Türkei Erdogan will per Dekret regieren

Wie groß wird die Macht Erdogans in einem geplanten Präsidialsystem? Ministerpräsident Yildirim hat Details bekannt gegeben: Der Ausnahmezustand in der Gesetzgebung soll offenbar zum Normalfall werden.
Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan

Foto: ADEM ALTAN/ AFP

Die türkische AKP will ein Präsidialsystem errichten, um Recep Tayyip Erdogan mehr Macht zu geben. Über die genaue Ausgestaltung ist bisher nicht viel bekannt. Jetzt kündigte Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu auf einem Flug nach Moskau an, in einem Präsidialsystem solle Erdogan Gesetzesdekrete erlassen dürfen. Damit würde die Gesetzgebungspraxis im seit dem Putschversuch vom Juli geltenden Ausnahmezustand zum Normalzustand.

Yildirim sagte laut Anadolu, außerdem solle der Präsident nach der geplanten Verfassungsreform den Entwurf für den Haushalt der Regierung einbringen. Andere Gesetzesentwürfe sollten weiterhin vom Parlament kommen. Welche Angelegenheiten durch Dekret des Präsidenten und welche durch Gesetze des Parlaments geregelt würden, werde in dem Entwurf für die Verfassungsänderung dargelegt. Außerdem solle der Präsident künftig einer Partei angehören dürfen. Bislang schreibt die Verfassung dem Staatschef parteipolitische Neutralität vor.

Referendum könnte im Frühsommer stattfinden

Yildirim hatte vor seiner Abreise bekräftigt, dass seine islamisch-konservative AKP den Entwurf für die Verfassungsänderung noch in dieser Woche ins Parlament einbringen wolle. Das werde nach seiner für Mittwoch geplanten Rückkehr aus Moskau geschehen.

Im Parlament ist die Regierungspartei AKP auf die Stimmen der Nationalisten angewiesen, um ein Referendum über den Machtzuwachs für den Präsidenten anzuschieben. An dem Gesetzestext sei die Arbeit abgeschlossen, die nationalistische Opposition stimme dem Vorschlag weitgehend zu, sagte Ministerpräsident Yildirim.

Nach früheren Aussagen rechnet Yildirim mit einer Volksabstimmung über ein Präsidialsystem zu Beginn des nächsten Sommers. Der Ausnahmezustand gilt derzeit bis Mitte Januar, kann aber weiter verlängert werden.

Berater von Oppositionsführer festgenommen

Bislang spielt der Präsident laut türkischer Verfassung eine vornehmlich repräsentative Rolle. Erdogans Anhänger argumentieren, die Türkei brauche ein starkes Präsidialsystem, um fragile Koalitionsregierungen zu vermeiden, die die Entwicklung des Landes in der Vergangenheit gebremst hätten.

Die Opposition befürchtet ein zunehmend autoritäres System mit Einschränkungen bei den demokratischen Rechten und Freiheiten. Bereits jetzt sehen Kritiker der türkischen Regierung diese massiv eingeschränkt, nicht zuletzt durch das harsche Vorgehen und Massenfestnahmen der Behörden gegen mutmaßliche Regierungsgegner seit einem gescheiterten Putschversuch im Juli.

Am Dienstag wurde der wichtigste Berater von Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu in Ankara im Zuge der Ermittlungen gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen festgenommen. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Festnahme sei von der Staatsanwaltschaft in Istanbul angeordnet worden.

Gürsul, der dem Chef der Mitte-Links-Partei CHP in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Kommunikation als Berater zur Seite stand, war bereits im August von seinem Dozentenposten an der Istanbul-Universität suspendiert worden. Anadolu berichtete außerdem, gegen 14 von 30 zuvor festgenommenen Akademikern der Istanbuler Yildiz-Universität sei im Zuge der Ermittlungen gegen Gülen Haftbefehl erlassen worden.

anr/dpa
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