Tod des Terrorführers Bin Ladens blutrünstiger Gehilfe
Hamburg - Die Welt atmet auf. Abu Mussab al-Sarkawi, der meist gesuchte Terroristenführer im Irak ist tot. Eine jahrelange Jagd hat ihr Ende gefunden. Als Führer der irakischen al-Qaida-Filiale verübte Sarkawi mit seinen Mitstreitern zahlreiche Anschläge im Irak und in Jordanien. Das Markenzeichen des Fanatikers: Grenzenlose Brutalität.
Abu Mussab al-Sarkawi wurde um 1966 als Ahmed Fadil al-Khalaila im jordanischen Sarka geboren. In ärmlichen Verhältnissen wuchs er als eines von zehn Kindern in der Stadt auf, aus deren Namen er später seinen Kampfnamen ableitete. Sein Vater war traditioneller Heiler und städtischer Angestellter, seine Mutter tiefgläubig. Sarkawi galt als eher mittelmäßiger Schüler, der die Schule ein Jahr vor seinem Abschluss mit 17 Jahren abbrach. Als Teenager soll sich Sarkawi Jugendgangs angeschlossen haben, die gerne dem Alkohol zusprachen und die Nachbarschaft unsicher machten. Häufig musste seine Familie ihn zu jener Zeit auf der Polizeiwache abholen. Erst als die Familie ihn dann bei einem islamischen Geistlichen umerziehen ließ, begann sein Sinneswandel.
In der Moschee traf er fromme Koranstudenten, die in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer gekämpft hatten. Ihre Erzählungen reizten den jungen Radikalen, Ende der achtziger Jahre machte er sich selbst auf den Weg zum Schlachtfeld. Als er aber 1989 in Afghanistan ankam, gab es nichts mehr zu kämpfen: Die Sowjets waren gerade abgezogen. Stattdessen nahm Sarkawi einen Job bei einer unbedeutenden islamischen Zeitung an. Erstmals soll er hier, so sagen es die Geheimdienste, Kontakt zum saudischen Millionär Osama Bin Laden und dessen Terror-Netzwerk al-Qaida geknüpft haben.
1993 kehrte er zurück in sein Geburtsland Jordanien, um seinen Beitrag für den Dschihad, den Heiligen Krieg, zu leisten. Er schloss sich einer palästinensischen Militärgruppe an, deren Absicht die Bekämpfung Israels von jordanischem Boden aus war. Doch schon bald fand sein erster Kampf ein vorzeitiges Ende: Sarkawi wurde verhaftet, weil man in seinem Haus Waffen und Bomben fand. Die Richter brummten ihm 15 Jahre Haft auf.
Zwar kam er anlässlich der Thronbesteigung König Abdallahs II. 1999 im Rahmen einer Generalamnestie vorzeitig frei. Aber der sechsjährige Gefängnisaufenthalt hat ihn geprägt und nachhaltig radikalisiert. Er lernte den Koran auswendig und entdeckte seine Führungsqualitäten. Regelrechte Audienzen soll er seinen Anhängern im Gefängnis gegeben haben. Als er 1999 in Freiheit entlassen wurde, verließ Sarkawi das Gefängnis mit einem neuen Feindbild: dem jordanischen Staat. Dieser Staat hatte ihn, der sich gegen Israel erheben wollte, eingesperrt - für ihn der Beweis für die Amerika-Hörigkeit und Ungläubigkeit der Monarchie.
Gescheiterter "Milleniums-Plot"
Wieder auf freiem Fuß, begann Sarkawi umgehend mit Planungen für Anschläge in Jordanien: Der sogenannte "Milleniumsplot", der zur Jahrtausendwende umgesetzt werden sollte und parallele Explosionen an neuralgischen Punkten vorsah, wurde verhindert. Sarkawi, nun Staatsfeind Nummer eins in Jordanien, gelang die Flucht. Er tauchte erst in Afghanistan wieder auf, wo das Taliban-Regime Islamisten aller Couleur Unterschlupf bot. In der Stadt Herat in West-Afghanistan begann er, ein Ausbildungslager aufzubauen.
Im Februar 2002 wurde Sarkawi erneut veurteilt. Jordanische Richter erklärten ihn in Abwesenheit wegen eines Bombenanschlags im Jahr 1999 für schuldig. Auch bei der Ermordung des US-Diplomaten Lawrence Foley am 28. Oktober 2002 galt Sarkawi als Drahtzieher. Dieser Anschlag war der erste "Erfolg" für Sarkawi überhaupt. Er brachte ihm am 6. April 2004 in Abwesenheit das Todesurteil ein.
Sarkawis blutige Spur wurde von nun an immer länger. Mit dem Irak-Krieg begann im März 2003 Sarkawis ganz persönlicher Dschihad. Zunächst hielt er still, bis er sich als Feind der USA ins Rampenlicht schob. Aufsehen erregte er mit der Planung des ersten Selbstmordattentates überhaupt im Irak, vor der jordanischen Botschaft in Bagdad. Bald darauf fand sein Hass auf die internationale Gemeinschaft im Anschlag auf das Uno-Hauptgebäude in der irakischen Hauptstadt Ausdruck, bei dem auch der Sondergesandte der Weltorganisation starb. Erst nach sechs Monaten meldet sich Sarkawi jedoch mit einem flammenden Dschihad-Appell persönlich zu Wort.
