Türkische Verfassungsreform Alle Macht für Erdogan

Das Parlament der Türkei berät über eine radikale Verfassungsreform. Diese fünf Punkte sollen die Macht von Staatschef Erdogan sichern.
Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan

Foto: Yasin Bulbul/ dpa

In der Türkei beginnen die parlamentarischen Beratungen über die geplante Verfassungsreform. Die Plenarsitzung der Großen Nationalversammlung dazu läuft seit 14 Uhr (Ortszeit).

Die Regierungspartei AKP will auf Betreiben von Staatschef Recep Tayyip Erdogan ein Präsidialsystem einführen. Damit würde der Präsident deutlich gestärkt: Er wäre dann nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Parlament würde hingegen geschwächt. Laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu werden die Beratungen rund zwei Wochen dauern.

Im Detail geht es um folgenden Änderungen:

  • Der Präsident und Regierungschef dürfte künftig einer Partei angehören. Bislang ist die AKP zwar praktisch die Erdogan-Partei, der Staatschef ist aber formal kein Mitglied.
  • Der Präsident würde nach der Verfassungsreform nicht mehr vom Parlamentschef, sondern von einer vom Staatschef zu bestimmenden Zahl von Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident wäre für die Ernennung und Absetzung seiner Stellvertreter und der Minister zuständig.
  • Schon durch den Ausnahmezustand, der seit dem Putschversuch im Sommer gilt, kann Erdogan per Dekret regieren. Im angestrebten Präsidialsystem kann der Staats- und Regierungschef aber sogar Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen. Eine nachträgliche Zustimmung durch das Parlament, wie derzeit im Ausnahmezustand, entfällt. Die Dekrete können nur dann unwirksam werden, falls das Parlament zum jeweiligen Thema selbst ein Gesetz verabschiedet.
  • Parlament und Präsident würden künftig am selben Tag für fünf Jahre vom Volk gewählt. Ein erster Wahltermin steht auch schon im Gesetz: Es wäre der 3. November 2019. Die zeitgleiche Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Präsident auch eine Mehrheit im Parlament erringt.
  • Der Staatschef bekäme mehr Einfluss auf die Justiz: Der Rat der Richter und Staatsanwälte würde auf 13 verkleinert, der Präsident ernennt dann vier Mitglieder, das Parlament drei weitere. Damit haben Staatschef und Parlament bei der Neubesetzung die Mehrheit.

Das Volk muss über die Verfassungsänderung abstimmen. Um ein solches Referendum zu ermöglichen, müssen im Parlament mindestens 330 der 550 Abgeordneten für die Reform stimmen. Die Regierung rechnet im Frühsommer mit der Volksabstimmung.

Erdogan braucht die Ultranationalisten

Erdogans islamisch-konservative AKP verfügt mit 316 Stimmen zwar über die Mehrheit im Parlament, ist für den ersten Schritt eines Referendums aber auf Stimmen der ultranationalistischen, oppositionellen MHP angewiesen. Die Nationalisten sind mit 40 Sitzen im Parlament die kleinste Oppositionspartei und könnten der Regierung zur nötigen 60-Prozent-Mehrheit verhelfen. MHP-Chef Devlet Bahceli unterstützt das Vorhaben, in der Partei aber gibt es Widerstand.

Die beiden anderen Oppositionsparteien - die Mitte-Links-Partei CHP und die prokurdische HDP - laufen Sturm gegen die einschneidende Reform. Sie befürchten eine Diktatur in der Türkei.

cht/dpa
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