Hasnain Kazim über die Türkei Ein schmerzlicher Abschied

SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent Hasnain Kazim musste die Türkei verlassen, weil er keine Presse-Akkreditierung mehr bekam. Hier schildert er seine Erfahrungen mit der Pressefreiheit unter Präsident Erdogan und beschreibt seine unfreiwillige Ausreise.
Hasnain Kazim

Hasnain Kazim

Foto: Janna Kazim

An unserem letzten Tag in der Türkei ist meiner Familie und mir nicht nach Weggang zumute, aber wir müssen das Land verlassen. Nach quälenden Monaten der Ungewissheit und der Sorge bleibt uns nichts anderes übrig. Wir fürchten um unsere Sicherheit.

Die Koffer sind gepackt. Die Möbel sind weg, Bücher, Kleidung, alles. Der Sohn ist aus dem Kindergarten abgemeldet, es war auch für ihn ein schmerzlicher Abschied.

Bevor wir zum Flughafen fahren, schreibe ich eine Liste mit Telefonnummern für meine Frau: Kollegen, Diplomaten, Freunde in Istanbul. Für den Fall, dass ich am Flughafen festgehalten werde und meine Familie ohne mich ausreisen muss.

Die türkische Regierung hat mir seit Jahresanfang die Akkreditierung als Korrespondent nicht erteilt und verweigert mir damit die Arbeitsgrundlage. Als deutscher Journalist, der in der Türkei lebt, braucht man aber eine Aufenthaltsgenehmigung. Und die ist an die Pressekarte gekoppelt.

Die Akkreditierungen werden normalerweise zum Jahreswechsel erteilt. In diesem Jahr aber mussten alle deutschen Journalisten ungewöhnlich lange darauf warten. Premierminister Ahmet Davutoglu hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühjahr allerdings zweimal zugesichert, dass alle deutschen Korrespondenten ihre Papiere erhalten sollten. Das wurde uns von der deutschen Seite mehrfach mitgeteilt.

Ich erhielt sie bis zum Schluss nicht. Offiziell ist mein Antrag nicht abgelehnt. Er wird "geprüft". Doch weder bei den türkischen noch bei den deutschen Behörden glaubte man, dass die Akkreditierung noch erteilt würde.

Und schlimmer noch: Ich erhielt Warnungen. Türkische Staatsanwälte, die der Regierung und ihrer Einflussnahme auf die Justiz kritisch gegenüberstehen, sagten mir: Wenn ich im Land bliebe, sei denkbar, dass ich unter einem Vorwand angeklagt würde. Etwa wegen "Unterstützung einer terroristischen Organisation" oder wegen "Präsidentenbeleidigung". Das sind in der Türkei übliche Beschuldigungen gegen Journalisten, die den Mächtigen zu kritisch sind. Nur richteten sie sich bisher vor allem gegen einheimische Journalisten.

Wir dachten, Istanbul würde ein ruhigerer Standort als Islamabad

Es blieb nicht der einzige Hinweis. Auch aus deutschen Behördenkreisen riet man mir, das Land so bald wie möglich zu verlassen, denn die türkische Seite könne die Angelegenheit sonst "eskalieren".

Und so kam es, dass meine Familie und ich vergangenen Sonntag von einem deutschen Diplomaten begleitet wurden, als wir zum Flughafen fuhren. Als Vorsichtsmaßnahme.

Als ich vor drei Jahren in die Türkei zog, voller Neugier und Interesse, hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich eines Tages auf diese Weise aus dem Land gedrängt würde. Davor hatte ich für den SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE aus Pakistan berichtet. Wir dachten, Istanbul würde ein etwas ruhigerer Standort als Islamabad, ohne Terror und mit größerer Pressefreiheit. Wie sehr wir uns getäuscht haben.

Ich kam in einem Land an, das unter Recep Tayyip Erdogan, einem begnadeten Populisten, eine Modernisierung und ein Wirtschaftswunder erlebt hatte. In den ersten Jahren seiner Regierungszeit hatte der Premier das Land durchaus demokratisiert.

Die meisten Menschen in der Türkei erlebten einen Aufschwung und unter Erdogan begann ein Friedensprozess zwischen türkischem Staat und der kurdischen PKK, die als Terrororganisation gilt.

