Grenze zu Syrien Türkische Sicherheitskräfte feuern Tränengas auf Kurden
Ankara/Damaskus - Beim Massenexodus kurdischer Flüchtlinge ist es an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien zu Zusammenstößen gekommen. Türkische Sicherheitskräfte sind am Sonntag mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Kurden vorgegangen, die sich ihrerseits mit Feuerwerkskörpern zur Wehr setzten.

Gefechte an der Grenze: Tränengas, Wasserwerfer, Feuerwerkskörper
Über die Gründe für die gewaltsamen Auseinandersetzungen liegen widersprüchliche Berichte vor. Der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sollen kurdische Demonstranten mit Steinen auf türkische Sicherheitskräfte geworfen haben, die Flüchtlinge daran hinderten, sich der Grenze zu nähern. Laut dem türkischen Privatsender NTV sollen Sicherheitskräfte versucht haben, eine Gruppe syrischer Kurden aufzuhalten, die nach eigenen Angaben belagerten Kurden in Syrien zu Hilfe eilen wollten. Die Angaben lassen sich nicht unmittelbar unabhängig überprüfen.
Nachdem die Regierung in Ankara am Samstag der Öffnung von acht Grenzübergängen zugestimmt hatte, haben sich immer mehr verängstigte Menschen aus den umkämpften Gebieten vor der Offensive der Miliz "Islamischer Staat" (IS) gerettet. Binnen 24 Stunden brachten sich laut Uno rund 70.000 Menschen in Sicherheit. Am Sonntag aktualisierte die Uno ihre Schätzungen. Den Angaben zufolge stieg die Zahl der Flüchtlinge, die aus den Kurdengebieten im Norden Syriens in die Türkei strömen, auf mehr als 100.000 Menschen.
IS-Offensive bei Ain al-Arab
Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kündigte wegen des Flüchtlingsandrangs eine Aufstockung seiner Hilfen für die Türkei an. Dort haben seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs fast 1,5 Millionen Menschen Zuflucht gesucht. Am Grenzübergang Mursitpinar drängten sich den ganzen Samstag über Tausende Menschen, vor allem Kinder, Frauen und Alte. Nahe der türkischen Ortschaft Suruc rissen türkische Soldaten den mit Stacheldraht bewehrten Grenzzaun nieder.
In den syrischen Kurdengebieten sind IS-Kämpfer nach Angaben von Aktivisten weiter auf die Stadt Ain al-Arab vorgerückt, die auch unter ihrem kurdischen Namen Kobani bekannt ist. Bereits in der vergangenen Woche hatten die Extremisten mehrere kurdische Dörfer entlang der Grenze zur Türkei überfallen und eingenommen.
In die Türkei geflüchtete Kurden berichteten laut Nachrichtenagentur AFP von Hinrichtungen in den eroberten Gebieten: "Die IS-Kämpfer kamen in unser Dorf und haben alle bedroht. Sie haben uns beschossen und die Häuser zerstört. Wer blieb, wurde geköpft", sagte ein Flüchtling.
Türkische IS-Geiseln hatten Mobiltelefon versteckt
Die radikale Kurdenpartei PKK in der Türkei rief Mitstreiter zu den Waffen, um Kobani gegen die IS-Truppen zu verteidigen. Ein kurdischer Politiker in der Türkei, der am Samstag nach Kobani gefahren war, bezeichnete den Vormarsch des IS laut Nachrichtenagentur Reuters als Genozid.
Am Samstag waren 49 türkische Konsulatsmitarbeiter, die im Juni von IS-Truppen in der nordirakischen Stadt Mossul verschleppt worden waren, sicher in ihre Heimat zurückgekehrt. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan sagte am Sonntag, die Geiseln seien nach "diplomatischen und politischen Verhandlungen" freigekommen. Lösegeld sei nicht gezahlt worden.
Der türkische Generalkonsul Öztürk Yilmaz, der unter den Geiseln war, sagte dem Sender NTV, ihnen sei es gelungen, ein Mobiltelefon zu verstecken. Damit habe er unter anderem mit Präsident Erdogan und mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sprechen können.
Yilmaz sagte weiter, die IS-Kämpfer hätten die Geiseln nicht körperlich misshandelt, aber bedroht. Die Extremisten hätten sie außerdem gezwungen, die Videos mit den Ermordungen ihrer westlichen Geiseln anzuschauen, um die Moral der türkischen Gefangenen zu brechen. Die Geiseln seien in ihrer mehr als dreimonatigen Gefangenschaft mehrfach an andere Orte gebracht worden.