Türkei Erdogans Wut trifft westliche Diplomaten

Der türkische Präsident Erdogan duldet keine Kritik, weder von Demonstranten noch von Journalisten. Jetzt fühlt er sich von Diplomaten angegriffen - besonders heftig trifft Erdogans Reaktion den deutschen Botschafter.
Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan

Foto: HANDOUT/ REUTERS

"Er lebt auf großem Fuß, der Boss vom Bosporus. Bei Pressefreiheit kriegt er'n Hals, drum braucht er viele Schals", singt eine Männerstimme zur Melodie von Nenas "Irgendwie, irgendwo, irgendwann". Und weiter: "Ein Journalist, der was verfasst, das Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast." Dazu unvorteilhafte Bilder des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, von Protesten gegen ihn, Schlägereien zwischen Polizisten und Regierungskritikern.

Das eine Minute und 52 Sekunden lange Video heißt "Erdowie, Erdowo, Erdogan" und ist ein Beitrag aus der NDR-Satiresendung "Extra 3". Man kann das Lied lustig finden oder auch nicht. In der Türkei aber wird so etwas zur Staatsaffäre. Das Außenministerium in Ankara hat den deutschen Botschafter Martin Erdmann einbestellt und ließ ihn den kurzen Film rechtfertigen. "Der Beitrag setzt unseren Präsidenten herab. Das ist nicht zu akzeptieren", sagte ein Mitarbeiter des Ministeriums SPIEGEL ONLINE.

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Türkisches Verständnis von Pressefreiheit

Der Vorgang sagt einiges aus über das türkische Verständnis von Pressefreiheit: Offensichtlich glaubt die Regierung, ein deutscher Botschafter könnte Einfluss nehmen auf die Programmgestaltung eines Fernsehsenders. Denn nur dann wäre er in diesem Fall die richtige Adresse für Kritik.

Im Normalfall werden Botschafter einberufen, wenn gegen staatliches Handeln protestiert oder Aufklärung eines kritisierten Sachverhalts erbeten werden soll. Ankara berief zuletzt mehrmals den russischen Botschafter ein, nachdem ein russischer Kampfjet angeblich in türkischen Luftraum eingedrungen war und die Türkei die Maschine daraufhin abgeschossen hatte. Diesmal geht es hingegen um eine deutsche Satire.

Die Wut des Präsidenten haben westliche Diplomaten in den vergangenen Tagen aber auch deshalb auf sich gezogen, weil sie am Freitag in Istanbul zur Prozesseröffnung gegen die beiden regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül gekommen waren . Mehrere Diplomaten, darunter auch der deutsche Botschafter Martin Erdmann und der britische Generalkonsul Leigh Turner, waren unter den mehr als 200 Prozessbeobachtern.

Turner twitterte, die Türkei entscheide mit diesem Prozess selbst, was für ein Land sie sein möchte. Dündar, Chefredakteur von "Cumhuriyet", und Gül, Ankara-Büroleiter der Zeitung, wird Spionage, Preisgabe von Staatsgeheimnissen, Vorbereitung eines Staatsstreichs und Beihilfe zur Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Es sind Vorwürfe, die im Falle einer Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe führen können. "Cumhuriyet" berichtete über verdeckte Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an islamische Extremisten in Syrien.

"Intervention in einen laufenden unabhängigen juristischen Prozess"

Weil Erdmann, seit vergangenem Jahr deutscher Botschafter in der Türkei, als Beobachter zu dem Prozess erschienen war, muss er dem Vernehmen nach an diesem Dienstag erneut im Außenministerium in Ankara vorstellig werden. Demnach wurde er zum dritten Mal innerhalb von vier Wochen förmlich einbestellt. In anderen Ländern, wo Diplomaten "ein solches Benehmen an den Tag legen", würden sie "nicht einen Tag geduldet", sagte Erdogan. Der Prozess soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, wie das Gericht am Freitag entschied.

Auch die Botschaften und Konsulate anderer Länder hätten eine "diplomatische Note" erhalten, heißt es aus dem türkischen Außenministerium. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Verbreitung von Fotos aus dem Gerichtsgebäude durch ausländische Diplomaten. Das sei eine "Intervention in einen laufenden unabhängigen juristischen Prozess" und damit "unvereinbar mit dem Prinzip der gerichtlichen Unvoreingenommenheit".

Dabei hatte Erdogan, der ebenso wie der Geheimdienst MIT als Nebenkläger gegen Dündar und Gül auftritt , persönlich Einfluss genommen auf das Verfahren: Nachdem das Verfassungsgericht die Freilassung der beiden Journalisten aus der Untersuchungshaft angeordnet hatte , stellte Erdogan die Existenzberechtigung des Gerichts infrage . Denn die Entscheidung der obersten Richter sei eine "gegen die Türkei und ihr Volk".

Erdogan störte sich bereits an der Tatsache, dass die Diplomaten überhaupt zum Prozess gekommen waren. "Wer sind Sie? Was machen Sie da?", fragte er sie in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei!" Und weiter: "Diplomatie unterliegt einem gewissen Anstand und Umgangsformen." Die Diplomaten könnten zwar in ihren Botschaften und Konsulaten tätig werden, außerhalb sei jedoch eine Erlaubnis nötig.

Die Betroffenen reagieren empört. Eine westliche Diplomatin sagte SPIEGEL ONLINE: "Es ist wirklich unglaublich: Jetzt brauchen wir schon eine Ausgangsgenehmigung von Seiner Exzellenz, dem Präsidenten, wenn wir die Botschaft oder das Konsulat verlassen wollen!" Sie selbst habe sich an diesem Tag schon mehrfach darüber hinweggesetzt: "Ich war einmal einkaufen und habe zwei Einladungen angenommen."

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