Tod des Qaida-Chefs Bin Laden starb im Kugelhagel der US-Elitesoldaten
Islamabad/Washington - Die Jäger kamen im Schutz der Dunkelheit: US-Spezialkräfte haben in der vergangenen Nacht das Versteck von Qaida-Chef Osama Bin Laden gestürmt und den Gründer des Terrornetzwerks erschossen - US-Präsident Barack Obama gab am Montag den Tod Bin Ladens bekannt.
Der Terrorchef hatte sich nach US-Angaben auf einem abgeschirmten Anwesen in Abbottabad verschanzt, rund 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Islamabad. Lange Zeit war vermutet worden, Bin Laden verstecke sich in einer Höhle irgendwo im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet - aber ungemütlich hatte der Terrorchef es zuletzt nicht: Er lebte hinter meterhohen Mauern und Stacheldraht in einer großen Residenz in Abbottabad. Das große Gelände und das Haus sollen rund eine Million Dollar wert sein, sagte ein US-Regierungsvertreter.
Bin Laden ging sehr vorsichtig vor, er wollte keinerlei Spuren hinterlassen: Das Haus hatte weder Internet- noch Telefonanschluss. Die Qaida-Terroristen stellten der "New York Times" zufolge ihren Müll nicht vor die Tür, sondern verbrannten ihn. Trotzdem kam der US-Geheimdienst dem Terrorchef auf die Spur.

Tod von Osama Bin Laden: Zugriff in Pakistan
Die Stadt, die als eine der schönsten Pakistans gilt und von grünen Bergen umgeben ist, ist dicht besiedelt. Und ein pikantes Detail: In der Stadt leben viele Generäle, die Militärakademie Kalkul liegt in der Nähe des Osama-Verstecks. In der vergangenen Nacht wurde Abbottabad nun zum Schauplatz einer riskanten Militäroperation. Nach US-Angaben landete eine "kleine Einheit" von US-Spezialkräften mit zwei Hubschraubern auf dem abgeschirmten Anwesen.
Bin Laden und seine Qaida-Leute waren alarmiert. Es habe Schüsse vom Boden auf die landenden Hubschrauber gegeben, berichtete ein Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters. Wachen des Terrorchefs hätten vom Dach aus das Feuer eröffnet. Mindestens zwei Explosionen waren in der Stadt zu hören. TV-Bilder eines pakistanischen Nachrichtensenders zeigen das brennende Gebäude, die Flammen schlugen meterhoch in den nächtlichen Himmel.
Der Programmierer Sohaib Athar vermeldete unter seinem Twitternamen ReallyVirtual: "Helikopter schweben um ein Uhr nachts über Abbottabad (das passiert selten)". Bedrohlich erschien ihm die Situation offensichtlich nicht. Er schien lieber schlafen zu wollen und fühlte sich von dem Lärm der Kampfmaschinen gestört, denn wenig später schrieb er: "Verschwinde, Helikopter - bevor ich dich mit meiner riesigen Fliegenklatsche plattmache :-/". Dass er gerade die Kommandoaktion gegen Osama Bin Laden dokumentierte, wurde ihm erst acht Stunden später klar. Seine Reaktion: "Oh, Ohh, jetzt bin ich der Typ, der den Angriff auf Osama live geblogged hat, ohne es zu wissen."
Derzeit ist der Ort komplett abgeriegelt, berichtet SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent Hasnain Kazim. Die Bewohner Abbottabads zeigen sich schockiert, dass Bin Laden sich in der Garnisonsstadt versteckt hatte - nur wenige Meter von der Militärakademie entfernt. Viele Bewohner wurden in der Nacht Zeugen des Zugriffs, sie wurden durch die Explosionen und das Feuergefecht aus dem Schlaf gerissen. In manchen Häusern barsten die Fensterscheiben.
Nach Informationen des US-Nachrichtensenders CNN hatten die Spezialkräfte der Navy Seals den Zugriff zuvor mehrfach geprobt. Auf keinen Fall sollten Zivilisten zu Schaden kommen - in der Nähe des Gebäudes, in dem sich der Terrorchef versteckte, stehen weitere Häuser.
Rund 40 Minuten dauerte die Militäroperation, die um 1.30 Uhr begann. Am Ende der Aktion stand ein großer Erfolg: Der Mann, der für die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit fast 3000 Toten verantwortlich gemacht wird, ist tot. Bin Laden sei durch einen Kopfschuss getötet worden, berichtete CNN unter Berufung auf Mitglieder des US-Kongresses. Die Soldaten sollen ihm zuvor angeboten haben, sich zu ergeben, berichtet die britische "Times".
Der Terrorchef wurde US-Vertretern zufolge durch Rekonstruktionstechniken seines Gesichts identifiziert. Außerdem haben die USA eine Untersuchung seiner DNA eingeleitet.
