Todeskampf Warum Arafat nicht sterben durfte

Seit 13 Tagen lag Palästinenserpräsident Arafat im Krankenhaus in Paris. In dieser Zeit wurde er mehrfach für tot erklärt. Dem folgten jedoch umgehend Dementis. Obwohl auch seine Nieren und die Leber versagten, ließen die Ärzte Arafat noch nicht sterben - aus vielerlei Gründen.

Hamburg - Ein Jassir Arafat durfte nicht so einfach sterben, so von jetzt auf nachher. Ein Arafat stirbt langsam, er stirbt so langsam, dass mal sein Tod, mal seine Auferstehung verkündet wird - und am Ende leuchtet der Mythos vom unsterblichen Kämpfer für die Sache Palästinas noch kräftiger als zuvor.

So konnte man die Geschichte lesen, die sich seit knapp zwei Wochen im Militärkrankenhaus Percy in Clamart bei Paris abspielte. Doch daneben hatte der hinausgeschobene Tod Arafats handfeste praktische Gründe.

Bereits vergangene Woche hatte Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker den Tod Arafats auf dem EU-Gipfel in Brüssel verkündete - "er ist vor 15 Minuten verstorben". Doch kurze Zeit später behauptete er nach einer Unterredung mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac das Gegenteil - Arafat sei noch am Leben. Auch die Palästinenserführung in Ramallah dementierte die Meldung vom Tode Arafats umgehend. Wäre Arafat gestorben, hätte er nach arabischem Brauch binnen 24 Stunden beerdigt werden müssen - diese Zeitspanne hätte nicht gereicht, um das Notwendige zu regeln.

Führende Palästinenser kamen noch am Tag der ersten Todesverkündung vergangenen Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammen. Am Abend übertrug das Exekutivkomitee der PLO Ministerpräsident Ahmed Kurei die Befugnis, dringende Finanzangelegenheiten zu erledigen. Und man kam überein, am darauf folgenden Tag in den Gaza-Streifen zu reisen, um radikale Palästinensergruppen wie Hamas oder Islamischer Dschihad und auch die Sicherheitsdienste in einen "nationalen Dialog" einzubinden.

Arafat durfte auch nicht zu früh sterben, weil die Frage der Begräbnisstelle bis zuletzt ungeklärt war. Er selbst wollte in "al-Kuds", der heiligen Stadt Jerusalem, beerdigt werden. Dies entspräche auch der Vorstellung der meisten Palästinenser. Doch Israels Premierminister Ariel Scharon ließ dies nicht zu. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn Arafat im Gaza-Streifen oder im Ausland (Ägypten oder Jordanien) beerdigt würde. Justizminister Tommy Lapid sagte unverblümt: "In Jerusalem liegen jüdische Könige begraben - keine arabischen Terroristen."

Auch der Gaza-Streifen und der Jeruslamer Vorort Abu Dis waren als Begräbnisstätten im Gespräch. Arafats Vater und seine Schwester ruhen bereits bei Chan Junis im südlichen Gaza-Streifen.

Dann stimmte die israelische Regierung dem Wunsch der Palästinenserführung zu, Arafat auf dem Gelände seines Hauptquartiers in Ramallah im Westjordanland zu beerdigen. Schweres Baugerät wurde in die Mukata gebracht. Vor der geplanten Bestattung mussten die Trümmer der israelischen Angriffe auf dem Gelände geräumt werden.

Mit gewaltsamen Demonstrationen wäre insbesondere in Abu Dis zu rechnen gewesen. Zu befürchten war, dass die aufgebrachte Menge abermals außer Kontrolle geraten wäre wie bereits während der Beerdigung des Jerusalem-Beauftragten der PLO, Faisal Husseini, im Juni 2001. Damals geriet das Begräbnis zur gewaltsamen Demonstration für eine palästinensische Hauptstadt Ostjerusalem.

Israel und die Autonomiebehörde standen vor gewaltigen organisatorischen Aufgaben. Zu Arafats Begräbnis werden auch Regierungschefs von mit Israel verfeindeten Staaten wie Syrien, Iran oder Libyen erwartet. Verteidigungsminister Schaul Mofaz deutete bereits an, man wolle die Sicherheitskontrollen für hochrangige ausländische Trauergäste bei der Einreise minimieren.

Dann bot sich Ägypten an: Die Regierung von Husni Mubarak zeigte sich bereit, in Abstimmung mit der Arabischen Liga die Trauerfeierlichkeiten für Arafat in Kairo abhalten zu lassen. Die Palästinenserführung stimmte diesem Angebot zu.

Nicht entschieden war lange die Machtfrage. Je länger Arafat am Leben gehalten wurde, desto länger ließen sich die Weichen in relativer Ruhe stellen, desto länger war Zeit, den Sicherheitsapparat auf einen möglichen Aufstand der Islamisten vorzubereiten.

Arafat selbst hatte keinen Nachfolger herangezogen. Vergangenen Freitag gab es zwar Gerüchte, er habe einen letzten Willen verfasst und darin den in Tunis lebenden PLO-Außenminister und Gegner des Oslo-Abkommens, Faruk Kadumi, zum Nachfolger bestimmt. Doch die meisten Chancen werden der Nummer zwei im PLO-Exekutivkomitee, Mahmud Abbas (Abu Masin) und Premierminister Ahmed Kurei (Abu Ala) eingeräumt. Auch den Sicherheitschefs von Gaza, Mohammed Dachlan, und der Westbank, Dschibril Radschub, werden Ambitionen nachgesagt.

Auch um das Erbe des milliardenschweren Vermögens Arafats wurde - und wird wohl - gestritten. Die Diskussion darüber, ob Arafats Geld dem palästinensischen Volk oder Suha gehört, erhitzte die Gemüter. Am Totenbett zankte sich die längst von Arafat getrennt lebende Ehefrau mit den höchsten palästinensischen Repräsentanten. Als Suha diese "Erbschleicher" schimpfte, meinte sie dies nicht nur im politischen Sinne, sondern hatte auch harte Währung vor Augen. Mehr als eine Milliarde sollen auf diversen Konten liegen oder in Investments gesteckt worden sein.

Zuletzt las ihm der hochrangige muslimische Geistliche Scheich Taisir al-Tamimi am Sterbebett Verse aus dem Koran vor - und verweigerte dem Palästinenserführer die Sterbehilfe. Die Abschaltung der Maschinen, die Arafat noch am Leben erhalten, sei "nach islamischen Recht verboten". Auch Außenminister Nabil Schaath sagte, ein Abschalten der lebenserhaltenden Geräte komme nicht in Frage. Es sei "sehr schwer, eine Prognose zu treffen", sagte Schaath. "Er wird sterben, wenn Gott es entscheidet."

Wo immer Arafat beerdigt werden wird - im kollektiven Gedächtnis der Palästinenser wird er einen Ehrenplatz haben. Eines Tages - sollte es je zwei Staaten mit einer Hauptstadt geben - werden sie ihn vielleicht nach Jerusalem überführen können. Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen.

Alexander Schwabe

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