Tote in Afghanistan Uno fordert Ermittlungen zu Luftangriff auf Tanklaster
Es war der bisher größte Luftschlag im Einsatzbereich der Bundeswehr in Afghanistan: Bei dem Angriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklastzüge könnten nach Nato-Angaben auch zahlreiche Zivilisten getötet worden sein. Die Vereinten Nationen fordern jetzt eine Untersuchung.
Kabul - Das Ziel waren zwei von Taliban entführte Tanklaster, die sich auf einer Sandbank festgefahren hatten: Nato-Flugzeuge griffen die Fahrzeuge im nordafghanischen Kunduz am Freitag an. Der Befehl zum Luftangriff kam von einem Bundeswehroffizier. Offenbar wollten die Aufständischen Benzin aus den Lastzügen abschöpfen. Die Ladung der Tanklaster war für die deutschen Truppen bestimmt.
Die Attacke könnte ein Nachspiel für die Nato-Truppen haben. Es geht um die Frage, wie viele zivile Todesopfer es gab. In der Vergangenheit wurden in Afghanistan wiederholt Zivilisten Opfer von Nato-Operationen. Bei dem Angriff wurden nach Angaben der Bundeswehr mehr als 50 Aufständische getötet. "Unbeteiligte sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Der Schutz von Zivilisten habe für die Bundeswehr bei Militäroperationen oberste Priorität.
Allerdings seien die Ermittlungen der Isaf-Schutztruppe noch nicht abgeschlossen. Bei dem Kommandeur handele es sich um einen "ausgesprochen besonnenen Offizier, der alles andere als ein Hasardeur ist", sagte der Sprecher weiter. Sein Posten stelle derzeit die höchste Herausforderung innerhalb von Bundeswehreinsätzen dar. Insgesamt seien "die vor Ort eingesetzten Kräfte bestens ausgebildet und bestens im Bilde, was sie dürfen und was sie nicht dürfen".
An dem Angriff seien keine Bodentruppen beteiligt gewesen, sagte der Sprecher. Einen Luftangriff in dieser Dimension mit einer so großen Anzahl von Opfern habe es im Einsatzbereich der Bundeswehr aber noch nicht gegeben.
Karsai will Untersuchung
Örtliche Berichte in Afghanistan gehen indes von Dutzenden toten Zivilisten aus. Nach Angaben des Provinzgouverneurs von Kunduz, Mohammed Omar, wurden bei den Explosionen insgesamt bis zu 90 Menschen getötet. Ein Bewohner des betroffenen Dorf Hadschi Amanullah erklärte gegenüber der dpa: "Mehr als 150 Menschen wurden getötet oder verletzt." Sein 20-jähriger Cousin sei unter den Toten. Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat sein "tiefes Bedauern" geäußert. Der Präsident habe eine Delegation entsandt, um den Vorfall zu untersuchen, bei dem "rund 90 Menschen getötet oder verletzt" wurden, teilte Karsais Büro mit. "Unschuldige Zivilisten sollten bei Militäroperationen nicht getötet oder verwundet werden."
Die Vereinten Nationen forderten von der Nato ebenfalls eine eingehende Untersuchung des Luftangriffs. Er sei angesichts der Berichte über zivile Opfer "sehr besorgt", sagte der stellvertretende Uno-Gesandte für Afghanistan, Peter Galbraith. Es müsse geklärt werden, warum ein Luftangriff angeordnet worden sei, obwohl die Situation vor Ort unübersichtlich gewesen sei. Galbraith kündigte zudem an, dass auch die Uno-Mission in Afghanistan ermitteln werde.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen räumte ein, dass es bei dem Luftangriff auch Tote in der Zivilbevölkerung gegeben haben könnte. "Es wurden mit Sicherheit Taliban getötet", sagte er am Freitag in Brüssel. "Es besteht auch die Möglichkeit ziviler Opfer, aber das ist noch nicht klar." Ein Untersuchungsteam sei bereits vor Ort. Rasmussen sagte eine "sofortige und komplette" Untersuchung des Luftangriffs zu. "Das afghanische Volk muss wissen, dass wir alles zu seinem Schutz tun", sagte Rasmussen am Freitag in Brüssel. Ein Nato-Sprecher konkretisierte die Aussagen Rasmussens: In den lokalen Krankenhäusern würden mehrere zivile Opfer behandelt.
EU-Chefdiplomat Javier Solana hat nach Berichten über zivile Todesopfer bei dem Luftangriff die Angehörigen bedauert. "Ich denke, das war sehr dramatisch. Und es tut mir für die Familien der Menschen, die bei der Explosion der Benzintankwagen getötet wurden, sehr leid", sagte Solana am Freitag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Stockholm. "Ich bin darüber sehr traurig."
"Das ist ein erschreckender Preis für ein paar Gallonen geklauten Benzins"
Schwedens Außenminister Carl Bildt bezeichnete den Tod von mehr als 50 Menschen bei den Nato-Bombenangriffen als bedauerlich. Vor Beginn eines EU-Außenministertreffens in Stockholm sagte der amtierende Ratsvorsitzende am Freitag, es habe eine "markante Änderung" des militärischen Vorgehens der alliierten Streitkräfte gegeben, um zivile Verluste zu vermeiden.
Heftige Kritik kam vom Netzwerk Friedenskooperative. "Sollten sich die bisher spärlichen Informationen über die Kämpfe nach der Entführung der Tanklastzüge in der Nähe von Kunduz bestätigen, hat die Bundeswehr ein Massaker zu verantworten", sagte der Geschäftsführer des Netzwerks, Manfred Stenner. Der Bombardierung sollen laut Stenner mehr als 50 Taliban-Kämpfer und etwa 40 Zivilisten zum Opfer gefallen sein. "Das ist ein erschreckender Preis für ein paar Gallonen geklauten Benzins."
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) werde sich zunächst nicht persönlich äußern, machte der Ministeriumssprecher am Freitag in Berlin deutlich. Das Informationsbild sei noch ungesichert. Auf die Frage in der Bundespressekonferenz, ob die Bundeswehr an ihrem Sprachgebrauch festhalten wolle, wonach in Afghanistan kein Krieg herrsche, sagte der Sprecher: "Es handelt sich um einen Stabilisierungseinsatz, zugegeben um einen recht robusten Stabilisierungseinsatz, der Kampfhandlungen miteinschließt."
hen/anr/dpa/Reuters/AFP/ddp