

Addis Abeba/Dakar/Bamako - Die einen sehen es als Besetzung, die anderen als Befreiung: Tuareg-Rebellen haben im Norden Malis einen unabhängigen Staat ausgerufen. Sie nennen ihn Azawad.
Die Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad (NMLA) warf der Regierung des westafrikanischen Staates Mali vor, sie habe in der Vergangenheit versucht, die Tuareg auszulöschen. Bei verschiedenen Dürreperioden etwa habe sie die Tuareg verhungern lassen wollen. In einer Erklärung der NMLA im Internet hieß es, angesichts der völligen Befreiung des Gebiets von Azawad "erklären wir unwiderruflich die Unabhängigkeit des Staates Azawad von heute an, Freitag, den 6. April 2012".
Sie würden die bestehenden Grenzen zu den umliegenden Staaten anerkennen und sie als unverletzlich betrachten, hieß es. Das Exekutivkomitee der NMLA bitte die internationale Gemeinschaft, ihren Staat unverzüglich anzuerkennen. Darauf wiederum reagierte Frankreich, die frühere Kolonialmacht: Verteidigungsminister Gérard Longuet sagte, die Erklärung bedeute nichts, solange andere afrikanische Staaten die Unabhängigkeit des Gebietes nicht anerkennen würden. Wenig später erklärte die Afrikanische Union die Erklärung der Tuareg für nichtig.
Der Konflikt reicht weit zurück. Vor der Kolonialzeit dominierten die Tuareg den Handel durch die Sahara, ein stolzes Nomadenvolk, deren Angehörige sich mit indigoblauen Tüchern vor Sonne und Sand schützen. Sie ritten auf Kamelen und herrschten über ein großes Wüstenreich, bis sie 1902 von französischen Kolonialtruppen geschlagen wurden. Spätestens seit Mali im Jahr 1960 wieder in die Unabhängigkeit entlassen wurde, streben die Tuareg nach Eigenständigkeit; immer wieder begehrten sie auf.
Wie Ex-Gaddafi-Kämpfer in Mali agieren
In den achtziger Jahren verließen viele Mali, eine Dürreperiode trieb sie fort. Als sie zurückkehrten, führten sie Krieg gegen die Regierungstruppen. Nach langen Verhandlungen wurden die Tuareg schließlich in Malis Armee integriert - eine Allianz auf Zeit.
Rund anderthalb Millionen Tuareg leben mittlerweile auf mehrere Staaten verteilt, rund 600.000 in Niger, gut 300.000 in Mali sowie jeweils mehrere Zehntausend in Algerien, Libyen, Burkina Faso und Mauretanien. Die nördlichen Tuareg halten als Wüstennomaden an ihrem traditionellen Kastensystem fest.
In den vergangenen Wochen machten sich ihre Anführer das Chaos in Mali zunutze. Meuternde Soldaten hatten sich am 22. März an die Macht geputscht und Präsident Amadou Toumani Touré gestürzt. Ihr Ziel war es eigentlich, die Tuareg-Rebellion im Norden niederzuschlagen - der Regierung warfen sie vor, dazu nicht in der Lage zu sein. Die staatliche Ordnung brach zusammen. Die Armee Malis zog sich weitgehend aus dem Norden zurück, was den Tuareg-Rebellen ein schnelles Vorrücken in die wichtigsten Städte des Gebietes ermöglichte.
Angeführt wurden die Tuareg-Rebellen von Offizieren, die in Libyen für den gestürzten Machthaber Gaddafi gekämpft hatten und dann, nach dessen Tod, schwer bewaffnet in den Norden Malis zurückgekehrt waren. Sie verbündeten sich mit islamistischen Kämpfern - und starteten eine Offensive. Gemeinsam mit den Verbündeten gelang es der NMLA bereits vor einer Woche die historische Stadt Timbuktu einzunehemen, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.
Am Mittwoch dann forderte der Weltsicherheitsrat ein Ende der Gewalt und verurteilte die Angriffe der Rebellen scharf. Die afrikanischen Nachbarstaaten Malis verhängten Sanktionen gegen das Land, wollen bei der Stabilisierung aber erst helfen, wenn die Militärjunta aus Offizieren die Macht wieder in zivile Hände übergibt. Die Unabhängigkeitserklärung der Tuareg verstärkt ihre Befürchtungen, andere Separatistengruppen könnten Ähnliches versuchen.
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