Im Mai 2004 ging im Internet ein Video um die Welt, das zeigte, wie der US-Bürger Nicholas Berg geköpft wurde. Der US-Geheimdienst CIA geht davon aus, dass Sarkawi selbst das Schwert führte und Berg ermordete. Die USA setzten ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar auf ihn aus. Das Logo seiner Organisation - ein gelber Kreis, ein stilisierter Koran und ein Gewehr - erlangte mit der Ermordung Bergs weltweite Berühmtheit.
Distanz zu bin Laden
Bis dahin schien es, als habe Sarkawi sich trotz Zusammenarbeit davor drücken können, Terrorchef Bin Laden die Gefolgschaft zu schwören. Seine Unabhängigkeit von al-Qaida betonte er in jedem Fall dadurch, dass er seiner Gruppen einen eigenen Namen gab: "al-Tawhid", später ergänzt um den unmissverständlichen Zusatz "Dschihad".
Am 17. Oktober 2004 stellte er seine Gruppe al-Tawhid in einer im Internet verbreiteten Erklärung doch noch unter das Banner der Qaida und schwor Osama Bin Laden die Treue. Es wird vermutet, dass sich Sarkawi von diesem Schritt eine höhere Spendenbereitschaft ausländischer Terror-Sympathisanten erhoffte. Al-Tawhid hieß von nun an "al-Qaida im Zweistromland".
Unter dem neuen Namen ging Sarkawi noch entschlossener in die Offensive. Bis zu einem Dutzend Bekennerschreiben für die zahllosen Anschläge im Irak tauchten täglich auf einschlägigen Websites auf. Doch in der Qaida-Führung wuchsen angesichts der blutigen Attentate auf Schiiten bald die Zweifel an Sarkawis Strategie. Die Nummer zwei der Qaida, Aiman al-Sawahiri, drückte in einem Brief an den irakischen Terror-Kollegen sein Unverständnis aus. Doch Sarkawi blieb seiner blutigen Linie treu.
Im Herbst 2005 verspielte er in seiner verhassten Heimat Jordanien Sympathien, als er in drei Luxushotels in Amman mehr als 50 Zivilisten durch Bomben ermorden ließ. Als Sarkawi den Popularitätsverlust spürte, versuchte er die Anschläge in Jordanien in langen Internet-Reden zu rechtfertigen. Er führe einen Kampf gegen "Beschützer des Zionismus", Unschuldige ins Visier zu nehmen, habe er nicht einen Moment erwogen, sonst hätte er einen Markt attackiert. Sarkawi bemühte sich um Schadensbegrenzung.
Ein neues Logo für ein neues Image
Anfang dieses Jahres dann versetzte Sarkawi seine Anhänger erneut in Erstaunen, als er den neuen Namen "al-Qaida im Zweistromland" so überraschend wieder ablegte, wie er ihn angenommen hatte. Eine Abkehr von al-Qaida, eine Loslösung von Osama bin Laden? Wohl nicht. Am ehesten steckte eine demonstrative Hinwendung zum Land seines Kampfes, dem Irak, dahinter. Sarkawi griff nicht den alten Namen der al-Tawhid wieder auf, sondern ließ die irakische Qaida-Filiale in einer Art irakischem Terror-Dachverband aufgehen.
So gab er in einer "Erklärung über die Gründung des Ratgebergremiums der Mudschahidin im Irak" den Zusammenschluss mit fünf weiteren Gruppen im Internet bekannt. Ziele unter anderen: die Vertreibung der Ungläubigen aus dem Irak zu koordinieren und die Reihen der Glaubenskrieger fest zu schließen. Ein neues Logo und eine neue Art von Bekennerschreiben in Form von Kommuniqués des Ratgebergremiums rundeten die Neugründung ab. Experten vermuten, dass Sarkawi so sein Image im Irak aufpolieren wollte, indem er nicht mehr als Fremder im Irak wirkt.
Dass sich Sarkawi neben seinem kriegerischen Feldzug auch inmitten einer Propaganda-Offensive für seinen eigenen Ruf befand, wurde im April dieses Jahres deutlich. Erstmals veröffentlichte der Terror-Chef ein Videoband. Die Aufnahmen enthielten eine etwa 15-minütige Ansprach und 20 Minuten zusammen geschnittenes Material aus dem "Alltag" des Terroristen. Sarkawi huldigte darin erneut bin Laden und präsentierte sich gleichzeitig als treu ergebener Diener des Landes, in dem er agierte. Der Zuschauer erlebte keinen eifernden Kriegsfürsten, sondern einen nachdenklichen Dschihad-Führer.
Doch der Propaganda-Schuss wäre beinahe buchstäblich nach hinten losgegangen. Denn kurze Zeit nach der Ausstrahlung des Videos stießen US-Soldaten auf das Rohmaterial des Filmchens. Darin war Sarkawi zu sehen, wie er vergebens versuchte, das schwere Maschinengewehr abzufeuern, aber Probleme mit der Entsicherung und dem Abzug hat. Erst als ein verhüllter Gehilfe ihm zur Hand geht, kann Sarkawi feuern. Genüsslich führte das Pentagon diese Bilder vor: Ein Top-Terrorist, der noch nicht einmal eine Waffe bedienen kann.
Abu Mussab al-Sarkawi hat es verstanden, das Vakuum zu füllen, das Osama bin Laden durch seinen erzwungenen Rückzug hinterlassen hatte. Als aktiver Führer im Heiligen Krieg glich er sein fehlendes Charisma vor allem durch skrupellosen Hass und erschreckende Konsequenz in seinem blutigen Tun aus. Er war der einzige wirklich bekannte Dschihad-Führer im Irak. Beibt abzuwarten, ob irgendjemand im Verborgenen lauert, der ihn als Top-Terrorist ersetzen wird.