Deutsche Welle in der Türkei "Eklatanter Verstoß gegen die Pressefreiheit"

Der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic
Foto: Henning Kaiser/ picture alliance / dpaDer türkische Jugend- und Sportminister Akif Cagatay Kilic ist ein gefragter Gesprächspartner bei westlichen Medien. Kilic, 40, als Sohn eines Arztes im nordrhein-westfälischen Siegen zur Welt gekommen, bis zum zehnten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsen, fließend Deutsch und Englisch sprechend, ist ein Mann, der nach Ansicht des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan den ausländischen Journalisten noch am besten die Türkei vermitteln kann.
Die Deutsche Welle (DW) hatte eigentlich den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu für ein Interview angefragt, aber der sagte wegen eines vollen Terminplans ab und empfahl gleich seinen Ministerkollegen Kilic. Auch ein interessanter Gesprächspartner für die englischsprachige Sendung "Conflict Zone", befand man bei der DW und sagte bereits Anfang August zu.
Journalist Michel Friedman fand sich am Montagabend in Ankara im Ministerium ein. Wie üblich, waren die Themenkomplexe vorab per E-Mail an das Büro von Kilic geschickt worden, darunter der Putsch in der Türkei sowie die Massenfestnahmen und Entlassungen im Anschluss. Fragen, sagt Friedman, habe man "natürlich" nicht eingereicht. "Die konkreten Fragen hängen davon ab, wie das Gespräch sich entwickelt", heißt es in einer E-Mail der DW an das Büro von Kilic. "Sie werden Verständnis haben, dass wir sie Ihnen nicht vorab schicken können."
Das Interview verlief nach Angaben der DW zunächst freundlich, doch die Fragen hätten Kilic zunehmend nicht gepasst. "Der Minister war an manchen Stellen nicht erfreut", beschreibt Friedman später der "Tagesschau 24" die Stimmung. Zum Beispiel, als er danach gefragt wurde, welches Rollenverständnis von Frauen Erdogan eigentlich habe und mit entsprechenden Zitaten des Präsidenten konfrontiert wurde.
Es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, Interviewpartnern zu gefallen
Zudem, heißt es bei der DW, habe man Kilic zu weiteren kontroversen Themen befragt wie die immer lauteren Rufe nach der Todesstrafe, der türkischen Rolle im Krieg in Syrien und dem "Islamischen Staat". Die Fragen seien aktuell, nachdenklich und kritisch gewesen. Es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, Politikern, die man interviewe, zu gefallen. Kilic, berichtet Friedman, habe interessante Antworten gegeben.
Im Anschluss an das halbstündige Interview sei die Stimmung zwar noch einigermaßen gut gewesen - ein Foto zeigt, wie Friedman und Kilic sich am Arm fassen -, doch wenig später, Kilic sei da nicht mehr im Raum gewesen, sei ein Mitarbeiter des Ministers auf Friedman zugekommen und habe verlangt, das Interview zu autorisieren. Friedman lehnte das ab. So etwas sei nicht üblich und inakzeptabel. Daraufhin beschlagnahmten Mitarbeiter des Ministeriums die gesamten Aufzeichnungen. In seiner ganzen Journalistenlaufbahn habe er so etwas noch nicht erlebt, sagt Friedman. Es sei einzigartig, dass Material einfach weggenommen werde. "Das entspricht überhaupt nicht unseren Vorstellungen von Pressefreiheit."
Im Ministerium sieht man das alles ganz anders. Eine Autorisierung des Interviews habe es nicht gegeben, "weil die Fragen, die gestellt wurden, nicht die waren, die im Vorfeld vorgelegt waren", heißt es aus Ankara, obwohl gar keine Fragen eingereicht worden waren. "Herr Friedman weiß genau, warum all das geschah. Einige Statements waren eher Anklagen. In solch einer Situation kann keine Autorisierung gewährt werden."
Später dementierte Kilic die Beschlagnahmung: Solche Berichte entsprächen nicht der Wahrheit, teilte der Minister am Dienstagabend via Twitter mit. Man habe lediglich gefordert, das Interview nicht auszustrahlen.
Für die Bundesregierung kommt der Vorfall zur Unzeit
Friedman spricht dagegen von einem "Zeichen für ein völlig falsches Verständnis, wie man mit Journalisten umgeht". Wenn so ein ausländischer Sender behandelt werde, sei das ein "weiterer Hinweis, wie schlimm es Kolleginnen und Kollegen in der Türkei gehen muss". DW-Intendant Peter Limbourg nennt den Vorgang einen "neuen eklatanten Verstoß gegen die Pressefreiheit in der Türkei". "Was wir hier erleben, erfüllt den Tatbestand der Nötigung durch die türkische Führung. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nichts mehr zu tun." Der Minister habe das Interview bereitwillig gegeben und dann auf derartige Weise dessen Ausstrahlung verhindert.
Damit abfinden will sich der Sender nicht. Er hat beim Ministerium selbst sowie beim Presseamt, das direkt dem Premierminister unterstellt ist, Protest eingelegt und die Herausgabe des Videomaterials verlangt. Eine für Dienstagmittag um 12 Uhr gesetzte Frist ließ die türkische Regierung jedoch verstreichen. Man prüfe nun rechtliche Schritte, sagt Limbourg.
Auch die deutsche Botschaft in Ankara wurde eingeschaltet, die beim türkischen Außenministerium nachgehakt hat. Bislang gab es dem Vernehmen nach aber keine Antwort. Für die Bundesregierung kommt der Vorfall zur Unzeit. Mühsam hatte Berlin in den zurückliegenden Wochen mit politischen Verrenkungen den Streit um das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete bei der Bundeswehr auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik entschärft.
Berlin droht also gleich der nächste Streit mit der Türkei - ausgerechnet über die heikle Frage, wie frei die deutsche Presse im Land von Präsident Erdogan agieren darf und wie scharf deutsche Journalisten türkische Politiker bei Interviews angehen können. Nun ist es wieder am Außenamt, in dem Konflikt zu vermitteln. Dort heißt es am Dienstagabend, man bemühe sich seit dem Morgen um Kontakt zur türkischen Seite.