Doch kurz vor unserem Umzug im Sommer 2013 begannen die Gezi-Proteste. Sie richteten sich zunächst gegen den Bau eines Einkaufszentrums im Istanbuler Gezi-Park. Nachdem die Polizei mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen war, entwickelten sie sich im ganzen Land zu Kundgebungen gegen die zunehmend autoritäre Regentschaft von Erdogan.

Der Premier, der lange daran gearbeitet hatte, sein Land Europa anzunähern, herrschte nun immer selbstherrlicher. Er ließ nach den Gezi-Protesten nicht nur Demonstranten niederknüppeln und mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen beschießen, sondern auch immer mehr Journalisten ins Gefängnis werfen, weil ihm ihre Berichterstattung nicht passt.

Ich war in ein Land im Umbruch geraten, in dem die Demokratie zunehmend gefährdet schien, und ich bemühte mich in meinen Berichten, die Ereignisse im Land kritisch und fair zu schildern. Doch wie viele Journalisten merkte ich, dass der Präsident und seine Anhänger auf jede Form von Kritik allergisch reagieren.

Was ich im Frühjahr 2014 erlebte, wenige Monate nach meiner Ankunft, war in gewisser Weise ein Missverständnis, aber es sollte meine ganze Zeit als Korrespondent prägen. Und es erzählt viel über das Klima in der heutigen Türkei.

"Wenn wir dich auf der Straße sehen, schneiden wir dir die Kehle durch!"

Im westtürkischen Soma war es damals zum bisher schwersten Bergwerksunglück in der Geschichte des Landes gekommen. 300 Menschen starben. Die mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen in der Grube wurden von vielen Angehörigen der Regierung angelastet. Erdogan aber fühlte sich von den Überlebenden und von den Angehörigen der Opfer zu Unrecht kritisiert. Er erklärte, solche Unglücke seien üblich.

Ich war damals vor Ort und sprach mit vielen Überlebenden und Angehörigen. Ein aufgebrachter Kumpel, der aus der Mine gerettet worden war, sagte mir: "Ich hätte so etwas bis jetzt nicht geäußert, aber nun möchte ich Erdogan nur sagen: Scher dich zum Teufel!" Ich zitierte den Mann in einem meiner Artikel zu dem Unglück. Auf SPIEGEL ONLINE wurde das Zitat zur Überschrift: "Scher dich zum Teufel, Erdogan!"

Obwohl der Satz klar als Zitat erkennbar war, mit An- und Abführungszeichen, legten Erdogans Anhänger ihn mir in den Mund. Ich erhielt Tausende von Drohungen und Beschimpfungen per Mail, darunter Sätze wie: "Wenn wir dich auf der Straße sehen, schneiden wir dir die Kehle durch!"

Auch damals verließ ich die Türkei, aber nur vorübergehend, für zwei Wochen. Zufällig hatte Erdogan zu dieser Zeit einen Auftritt in Köln. In einer Arena feierten ihn 15.000 Menschen. Ich reiste hin, um mir seine Rede anzuhören. Zweimal erwähnte er "diesen Journalisten, der mich zum Teufel wünscht". Einmal sagte er: "Offensichtlich kennt er den Weg dorthin." Glaubte Erdogan wirklich, ich hätte das geschrieben? War er falsch informiert worden?

Türkische Journalisten müssen schon lange mit Einschränkungen leben. Der Staat beschäftigt eigens Beamte, die Zeitungen daraufhin prüfen, ob sie Beleidigungen des Präsidenten enthalten. Dabei handelt es sich um eine Straftat. Die Zeitungen, die dem Oppositionslager zugerechnet werden, müssen täglich Exemplare bei den Kontrolleuren abliefern.

Irgendwann beginnt die Selbstzensur. Was kann man noch schreiben, mit wem darf man noch reden? Manager, Politiker, selbst aus der Regierungspartei AKP, Künstler, Schriftsteller, einfache Bürger - sie alle verweigern Gespräche mit Journalisten mit dem Hinweis: "Sie wissen ja, man kann nicht offen reden. Wer weiß, was passiert, wenn herauskommt, dass ich mit Ihnen gesprochen habe."

Was blüht der Türkei als nächstes?

Seit Erdogans islamistische AKP vor einem Jahr zunächst die absolute Mehrheit verloren hat und sich der Kurdenkonflikt im Osten des Landes daraufhin wieder verstärkte, ist die Stimmung im Land noch autoritärer geworden. Parteilokale der pro-kurdischen HDP wurden von AKP-Anhängern gestürmt, aber auch die Redaktion des Massenblatts "Hürriyet".

