Neue Abstimmung in Istanbul Kampf um Wähler und Wahrheit

Bei den Neuwahlen in Istanbul hat Oppositionskandidat Imamoglu wieder gute Chancen auf den Sieg. Wenn die Abstimmung fair abläuft.
Oppositionskandidat Imamoglu (rechts): In Umfragen liegt er vor dem AKP-Politiker Yildirim

Oppositionskandidat Imamoglu (rechts): In Umfragen liegt er vor dem AKP-Politiker Yildirim

Foto: Chris McGrath/ Getty Images

Eigentlich hat Ekrem Imamoglu ja bereits gewonnen. Am 31. März siegte der Oppositionskandidat bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul. Eigentlich war er bereits im Amt. Es war ein schwerer Schlag für Präsident Recep Tayyip Erdogan, der immer weniger Widerspruch toleriert. Entsprechend viel Druck machte Erdogans AKP nach der knappen Niederlage. Mit Erfolg: Die Abstimmung wurde annulliert.

In wenigen Tagen müssen die Bürger in Istanbul nun noch einmal entscheiden. Eines lässt sich jetzt schon sagen: Die Opposition hat sich offensichtlich nicht von der Regierung einschüchtern lassen. Auch in der Neuauflage des Wahlkampfes tritt CHP-Politiker Imamoglu besonnen und souverän auf.

Auch diesmal sehen Umfragen Imamoglu vor seinem Gegner, dem AKP-Mann Binali Yildirim. Dessen Partei versucht jedoch einiges, um den Hoffnungsträger der Opposition zu diskreditieren. Kurz nachdem die Wahlkommission (YSK) das Ergebnis der ersten Abstimmung für nichtig erklärt hatte, äußerte sich Yildirim dazu in einem Interview - und setzte damit den Ton für den Wahlkampf.

Auf die Frage, warum eine Wahlannullierung gerechtfertigt sei, antwortete er knapp: "Weil sie gestohlen haben." Schnell machte der gleichbedeutende Hashtag #CünküCaldirlar die Runde. Regierungsnahe Medien und AKP-Anhänger verbreiteten Videos, in denen selbst Kleinkinder den Slogan in die Kamera sagten. Im Netz sorgte das für heftige Diskussionen und auch Imamoglu kritisierte die Social-Media-Kampagne gegen sich und seine Partei.

"Alles wird gut"

Er warf seinen Gegnern vor, Drei- bis Vierjährige für ihre Zwecke zu missbrauchen. "Was bedeutet das Bürgermeisteramt überhaupt für mich? In erster Linie bin ich selbst Vater von drei Kindern," sagte er.

Es sind solche Auftritte, mit denen Imamoglu bei den Wählern punktet. Während die Rhetorik der AKP in den vergangenen Wochen immer schärfer wurde, predigt der CHP-Kandidat seinen Anhängern ein friedliches Miteinander und wirbt mit dem Slogan "Alles wird gut". Ein Satz, den ihm ein Junge kurz nach Bekanntgabe der Wahlannullierung zugerufen hatte. Inzwischen ist er zur Durchhalteparole der türkischen Opposition geworden.

Diese scheint seit den Kommunalwahlen im März neuen Mut gefasst zu haben. So wurde die öffentliche Kritik an Erdogan und der AKP in den vergangenen Wochen wieder lauter. Und das obwohl selbst schon ein regierungskritischer Tweet in der Türkei ausreichen kann, um ins Visier der Justiz zu geraten. Nach einem TV-Auftritt von Imamoglu positionierten sich zahlreiche Türken in sozialen Netzwerken gegen Erdogans Regierung.

Sendung mit Imamoglu vorzeitig beendet

Anlass für die heftige Kritik war, dass der weitgehend verstaatlichte Sender CNN das Interview mit dem CHP-Politiker vorzeitig beendet hatte. Die Sendung wurde frühzeitig überraschend abmoderiert. Und zwar genau in dem Moment, in dem Imamoglu auf das Thema Verschwendung öffentlicher Gelder zu sprechen kam. In seiner 17-tägigen Zeit als Bürgermeister seien ihm bereits einige Unregelmäßigkeiten aufgefallen, erzählte er in dem Interview. Mehr durfte er nicht sagen.

Die nahezu gleichgeschalteten türkischen Medien sind im Wahlkampf der AKP ohnehin ein wichtiges Instrument. So hält sich in türkischen Zeitungen seit Wochen das Gerücht, Imamoglu sei Grieche. Eine Behauptung, mit der die Regierungspartei die Stimmen von Nationalisten für sich gewinnen will. Das allerdings könnte Experten zufolge nach hinten losgehen.

Denn das Gerücht basiert darauf, dass Imamoglu ursprünglich aus Trabzon stammt. Die Gegend, in der die Stadt am Schwarzen Meer liegt, wurde in der Antike von Persern und Griechen regiert. Mit der Behauptung habe die AKP nun versehentlich die gesamte Region beleidigt, meint Politologe Burak Kadercan auf Twitter. Strategisch sei dies ein "großer, großer Fehler". Denn gerade aus der Schwarzmeer-Region hat es mehrere Abwanderungswellen nach Istanbul gegeben.

Erdogan will Stammwähler mobilisieren

Tatsächlich versucht Erdogans Partei mit ihrer Strategie wohl keineswegs CHP-Wähler umzustimmen. Ziel ist es eher, Stammwähler zu mobilisieren. Denn bei den Wahlen im März sind etwa 1,7 Millionen Wahlberechtigte zu Hause geblieben. Auf ihre Stimmen hofft die AKP nun - und setzt auf eine Schmutzkampagne gegen die Opposition.

Gleichzeitig versucht Erdogan wohl, die Kurden auf seine Seite zu ziehen. So durfte Abdullah Öcalan, der inhaftierte Gründer der verbotenen PKK, am Tag der Wahlannullierung erstmals seit Jahren seinen Anwalt sprechen. Allerdings führt Erdogan bekanntlich auch einen erbitterten Kampf gegen die Kurden, führende Mitglieder der kurdischen HDP sitzen in Haft.

Ob die AKP sich trotzdem kurzfristig deren Stimmen sichern kann, ist zu bezweifeln. Zumal die HDP bereits vor den Wahlen im März zugunsten von Imamoglu darauf verzichtet hat, einen eigenen Bürgermeister-Kandidaten aufzustellen.

Am kommenden Sonntag wird Imamoglu sich in einem TV-Duell mit Gegner Yildirim messen. Es ist die erste Wahldebatte dieser Art seit 17 Jahren. Für beide Kandidaten wird es eine der letzten Gelegenheiten sein, bei den Wählern zu punkten. Vieles spricht für einen erneuten Sieg von Imamoglu - wenn alles mit rechten Dingen zugeht.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren