May nach Misstrauensvotum Die Unkaputtbare
Theresa May bleibt Premierministerin. Es gibt vorerst keine Neuwahlen. Labour übernimmt nicht die Macht. Das sind, nüchtern betrachtet, die Erfolge der Tory-Chefin an diesem weiteren kuriosen Tag in Westminister.
325 Abgeordnete lehnen den Misstrauensantrag von Labour ab - das ist nur eine Stimme weniger als Konservative und deren Bündnispartner DUP Sitze haben im britischen Parlament. Endlich, so scheint es, stehen die Regierungstruppen einmal geschlossen.
Es ist schon bemerkenswert, wie viele Rückschläge May in den vergangenen Jahren politisch überlebt hat: Niederlagen im Parlament und vor Gericht, Rücktritte wichtiger Weggefährten, eine Beinahe-Katastrophe bei den Neuwahlen 2017, den Misstrauensantrag aus der Tory-Fraktion im Dezember, das historische Scheitern ihres Brexit-Deals am Dienstag. Und jetzt wieder eine Vertrauensfrage, diesmal gegen die Regierung, eingereicht von Labour.
May ist immer noch da. Doch klar ist: Der Wahnsinn dieser Tage ist für sie noch lange nicht ausgestanden, auch nach diesem Abend nicht.
Und so schaltet die Premierministerin unmittelbar nach der Verkündung des Ergebnisses wieder auf Angriff. "Wir werden weiter daran arbeiten, das Versprechen einzulösen, das wir den Menschen dieses Landes gegeben haben", sagt sie. Es gehe darum, dem Referendum gerecht zu werden - "und die Europäische Union zu verlassen".
Der Brexit bleibt das ungelöste Megathema, das dem Vereinigten Königreich eine ungewisse Zukunft beschert - und der Premierministerin auch. Dass May diesmal wieder durchkommt, hat aber kurioserweise gerade mit jenem Chaos zu tun, das die britische Politik seit Monaten lähmt.
Denn während die festgefahrene Situation im Unterhaus mit all den Grüppchen und Fraktionen der Premierministerin bei den Brexit-Verhandlungen größte Sorgen bereitet, kommt sie ihr diesmal entgegen.
Keiner ihrer internen Rivalen will derzeit Verantwortung übernehmen. Labour wiederum hätte die Unterstützung mehrerer Tory-Abgeordneter benötigt, um May zu stürzen. Doch wer wäre für einen derart krassen Loyalitätsbruch infrage gekommen?
- Die ultrakonservativen Brexit-Hardliner, Mays schärfste Gegner? Unvorstellbar, dass sie einem Linksaußen-Politiker wie Jeremy Corbyn zu Neuwahlen verhelfen.
- Und auch die Proeuropäer unter den Tories halten den Labour-Chef für nicht tragbar.
- Dazu kommt: Labour ist selbst beim Brexit tief gespalten. Corbyn will einen neuen Deal, andere wiederum drängen auf ein zweites Referendum.
In dieser Gemengelage war schon vorher klar: Auch diese Abstimmung kann May kaum zu Fall bringen. Es wäre, bei allem öffentlichen Unmut, offenbar auch nicht im Interesse der Bevölkerung gewesen. 53 Prozent wollen laut einer aktuellen Umfrage nicht, dass die Regierung abtritt.
May wird sich nun wieder dem Brexit widmen können - und das ist auch bitter nötig. Denn die Fronten sind verhärtet wie eh und je. Mays Deal mit Brüssel wird von den verschiedensten Seiten abgelehnt. Die einen kämpfen verbissen für einen Brexit ohne Kompromisse. Andere wollen unbedingt in der EU bleiben. Manche wiederum stören sich eher an Details des von May mit Brüssel ausgehandelten Austrittsvertrags. Auch mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum gibt es in keinem dieser Lager ernsthafte Bewegung.
Und das gilt auch für May.