Schließlich wurden die bekannten Journalisten Can Dündar und Erdem Gül, der eine "Cumhuriyet"-Chefredakteur, der andere Ankara-Büroleiter der Zeitung, wegen "Unterstützung von Terroristen" angeklagt. Als das Verfassungsgericht sie freiließ, stellte Erdogan die Legitimität des höchsten Gerichts infrage. Darauf ließ die Regierung die oft regierungskritische "Zaman", immerhin eine der auflagenstärksten Zeitungen des Landes, unter staatliche Aufsicht stellen.

Es sind schwere Zeiten für türkische Journalisten. Und, wie mich mein eigener Fall lehrt, zunehmend auch für ausländische Korrespondenten.

Was blüht der Türkei als nächstes? Nach dem Bombenanschlag von Ankara am Sonntag, zu dem sich die kurdische Splittergruppe "Freiheitsfalken Kurdistans" bekannt hat, kündigte Erdogan an, mit "eiserner Faust" gegen Terroristen vorzugehen.

Der Begriff Terrorist soll nach seiner Vorstellung künftig aber weiter gefasst werden: "Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, damit diese an ihr Ziel gelangen, besteht überhaupt kein Unterschied", sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. "Nur weil jemand einen Titel wie Abgeordneter, Akademiker, Journalist oder Leiter einer Nichtregierungsorganisation trägt, ändert das nichts an der Tatsache, dass diese Person eigentlich ein Terrorist ist."

Ich wollte als Journalist stets ein ausgewogenes Bild beschreiben. Ich bin in den vergangenen Monaten in den Südosten der Türkei gereist, wo der Staat erklärtermaßen gegen Terroristen der PKK kämpft, die alle paar Tage Anschläge verüben.

Dort traf ich aber auch auf eine Zivilbevölkerung, die leidet. Ausgangssperren machen den Menschen das Leben schwer. Tage-, manchmal wochenlang müssen sie in ihren Häusern ausharren und können nur unter Lebensgefahr Lebensmittel besorgen. Doch spricht man mit den Einheimischen, zitiert sie gar, setzt man sich bereits dem Vorwurf der Behörden aus, "Terroristen" zu unterstützen.

Es gibt viel Lobenswertes zu berichten

Ich wollte deshalb auch mit dem türkischen Militär sprechen, die Soldaten in den umkämpften Gebieten treffen, um ihre Sicht der Dinge zu verstehen. Keine einzige Anfrage, sie begleiten zu dürfen, wurde genehmigt. Ich wollte mit Regierungspolitikern sprechen und Erdogan interviewen. Meine Bitten wurden meist nicht einmal beantwortet. Man hat also, so offenbar die Vorstellung der Regierung, in ihrem Sinne zu berichten, ohne mit ihr sprechen zu dürfen.

Die Türkei hat mich vom ersten Tag an fasziniert, die Energie Istanbuls, die Gleichzeitigkeit von Moderne und Rückständigkeit, das Bemühen vieler Menschen, aus ihrem Land ein besseres zu machen. Erdogan ist nicht die Türkei. Wenn etwa die Hälfte für ihn stimmt, so ist die andere Hälfte nicht für ihn. Nur ist die Opposition schwach, ohne charismatische Figur, oft chaotisch, ohne Plan.

Es gibt viel Lobenswertes zu berichten, dazu gehört insbesondere auch, was die Türkei für die Flüchtlinge aus Syrien leistet. Ich halte deshalb nichts von Forderungen, der Türkei wegen ihrer Angriffe auf die Pressefreiheit, auch wegen meines eigenen Falles, die finanzielle Unterstützung Europas zu verweigern. Warum sollen Flüchtlinge ausbaden, dass die Türkei ein kritikwürdiges Verständnis von Pressefreiheit hat? Kritisieren kann man höchstens, dass die EU versucht, sich mit einem fragwürdigen Deal von ihrer Verantwortung freizukaufen.

Als meine Familie und ich am Atatürk-Flughafen in Istanbul ankommen, sind wir besorgt. Der Beamte an der Passkontrolle sieht sich unsere Pässe an, sieht, dass wir keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besitzen, aber eine neue ordnungsgemäß beantragt haben. Er blättert in den Dokumenten, während ich nervös zum Diplomaten hinüberschaue, der sich im Hintergrund aufhält.

Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, reicht der Beamte uns die Papiere zurück. Er nickt. Wir sind raus aus der Türkei.

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