Treueschwur für Bin Laden Sarkawis mysteriöse Message
Berlin - Es ist ein ungewöhnliches Dokument, das da gestern in mehreren islamistischen Internetforen auftauchte. Zum einen löst es ein, was in der Überschrift versprochen wird. "Treueschwur des Anführers Abu Mussab al-Sarkawi gegenüber dem Scheich der Mudschahidin, Osama Bin Laden", lautet der Titel der arabischen Erklärung, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. Und tatsächlich finden sich darin so eindeutige Sätze wie dieser: "Wenn Du befiehlst, dann werden wir dich erhören".
Zum anderen gibt es aber auch Sätze in dem Sendschreiben, die dürften in den Ohren des Adressaten Bin Laden wie ein kleiner Seitenhieb wirken: "Allmählich begriffen unsere ehrenwerten Brüder der al-Qaida die Strategie von 'Tawhid und Dschihad' im Zweistromland ... und sie begannen, sich über unsere Programm dort zu freuen."
Eine reine Liebeshochzeit scheint es also nicht zu sein, was Sarkawi und Bin Laden, die beiden gefährlichsten islamistischen Terroristen der Gegenwart, zusammengeführt hat. Trotzdem beschreibt Sarkawi, der als Verfasser des Briefes zeichnet, das Bündnis als "frohe Kunde". Er und seine Truppe, heißt es zur Begründung, wollten fortan "in schlechten wie in guten Zeiten Gehorsam leisten", damit es "keine Spaltung" der Muslime gebe. Osama Bin Laden sei schließlich der beste Dschihad-Anführer.
Indizien für Authentizität des Schreibens
Auch wie diese Entwicklung zustande kam, kann man der Gefolgschaftserklärung Sarkawis entnehmen: "Es gab seit acht Monaten Verbindungen zwischen dem Scheich Abu Mussab ... und den Brüdern der al-Qaida, und es fand ein gegenseitiger Gedankenaustausch statt".
Schon Anfang des Jahres gab es Gerüchte, ein Kurier Sarkawis sei auf dem Weg zu Bin Laden abgefangen worden. Damals, so war dem angeblich entdeckten Brief zu entnehmen, ging es noch nicht um einen Treuschwur. Vielmehr schilderte Sarkawi in dem vermeintlichen Brief die Lage im Irak. Nun aber, da der Fastenmonat Ramadan angebrochen und die Notwendigkeit der Muslime zur Mobilisierung größer sei denn je, heißt es in dem gestern aufgetauchten Brief sinngemäß, sei die Zeit für die Verschmelzung der beiden Organisationen gekommen.
Schon lange galt Sarkawi, ein gebürtiger Jordanier, der im Irak sein Unwesen treibt und dort Anschläge, Entführungen und Enthauptungen durchführen lässt, als eine Art inoffizieller Statthalter Bin Ladens zwischen Euphrat und Tigris. Zuletzt gab es in internationalen Sicherheitskreisen allerdings Spekulationen, Sarkawi, der in der Widerstandshochburg Falludscha vermutet wird, strebe die Errichtung eines eigenen Terrornetzwerks an. Eitel jedenfalls ist er: Dem Schreiben ist eine Bildmontage angehängt, auf der verschiedene Aufnahmen seiner selbst zu sehen sind.
Die Hypothese von der Emanzipation des ebenso ehrgeizigen wie brutalen Sarkawi scheint nun trotzdem hinfällig - vorausgesetzt natürlich, das gestern aufgetauchte Schreiben ist authentisch. Dafür spricht allerdings, wo es erschien: So wurde es nicht nur in einem islamistischen Internetforum veröffentlicht, in dem schon zuvor Material von "Tawhid und Dschihad" abgelegt worden war, sondern tauchte fast zeitgleich auch in einer weit weniger bekannten Internet-Newsgroup auf, die ganz offensichtlich von Qaida-nahen Personen instand gehalten wird. Bislang wurden auf dieser Seite ausschließlich verhältnismäßig glaubwürdige Nachrichten aus der Welt des internationalen Dschihadismus publiziert.
Doppelte Botschaft an die Muslime und den Westen
In den einschlägigen islamistischen Internetforen bejubelten heute Dutzende Qaida-Sympathisanten das Sendschreiben Sarkawis. Ein Teilnehmer frohlockte, künftig würden die Bekennerschreiben der Sarkawi-Gruppe aus dem Irak wohl mit "al-Qaida - Zweistromland" unterzeichnet. Schon lange genießt der im Irak aktive Terrorist in der Unterstützerszene hohe Sympathiewerte, regelmäßig wird er nach Anschlägen als "Löwe" und "Held" des Islam gefeiert. Die Selbstunterstellung Sarkawis unter die Lehnsherrschaft Bin Ladens beschwört nun in den Augen gläubiger Islamisten die seltenen, dafür umso verklärteren Augenblicke der islamischen Geschichte herauf, in denen verschiedene lokale Führer sich unter einem Kommando zum Dschihad zusammengeschlossen haben. Dieses Bild zu vermitteln ist mit Sicherheit ein Ziel der Botschaft Sarkawis gewesen.
Über mögliche weitere Aspekte rätseln währenddessen Terrorexperten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Dokument zusätzlich eine verborgene Botschaft hat oder Auskunft über die nächsten Schritte der al-Qaida geben könnte. Sorgen bereitet zum einen die Beschreibung des Fastenmonats Ramadan als "Monat der Gaben und Triumphe". Muslimen in aller Welt gilt dieser Monat als besonders segensreich; Terroristen haben schon in der Vergangenheit Anschläge gerne in diesen Monat gelegt, weil sie sich davon erhöhten göttlichen Beistand erhofften. Eine mögliche Lesart des Dokuments könnte also sein, dass Anschläge bevorstehen, bei denen die Verbindung von Sarkawi und Bin Laden eine besondere Rolle spielt.
Wahlkampfwerbung für Bush?
Zum anderen will es nicht so recht wie ein Zufall aussehen, dass die Message aus dem Irak so kurz vor der Anfang November anstehenden Präsidentschaftswahl in den USA an die Öffentlichkeit dringt. Eine Hypothese: Die nun geoffenbarte Verbindung zwischen al-Qaida und dem Irak stärkt den Amtsinhaber George W. Bush, der mit diesem Argument in den Krieg gezogen war - und eben das wollen die Terroristen erreichen. Denn für die Stilisierung ihres Dschihads als Kampf zwischen Gut und Böse, Islam und Christentum, eignet sich Bush unbestritten besser als sein Herausforderer John F. Kerry. Für beide Theorien fehlen freilich noch Indizien, die über das Schreiben Sarkawis hinausgehen.
Sicher ist zu diesem Zeitpunkt deshalb nur, dass Sarkawi - möglicherweise in Absprache mit Osama Bin Laden - ein Signal der Einheit an tatsächliche und potenzielle Sympathisanten geschickt hat. "Los, ihr Jugend der Gemeinschaft der Gläubigen! Auf zum Banner des Scheichs der Mudschahidin", heißt es in seiner Botschaft. Am Ende, so suggeriert Sarkawi in dem Brief weiter, werde es ohnehin auch nicht mehr nur um Anschläge oder einen Krieg, sondern vielmehr um die Macht in der Welt gehen: Schon der Prophet Muhammad habe gesagt, es werde dereinst wieder ein Kalifat auf der Grundlage der göttlichen Offenbarung errichtet werden - "Und es könnte sein, dass dieses in unseren Händen liegt".