Tod von Hindu-Nationalist Thackeray Religion, Show, Hass
Bal Thackeray liebte starke Worte. "Wir brauchen Einheiten von Selbstmordattentätern, um Indien und Hindus zu beschützen", sagte er einmal. Schließlich nehme islamischer Terror in Indien zu und "Hindu-Terrorismus" sei "die einzige Antwort" darauf. Ein anderes Mal nannte er Muslime "das Krebsgeschwür Indiens". Und trotzdem - oder gerade deswegen - feierten ihn die hinduistischen Massen. Sie nannten ihn "Sahib", ihren Herren, "Supremo" und "Tiger", nach dem Symbol seiner Partei.
Jetzt ist der Hindu-Nationalist Thackeray im Alter von 86 Jahren in Folge von Atembeschwerden und einer Bauchspeicheldrüsenkrankheit in Mumbai gestorben. "Er hat einen Herzstillstand erlitten", sagte sein Arzt Jalil Parkar am Samstagabend vor Thackerays Residenz. "Wir konnten ihn trotz aller Bemühungen nicht wiederbeleben."
Die Nachricht vom Tod Thackerays ließ Menschen weinend zusammenbrechen. Hunderte hatten vor dem Haus ausgeharrt, in der Hoffnung, ihr Idol würde wieder genesen. Die Polizei von Mumbai hatte in Erwartung der Todesnachricht schon vor Tagen die Sicherheitsmaßnahmen erhöht und Teile der Stadt abgeriegelt.

Bal Thackeray: Sie nannten ihn "Sahib"
"Wir gehen davon aus, dass die Trauer der Menschen über den Tod Thackerays Auswirkungen auf das öffentliche Leben in Mumbai und vielleicht auch in anderen Teilen des Unionsstaates Maharashtra haben wird", sagte ein Polizeisprecher SPIEGEL ONLINE am Telefon. Rund 20.000 Polizisten sollen am Sonntag im Einsatz sein, wenn er beerdigt wird.
Thackeray liebte die ganz große Show
Maharashtra war sein Reich. Dabei sah Thackeray sich gar nicht als Politiker. Er hielt sich eher für einen Wohltäter, der sich für die Belange der Einheimischen einsetzte. Es war Koketterie, denn Thackeray wusste, dass er der einflussreichste Mann von Mumbai war, der Hauptstadt von Maharashtra.
Millionen von Menschen verehrten ihn, sein Wort hatte Gewicht. Bollywood-Stars feierten ihn, und Politikerkollegen fürchteten oder unterschätzten ihn. Denn einerseits war er ja kein Amtsträger, nicht ihresgleichen, er hatte niemals einen Regierungsposten inne. Und doch genügte ein Fingerzeig des Mannes mit dem grauen Bart und der übergroßen getönten Brille und schon stand eine Armee von Straßenkämpfern bereit. Vor allem Industrielle schätzten ihn, weil die von ihm kontrollierten Gewerkschaften nicht so aufmüpfig waren. Und Thackeray wiederum liebte das Big Business, den Alkohol, die Zigarren, die ganz große Show.
Balasaheb Keshav Thackeray wurde im Januar 1926 als erster Sohn nach fünf Töchtern geboren. Sein Vater, ein Sozialreformer und glühender Maharashtra-Patriot, hatte den Familiennamen Thakre in Thackeray anglifiziert, nach William Makepeace Thackeray, Verfasser des Romans "Jahrmarkt der Eitelkeiten". Und Bal Thackerays Eitelkeit nahm monströse Ausmaße an.
Michael Jackson benutzte seine Toilette
Die von ihm 1966 gegründete Organisation hieß Shiv Sena, "Shivajis Armee", benannt nach dem Kriegerkönig Shivaji Bhosale, der das Reich der Marathen, Vorläufer des heutigen Maharashtra, im 17. Jahrhundert gründete. Thackeray, ein Karikaturist, wollte für die Rechte seiner Landsleute, der Maharashtrier, kämpfen. Diese sahen ihre wirtschaftliche Stellung in der eigenen Heimat zunehmend gefährdet durch Zuwanderer aus anderen Teilen Indiens, vor allem aus dem nordwestlichen Gujarat und aus Südindien. "Maharashtra für Maharashtrier" sollte der Slogan der Shiv Sena werden.
Zum Entsetzen vieler Anhänger zeigte Thackeray aber auch Vorlieben für durchaus wenig patriotische Angelegenheiten. 1996 erteilte er dem ersten Auftritt von Popstar Michael Jackson in Indien seinen Segen, und Jackson dankte es ihm, indem er den Konzertgewinn der Shiv Sena spendete. Dass Jackson auf dem Weg zum Flughafen zum Hotel bei Thackeray vorbeischaute und dessen Toilette benutzte, ließ den Inder vor Stolz fast platzen. In den folgenden Tagen ließ er Fotos von seiner Toilettenschüssel verbreiten und wies Kritiker aus den eigenen Reihen zurück. "Jackson ist ein großartiger Künstler, und wir müssen ihn als einen Künstler anerkennen. Seine Bewegungen sind großartig. Nicht viele Leute können sich so bewegen", beschied er.
