
Tony Blairs Memoiren Hiebe für Gordon, Lob für George
London - Vor der Londoner Buchhandlung ist am Mittwochmorgen nicht viel los. Ein einziger Kunde wartet vor der geschlossenen Tür. Das Buch, das er kaufen will, ist nicht Autobiografie. "Wenn Blair nicht in den Irak einmarschiert wäre, gäbe es hier wahrscheinlich eine Schlange", mutmaßt der junge Mann. Doch so sei das Interesse gering. "Ich glaube kein Wort von dem, was aus seinem Mund kommt."
Das Image des früheren britischen Premiers bei seinen Landsleuten könnte kaum schlechter sein. Auf die 13-jährige Regierungszeit der Labour-Partei wird mit einigem Zynismus zurückgeblickt, Blairs Verwandlung zu einem weltreisenden Multimillionär trägt zur weiteren Entfremdung bei.
So verwundert es nicht, dass das 718 Seiten starke Werk, mit dem Blair an diesem Mittwoch auf die nationale Bühne zurückkehrte, in weiten Teilen wie eine Rechtfertigungsschrift daherkommt. Ausführlich verteidigt der frühere Regierungschef seine umstrittenste Entscheidung, nämlich, das Königreich an der Seite der USA in den Irakkrieg geführt zu haben. Er steht auch ohne Abstriche zu seinem Männerfreund , der ihn zu diesem Abenteuer erst verleitet hat - was Blair weltweit den Spitznamen "Pudel" eingetragen hat.
Mit einer gewissen Bewunderung beschreibt der Ex-Premier die Entscheidungsstärke des Texaners. "Es gibt Anführer, die zerbrechen sich zu viel den Kopf", schreibt er. Bush habe nicht dazu gehört. Er habe die Welt in "immenser Einfachheit" gesehen, daraus habe sich eine entschiedene Führung ergeben. Diese Anpack-Qualität weiß Blair zu schätzen, da er sich selbst als Macher begreift.
Mit Bush schaute er nach dem Abendessen Kinofilme
Schon beim ersten Treffen in Camp David im Februar 2001 ist Blair demnach aufgefallen, dass zwischen Bush und dem verehrten Bill Clinton "Welten" lägen. Es sei "seltsam" gewesen, nun mit dem Republikaner an dem Ort zu sitzen, wo er einst mit dem intellektuellen Demokraten über die Zukunft der neuen Linken diskutiert habe. Statt leidenschaftlichem Polittalk bis spät in die Nacht wollte Bush nach dem Abendessen die Filmkomödie "Meet the Parents" gucken. Doch merkte Blair nach eigenen Angaben sofort, dass Bush "sehr smart" sei. Niemand, belehrt er die zahlreichen Kritiker des früheren US-Präsidenten, stolpere einfach so in diesen Job. "Er war hart und klar und wusste genau, was er wollte."
Blair vermeidet jegliche Abrechnung mit der US-Regierung. Selbst der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kommt ungeschoren davon. Das ist kein Zufall. Die Nähe zu den USA begreift Blair als Großbritanniens wichtigstes strategisches Interesse. Es sei der "größte Unsinn" zu behaupten, der Schulterschluss schade den Briten. Das Gegenteil sei der Fall. Auch seine Kritiker hätten immer "die Tatsache bewundert, dass ich zählte, dass ich ein großer Player war, ein Weltenlenker und nicht bloß ein nationaler Anführer". Den Briten sei es nun mal lieber, wenn ihre Premierminister "international groß auftreten".
"Gordon Brown hat null emotionale Intelligenz"
Daher sei es "ein bisschen schockierend", wie sehr das transatlantische Verhältnis zwischen Europa und den USA zuletzt gelitten habe, mahnt er. Nur gemeinsam könne "der Westen" dem aufstrebenden China Paroli bieten.
So gnädig Blair mit den USA umgeht, so scharf attackiert er die eigenen Parteifreunde, allen voran seinen Erzrivalen . Über seine frühe Zeit mit dem Schotten schreibt Blair noch, sie seien "ein bisschen wie Lover" gewesen, am liebsten ungestört in gemeinsamen Gedankenspielen.