Unmittelbar nach ihrer Schlappe am Dienstagabend hatte die Premierministerin zwar Gespräche mit "führenden Parlamentariern" angekündigt. Sie wolle gemeinsam mit Vertretern anderer Parteien herausfinden, was für die Unterstützung des Unterhauses notwendig wäre.

Theresa May im Unterhaus vor dem Misstrauensvotum
Foto: HANDOUT/ REUTERSNur: May machte sogleich klar, dass es für sie bestimmte "Prinzipien" gebe. In der wöchentlichen Fragerunde im Parlament sagte sie am Mittwoch, jeder Vorschlag müsse neue Möglichkeiten für Großbritannien schaffen, mit dem "Rest der Welt" Handel zu betreiben.
Schon lange hat die Regierungschefin unabhängigen Handel und die Begrenzung der Zuwanderung als zentrale Kriterien eines EU-Austritts definiert, der nach ihrer Ansicht dem Willen der Menschen beim Referendum 2016 Rechnung trägt.
Doch die Mitgliedschaft in der EU-Zollunion ist die Kernforderung von Labour. Und die Zollunion schließt aus, dass die einzelnen Länder auf eigene Faust Freihandelsverträge abschließen.
Am Mittwochabend konkretisiert May ihr Angebot: Sie wolle die Chefs der anderen Parteien zu Einzelgesprächen einladen, sagt sie unmittelbar nach dem überstandenen Misstrauensvotum. Es ist eine kleine Überraschung. Noch am selben Abend sollten erste Treffen in einem "konstruktiven Geist" stattfinden, sagt May nun.
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Gegen 23 Uhr deutscher Zeit tritt May in der Downing Street vor die Presse: Sie habe bereits Gespräche mit Oppositionspolitikern über den weiteren Brexit-Kurs des Landes geführt, sagt sie. Nur Oppositionschef Jeremy Corbyn gehörte nicht dazu: Er hatte Diskussionen mit May verweigert, solange sie einen ungeordneten Brexit nicht ausschließe.May zeigt sich bei ihrem nächtlichen Pressetermin enttäuscht - "doch unsere Tür bleibt offen", sagt sie Richtung Corbyn.
Doch selbst wenn May den Oppositionsparteien doch noch entgegenkommt- sie bleibt in einem Dilemma: Mit jedem Schritt, den sie etwa auf Labour zugeht, drohen ihr Verluste am rechten Rand ihrer eigenen Partei.
Vorstoß einer Parlamentarier-Gruppe für ein zweites Referendum?
Bis Montag muss die Regierung nun einen Plan vorlegen, wie sie weiter verfahren will. May bleiben die bekannten Optionen: ein verändertes Abkommen mit Brüssel oder ein Austritt ohne Deal. Eine weitere Volksabstimmung oder Neuwahlen hat sie ausgeschlossen. Bislang.
Mittlerweile werden jedoch auch die Pläne einzelner Abgeordneter immer konkreter, selbst die Initiative zu ergreifen. Am Donnerstag bekannten sich etwa 71 Labour-Abgeordnete zu einem zweiten Referendum, Unterstützer haben sie auch in den Reihen der Tories. Eine Mehrheit haben sie derzeit wohl nicht hinter sich. Trotzdem könnten sie kommende Woche im Parlament einen Vorstoß wagen. Die Labour-Spitze dagegen behält sich weitere Misstrauensanträge vor, um doch noch zu Neuwahlen zu gelangen.
Der Brexit-Ausschuss des Parlaments wiederum brachte am Mittwoch eine weitere Idee ins Spiel: Probeabstimmungen, um herauszufinden, welcher Vorschlag eine Mehrheit finden könnte. Falls das auch nichts bringt, solle sich das Parlament für den Aufschub des Austrittstermins aussprechen.
Eine Lösung, das ist klar, wäre auch damit noch immer nicht in Sicht.