele", vor allem Hotels, angegriffen und 166 Menschen getötet. Das Gefecht zog sich über viele Stunden hin. In deutschen Sicherheitskreisen heißt es, ein solches Szenario sei natürlich auch in Europa denkbar, und die Behörden hätten dies "auf dem Zettel". Aber auch hier fehlten erhärtete Hinweise darauf, dass so etwas tatsächlich bereits in Planung ist.

Welche Rolle spielen die Drohnen der CIA?

Die Behauptung, die CIA habe mit Hilfe ihrer Drohnen den geplanten Europa-Plot verhindert, halten einige deutsche Sicherheitsbeamte für genau das: eine bloße Behauptung. Es sind auch Stimmen zu hören, die davon ausgehen, dass die USA dies gezielt lancierten, um ihren Drohnenkrieg zu rechtfertigen, dessen Frequenz in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich gesteigert wurde. Tatsächlich sterben durch die unbemannten Flugzeuge und ihre Raketen regelmäßig Militante (und mit ihnen oft auch Zivilisten). Aber wie wichtig diese waren, was sie geplant hatten - das lässt sich meistens nicht herausfinden.

Wieso warnen die USA so massiv?

Die USA teilen nicht alle ihre Informationen mit befreundeten Geheimdiensten. Am ehesten noch mit den Briten, sicher aber nicht mit den Deutschen. Daher ist es schwer einzuschätzen, ob die USA über das hinaus, was sie weitergeben, veritable Hinweise auf Anschlagsplanungen haben. Sicher aber ist, dass die USA seit Wochen massiv warnen und Druck auf europäische Behörden ausüben, ganz genau hinzuschauen. Allerdings zeigt die Erfahrung mit der Sauerlandgruppe, dass die USA konkrete Hinweise eher schnell als langsam weiterleiten, wenn sie welche haben. Noch aber haben sie solche Informationen nicht weitergereicht. Auch hier also ein Indiz, dass die angeblich geplante Anschlagserie in Europa bisher eher abstrakt als konkret ist.

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