Tschetschenien Der verhasste Präsident
Frankfurt/Main - Bis zu seinem gewaltsamen Tod hat sich Achmad Kadyrow immer wieder um Verständigung zwischen Russen und Tschetschenen bemüht. Aber als Präsident von Moskaus Gnaden fand er keinen Zugang mehr zur Aufstandsbewegung. Mehrfach war der 52-Jährige schon Ziel von Attentatsversuchen tschetschenischer Nationalisten gewesen. Mit dem blutigen Anschlag im Dynamo-Stadion von Grosny richtet sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf einen Konflikt, der bereits seit zehn Jahren auf beiden Seiten bitteres Leid verursacht.
Die Explosion auf der Ehrentribüne des Stadions - ausgerechnet während der Gedenkfeier zum nationalen Feiertag des Sieges im Zweiten Weltkrieg - ist ein schwerer Schlag für die russische Tschetschenien-Politik. Bei dem Anschlag wurde General Waleri Baranow, der Befehlshaber der russischen Truppen im Kaukasus, schwer verletzt oder möglicherweise ebenfalls getötet. Er saß bei der Feierstunde unmittelbar neben dem Präsidenten.
Kadyrow war im ersten Tschetschenien-Krieg nach der Auflösung der Sowjetunion - von 1994 bis 1996 - noch selbst auf der Seite der Unabhängigkeitsbewegung. Als einer von mehreren Feldkommandeuren der Tschetschenen rief er diese zum Heiligen Krieg gegen Moskau und den damaligen Präsidenten Boris Jelzin auf. Kadyrow, der in Usbekistan Islam-Wissenschaften studierte, wurde 1995 Mufti von Tschetschenien, also das geistliche Oberhaupt der muslimischen Bevölkerung.
Nach dem Tod des tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew im April 1996 war Kadyrow anfangs auch noch dessen Nachfolger Aslan Maschadow ergeben. Doch konnte er sich nicht mit dem wachsenden Einfluss islamischer Fundamentalisten in der Umgebung Maschadows abfinden. Es kam zum Bruch, und Maschadow erklärte Kadyrow zum "Volksfeind Nummer eins".
Mit Beginn des zweiten Krieges im September 1999 stellte sich Kadyrow dann auf die Seite Russlands und sorgte dafür, dass die zweitgrößte tschetschenische Stadt Gudermes ohne eine Schlacht von den russischen Streitkräfte eingenommen wurde. Nach der blutigen Eroberung von Grosny belohnte Präsident Wladimir Putin Kadyrow im Juni 2000 mit dem Amt des Verwaltungschefs für Tschetschenien. Unter der Aufsicht des Kremls wurde eine neue Verfassung verabschiedet, und im Oktober vergangenen Jahres gewann Kadyrow die Präsidentenwahl - als einziger Kandidat erhielt er in der von Menschenrechtsgruppen als Farce verurteilten Abstimmung 81 Prozent der Stimmen.
Im Verhältnis zu Russland zeigte sich Kadyrow stets um eine gewisse Distanz bemüht. Als Ende April ein Militärgericht vier russische Offiziere freisprach, die wegen Mordes an sechs Zivilpersonen in Tschetschenien angeklagt waren, kritisierte er das Urteil. Es zerstöre "das brüchige Vertrauen in die Regierung", klagte der Präsident. Für die tschetschenischen Rebellen im Untergrund und in den Bergen aber blieb er bis zuletzt ein Verräter. Peter Zschunke, AP