
Wahltag im Irak: Abstimmung unter Beschuss
Truppenabzug in Gefahr Schicksalswahl im Irak lässt Amerikaner bangen
Sie hat sich jahrelang bis zu 16 Stunden am Tag mit der Lage im Irak beschäftigt, sie gilt als eine der besten Expertinnen zur Region. Doch auf Wahlprognosen will selbst sie sich partout nicht einlassen. "Selbst wir, die wir so lange jedes Ereignis im Irak verfolgt haben, wissen nicht, was zu erwarten ist", sagt Meghan O'Sullivan, unter Präsident George W. Bush im Nationalen Sicherheitsrat für den Irak zuständig.
Die Abstimmung im Zweistromland wird mit großer Spannung in Washington verfolgt - doch auch mit viel Ungewissheit. Begleitet von Gewalt hat sie an diesem Sonntag begonnen.
Bei den Wahlen ist kein klarer Favorit zu erkennen, 6529 Kandidaten aus 86 Parteien stellen sich zur Abstimmung. Experten gehen davon aus, dass erst in Wochen feststeht, ob der amtierende Premier im Amt bleiben kann. In Umfragen erhält er schlechte Werte. Sein Herausforderer ist populärer, ihm werden aber auch autoritäre Neigungen unterstellt.
Viel hängt von diesen Wahlen ab, nicht zuletzt der amerikanische Truppenabzug. Bis Ende August werden laut der US-Vereinbarung mit der irakischen Regierung die amerikanischen Kampftruppen abrücken. 50.000 Soldaten bleiben, vor allem als Ausbilder für die irakischen Streitkräfte. Ende 2011 sollen alle US-Militärs nach Hause zurückkehren - so hat es Präsident Barack Obama versprochen.
Aber ist dieser Plan einzuhalten, wenn der Urnengang chaotisch verläuft? Die Parlamentsabstimmung sollte aus amerikanischer Sicht den Abschluss der Konsolidierung im Irak darstellen - und so den Weg zu einem ehrenvollen Abzug der US-Truppen ebnen.
In der Provinz Salahuddin, einer Hochburg der sunnitischen Minderheit, wurden am Morgen nach Polizeiangaben drei Granatensalven auf Wahllokale abgefeuert. In der Stadt Baidschi rund 180 Kilometer nördlich von Bagdad wurden durch die Explosionen drei Menschen verletzt. Extremistengruppen wie al-Qaida hatten im Vorfeld der Abstimmung mit Gewalt gedroht und die Bürger aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Um Autobomben-Attentate zu verhindern, haben die Sicherheitskräfte von Samstagabend bis Montagmorgen ein Fahrverbot auf den Straßen verhängt.
Thomas Ricks, Autor des einflussreichen Buches "Fiasco" über den US-Einsatz im Irak, zeigt sich skeptisch: "Es ist immer noch nicht klar, ob der politische Durchbruch, der Bushs letzte Truppenaufstockung begleiten sollte, wirklich stattgefunden hat."
Zentralregierung oder föderale Verwaltung?
Die Aufteilung der Ölreserven des Landes zwischen den verschiedenen Regionen und Bevölkerungsgruppen wie Schiiten, Sunniten und Kurden ist immer noch nicht geklärt. Es bleibt fraglich, ob der zersplitterte Irak wirklich eine Zentralregierung braucht oder eher föderal verwaltet werden sollte.
Hinzu kommen die Debatten um den wachsenden Einfluss Irans in der Region. "Es ist nicht realistisch anzunehmen, dass die Iraner als eine Art graue Eminenz die neue irakische Regierung steuern werden", sagt zwar Marina Ottoway vom Carnegie Endowment for International Peace in Washington. Eine solche Deutung missachte das historisch gewachsene Misstrauen zwischen Iranern und Irakern.
Doch Thomas Ricks hält dagegen: "Iran ist für mich der größte Gewinner in der Region."
Sollte es bei der Wahl zu einer Spaltung der Stimmen zwischen Maliki, Alawi und einer schiitischen iranfreundlichen Allianz kommen, fürchten die Amerikaner neue Ausschreitungen - die ihre weitere Präsenz nötig machen könnten.
Verschlechterte Sicherheitslage
Seit Wochen verschlechtert sich die Sicherheitslage im Land. Im Februar wurden doppelt so viele Menschen wie im Januar getötet. US-Experten beobachten mit Sorge, dass sogar sonst verfeindete schiitische und sunnitische Aufständische zusammenarbeiten, um Angriffe gegen irakische und amerikanische Truppen durchzuführen.
"Für die weitere Entwicklung kommt es vor allem darauf an, wie sich die Verlierer der Wahl verhalten und ob sie die Ergebnisse anerkennen", sagt Brett McGurk, Irak-Experte beim Council on Foreign Relations in New York. Die Diskussionen darüber beginnen bereits: Am Freitag warnte Kandidat Ijad Alawi vor massiven Wahlfälschungen.
Ist der US-Abzugsplan also in Gefahr? Experten wie Thomas Ricks raten, dauerhaft bis zu 50.000 US-Soldaten im Irak zu belassen. Zu groß sei die Gefahr, dass das Land wieder ins Chaos stürze.
Spielraum für Obama
Obama hat im Wahlkampf stets betont, er orientiere sich bei der Abzugsplanung an den Bedingungen vor Ort. Kurz nach Amtsantritt nahm er sein Versprechen zurück, eine US-Brigade pro Monat abzuziehen. Er beließ die Truppenstärke zunächst bei etwa 100.000 Soldaten, die derzeit noch stationiert sind. Auch jetzt bliebe ihm Spielraum: Die Kampftruppen bis Ende August nach Hause zu schicken, ist nicht im Abkommen mit der irakischen Regierung festgeschrieben.
Doch ein Rütteln am Abzugsziel wäre politisch gefährlich für den Präsidenten. Viele Demokraten sind bereits unglücklich mit seiner Entscheidung, Zehntausende Soldaten mehr nach Afghanistan zu schicken.
Zudem muss sich die gegen den Vorwurf verteidigen, das Land wegen anderer Krisenherde wie Afghanistan oder Iran vernachlässigt zu haben. Vizepräsident ist offiziell für das Irak-Portfolio zuständig - doch er kann selten auf Top-Beamte zurückgreifen, denn die sind mit anderen Regionen beschäftigt.
Biden betont aber, dass auch nach dem Abzug der Kampftruppen Ende August US-Soldaten dort für Ordnung sorgen könnten. "Den Großteil der verbleibenden Truppen werden immer noch Leute stellen, die gezielt schießen und die schlimmen Jungs fangen können", sagt der Vizepräsident.