"Das war ein besonders gefährlicher Einsatz"
Bei der Kommandoaktion wurden neben Bin Laden drei weitere Männer und eine Frau getötet. Bei den Männern habe es sich offenbar um einen Sohn Bin Ladens sowie zwei Boten gehandelt. Die Frau sei erschossen worden, als einer der Männer hinter ihr in Deckung gegangen sei. Außerdem seien zwei weitere Frauen verletzt worden. "Das war ein besonders gefährlicher Einsatz", sagte ein ranghoher US-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Mehrere Frauen und Kinder hätten sich zum Zeitpunkt des Zugriffs in dem Anwesen befunden.
Die US-Spezialkräfte blieben unverletzt. Einer der Helikopter sei wegen einer "mechanischen Panne" ausgefallen und deshalb zerstört worden, hieß es. Beim Rückzug habe die gesamte Einheit mit dem verbleibenden Hubschrauber ausgeflogen werden müssen - samt der Leiche Bin Ladens. Die US-Regierung gab zunächst nicht bekannt, welche Spezialkräfte genau den Einsatz ausführten. Der TV-Sender ABC berichtete allerdings, es habe sich um rund 25 Soldaten der Eliteeinheit Navy Seals gehandelt.
CIA-Chef Leon Panetta und weitere Geheimdienstmitglieder verfolgten die Militäroperation in Echtzeit: Der Einsatz wurde nach Angaben eines Regierungsvertreters per Live-Aufnahme ins Hauptquartier des US-Geheimdienstes übertragen: "Als klar war, dass der Einsatz ein Erfolg war, gab es von den CIA-Leuten einen ziemlich kräftigen Applaus", sagte er.
Ein Bote Bin Ladens brachte den US-Geheimdienst auf die Spur
Die Geheimdienste kamen US-Angaben zufolge über einen Boten Bin Ladens auf die entscheidende Spur zum Versteck des Terrorchefs. Die Sicherheitsexperten hatten den Mann bereits seit einiger Zeit überwacht. Im August 2010 verfolgten die US-Agenten die Spur des Boten zu dem Gebäude. Ihnen war schnell klar, dass es sich um ein wichtiges Haus handeln musste - weil es so groß war und dazu so gut gesichert. Mehrere Wochen untersuchte der CIA anhand von Satellitenbildern das Gelände, im vergangenen September kam der Geheimdienst zu dem Ergebnis, dass es "sehr gut möglich" sei, dass sich dort Bin Laden verstecke, berichtete die "New York Times".
Der Zeitung zufolge handelt es sich bei dem Boten um einen Protegé von Chalid Scheich Mohammed, dem Mastermind der Anschläge vom 11. September 2001. Guantanamo-Häftlinge hätten bei Verhören sein Pseudonym genannt, es hätte vier Jahre gedauert, bis der US-Geheimdienst den wirklichen Namen des Mannes gekannt habe. Zwei weitere Jahre hätten sie benötigt, um sein genaues Einsatzgebiet zu kennen. Im August schließlich wären sie auf seine Spur zu dem Gebäude in Abbottabad gestoßen.
Am 14. März hielt US-Präsident Obama laut "New York Times" ein erstes Treffen mit seinen engsten Sicherheitsexperten ab, um über die Kommandoaktion zu beraten. Das letzte Treffen fand demnach vergangenen Freitag statt - während die ganze Welt nach London schaute: zur Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton.
Obama lobte in seiner Rede an die Nation den Einsatz: "Ein kleines Team von Amerikanern führte die Operation mit außergewöhnlichem Mut und außergewöhnlicher Fähigkeit aus. Kein Amerikaner kam zu Schaden. Sie achteten darauf, zivile Opfer zu vermeiden."
Pakistan bezeichnete die Tötung von Bin Laden als "erheblichen Rückschlag" für die weltweit aktiven Terrororganisationen. Der Einsatz des US-Spezialkommandos sei "in Übereinstimmung mit der erklärten US-Politik erfolgt", hieß es in einer am Montag vom pakistanischen Außenministerium veröffentlichten Mitteilung. Der Tod des Qaida-Chefs zeige die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, darunter Pakistan, den Terrorismus zu bekämpfen. Der pakistanische Staatschef Asif Ali Zardari hatte zuvor sein Sicherheitskabinett zu einer Krisensitzung einberufen.
Die US-Behörden informierten die pakistanischen Behörden nach Angaben eines US-Regierungsvertreters zunächst nicht über ihre Erkenntnisse. "Wir haben die geheimdienstlichen Erkenntnisse über die Residenz (in der sich der Qaida-Chef aufhielt) mit keinem anderen Land geteilt, auch nicht mit Pakistan", sagte der Regierungsvertreter in einer Telefonkonferenz. Die Verletzung der pakistanischen Souveränität sei durch die "moralische Pflicht zum Handeln" geboten gewesen.
Präsident Obama erklärt in seiner Rede an die Nation, er habe in der Nacht mit Pakistans Präsident Zardari telefoniert, sein Team habe auch mit den pakistanischen Kollegen gesprochen. "Sie stimmten zu, dass dies ein guter und historischer Tag für unsere beiden Nationen ist", so Obama.