Doch später hat sich diese Anziehungskraft in eine zerstörerische Abneigung verkehrt. Blair bescheinigt seinem Schatzkanzler und Nachfolger, "null emotionale Intelligenz" zu haben und als Premier das Projekt von New Labour verraten zu haben. Er sei "unerträglich" gewesen, die Zusammenarbeit mit ihm eine regelrechte Qual. Es sei von Anfang an "unklug" gewesen, dass ihn Brown als Premierminister ersetzt habe, schreibt Blair. "Es konnte nicht funktionieren." Der Schritt sei "weder politisch vernünftig noch demokratisch" gewesen. Im Nachhinein sei es aber leicht zu behaupten, er habe den Machtwechsel verhindern müssen, zu jener Zeit sei dies "nahezu unmöglich" gewesen.
Die Wahl im Frühjahr hätte Labour gewinnen können, wenn man bei der alten Erfolgsformel des wirtschaftsfreundlichen "Dritten Wegs" geblieben wäre, statt die Steuern zu erhöhen und die Rückkehr des Staates zu propagieren, schimpft Blair.
Die Kritik an seinem wichtigsten Weggefährten wirkt ungewöhnlich beißend - zumal sie gekoppelt ist mit indirektem Lob für den wirtschaftspolitischen Kurs der neuen liberalkonservativen Regierung. Einige von Blairs Parteifreunden reagierten denn auch empört. Er solle lieber die Tories angreifen als die eigenen Kollegen, kritisierte Blairs früherer Vizepremier John Prescott. Browns Anhänger blieben jedoch am Mittwoch stumm, offensichtlich hielten sie es für cleverer, auf Blairs Provokation nicht zu antworten.
20 Seiten über Lady Di
Abgesehen von den Seitenhieben auf Brown fehlt es der Biografie jedoch an Sprengkraft. Stattdessen gibt es reichlich Selbstlob. Volle 20 Seiten verwendet Blair auf Prinzessin Diana. Er ist stolz darauf, nach ihrem Tod die Phrase "Prinzessin der Herzen" erfunden zu haben. Vor allem jedoch sah er in ihr eine verwandte Seele, eine Rebellin gegen das Establishment und eine Verführungskünstlerin. "Wir waren beide manipulativ, konnten schnell die Gefühle anderer wahrnehmen und instinktiv mit ihnen spielen", schreibt der Ex-Premier.
Aus einem ähnlichen Grund fühlte er sich auch zu Rupert Murdoch hingezogen, dem Feindbild aller anständigen Sozialdemokraten. Der erzkonservative australische Medienzar sei "ein Außenseiter, und er hat Eier". Das beeindruckt ein Alphamännchen wie Blair, der gleich im ersten Satz des ersten Kapitels betont, der erste und einzige Regierungsjob, den er je hatte, sei Premierminister gewesen.
Nostalgisch erinnert er sich an die neunziger Jahre, als im Land noch Blair-Mania herrschte. New Labour damals, das sei wie Manchester United in Bestform gewesen, schwärmt er: "Aufregend anzuschauen, nervenaufreibend für den Gegner und ziemlich unaufhaltbar."
Der Kurs der heutigen Labour-Partei hingegen deprimiert ihn. "Ich genieße mein neues Leben viel mehr als mein altes", schreibt der vielgefragte Redner, Wirtschaftsberater und Staatsmann. "Ich finde meine alte Welt in einem Zustand der Verzweiflung, und ich fühle mich schockiert und aufgerüttelt zugleich. Das liegt vielleicht daran, dass ich auf Abstand bin und es daher klarer sehe".
Er glaubt weiterhin an den "Dritten Weg"
Solche Zwischenrufe von Altvorderen sorgen in einer Partei in der Regel für Unmut. Unbeeindruckt mischt sich Blair dennoch munter in die laufende Richtungsdebatte bei Labour ein. Es bestehe die Gefahr, nach links abzudriften, warnt der Modernisierer der britischen Sozialdemokratie. Wenn das so weiter gehe, wäre eine noch größere Niederlage bei der nächsten Wahl garantiert. Er glaube weiterhin an den "Dritten Weg". Die Partei dürfe nicht in das alte Rechts-Links-Denken zurückfallen, sondern müsse offen für Veränderung und Reform bleiben.
Sorge macht ihm auch die neue politische Klasse. Es sei ein Problem, dass Politiker direkt von der Uni als Referenten bei einer Partei anfangen und "absolut keine Erfahrung im nichtpolitischen Leben haben". Die Kritik ist pikant, haben doch beide Favoriten auf den Parteivorsitz, die Brüder David und Ed Miliband, ihre Karriere im Schoß der Partei begonnen.
Freunde dürfte sich Blair mit diesem Vermächtnis kaum gemacht haben.