Er legte sich auch mit indischen Superstars wie dem Kricketspieler Sachin Tendulkar oder mit den Schauspielern Shahrukh Khan und Dilip Kumar an, weil die entweder nicht seinen Maharashtra-Nationalismus teilten oder sich zu freundlich über Pakistan, dem islamischen Erzfeind, äußerten. Thackeray sagte, was er dachte, ungeachtet der Möglichkeit, sich dadurch Feinde zu machen.
Gewalt gegen Muslime
Im Gegenteil, es machte ihm Spaß, Menschen zu provozieren und zu schockieren. Journalisten erzählte er mit Vorliebe, Adolf Hitler sei sein Vorbild. "Hitler hat sehr grausame und hässliche Dinge getan", zitiert ihn die indische Nachrichtenagentur PTI. "Aber er war ein Künstler, und dafür liebe ich ihn. Man muss sich seinen Zauber vor Augen führen. Er war ein Wunder. Juden umzubringen, war falsch. Aber das Gute an Hitler war, dass er ein Künstler war. Er war ein Draufgänger. Er hatte gute und schlechte Qualitäten. Ich habe auch gute und schlechte Qualitäten."
Tiefpunkt und Höhepunkt seiner Karriere als Strippenzieher liegen nur wenige Jahre auseinander. Im Dezember 1992 riss ein Hindu-Mob eine Moschee im nordindischen Ayodhya nieder in dem Glauben, dass dieses vom Mogulherrscher erbaute Gotteshaus am Geburtsort des Hindugottes Rama erbaut worden war.
Im mehrere tausend Kilometer entfernten Mumbai, damals noch Bombay, brach daraufhin Gewalt zwischen Hindus und Muslimen aus. Unter anderem wurden gezielt Muslime in der Stadt identifiziert und massakriert, ihre Häuser niedergebrannt und ihre Geschäfte geplündert. Als Rache platzierten islamische Extremisten wiederum zehn Bomben in der ganzen Stadt, darunter in der Börse und im Air-India-Gebäude. Insgesamt starben während dieser Kämpfe mehr als tausend Menschen.
Eine Richterkommission kam zu dem eindeutigen Urteil, dass Thackeray die Gewalt gegen Muslime befeuert habe. Straßenkämpfer der Shiv Sena hätten auf Befehl von Thackeray gezielt Muslime angegriffen und getötet. Thackerays Antwort: "Ich pisse auf die Urteile der Gerichte. Die meisten Richter sind wie lästige Ratten. Man muss etwas gegen sie unternehmen." Salman Rushdie zeichnete Thackeray in seinem Roman "Des Mauren letzter Seufzer" in der Figur eines Mannes, der alle Muslime in Indien auslöschen will und dessen Wahn zur Zerstörung von Mumbai führt.
Strippenzieher im Hintergrund
Thackeray schrieb in einem Artikel, er sei überhaupt nicht gegen Muslime. "Ich bin nur gegen jene Muslime, die in diesem Land leben, aber die Gesetze dieses Landes missachten." Im Übrigen brauche Pakistan Indien gar nicht anzugreifen - "250 Millionen Muslime in Indien, Pakistan treu ergeben, werden schon einen bewaffneten Aufstand organisieren", lautete sein Urteil - eine Fehleinschätzung, denn indische Muslime empfinden kaum Sympathien für Pakistan.
Den Höhepunkt seiner Karriere erlebte Thackeray 1995, als die Shiv Sena gemeinsam mit der ebenfalls hindu-nationalistischen BJP in Maharashtra an die Macht kam. Erstmals war die Shiv Sena, bislang eine Art Parallelregierung von Mumbai, offiziell in Regierungsverantwortung. Thackeray selbst blieb sich treu und übernahm kein Amt. Er zog die Strippen weiter aus dem Hintergrund. Fortan galt Thackeray als Königsmacher und setzte durch, dass Bombay jetzt offiziell Mumbai hieß. Zwei Dinge nannte er rückblickend "schwere Schicksalsschläge": den Tod seines ältesten Sohnes 1996 bei einem Autounfall und den Streit mit seinem Neffen 2006, der daraufhin die Shiv Sena verließ und eine eigene Partei gründete.
Vor einigen Monaten ließen Shiv-Sena-Leute wissen, der Neffe kehre möglicherweise zur Partei zurück. Man mache sich Hoffnungen auf einen Aufstieg hindu-nationalistischer Parteien, da Indiens Wirtschaft langsamer wachse als erwartet und die Menschen deshalb einen politischen Wechsel wollten.
Es heißt, der Neffe habe Thackeray an seinem Totenbett besucht.