Markus Becker

EU-Beitritt der Türkei Brecht die Verhandlungen ab

Die Türkei hat sich für den Ein-Mann-Staat entschieden - und damit gegen Europa. Die EU sollte jetzt Konsequenzen ziehen.
Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan im Februar

Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan im Februar

Foto: Lefteris Pitarakis/ dpa

Ein Autokrat hat seine Macht vergrößert, ein Land ist gespalten: Das türkische Verfassungsreferendum ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Volksabstimmungen per se von zweifelhaftem Wert sind. Dennoch wird in den kommenden Tagen viel davon die Rede sein, dass das Votum der Mehrheit - und sei sie noch so knapp - respektiert werden müsse.

Für die EU kann das im Grunde nur eines heißen: Sie muss die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen.

Die Türken haben für die Autokratie, für die Unterdrückung politischer Gegner und wohl auch für die Einführung der Todesstrafe gestimmt. Mit einer Mitgliedschaft in der EU ist nichts davon vereinbar. Für Brüssel ist spätestens jetzt die Zeit gekommen, den Beitrittsprozess zu nennen, was er ist: tot.

Die Gegenargumente

Ein beliebtes Gegenargument lautet, die EU würde durch einen Abbruch der Verhandlungen jeden Einfluss auf Ankara verlieren. Wo aber war dieser Einfluss, als Erdogan 2013 die Proteste im Gezi-Park niederknüppeln ließ? Wo war er, als Erdogan den Konflikt mit den Kurden aus innenpolitischem Machtkalkül mutwillig eskalierte? Wo war der Einfluss der EU, als Erdogan unmittelbar nach dem Militärputsch Zehntausende in Gefängnisse werfen ließ, darunter zahlreiche Journalisten? Wo war er, als Erdogan gegen EU-Länder hetzte, um sein Verfassungsreferendum zu gewinnen?

Ein weiteres Argument gegen den Abbruch der Verhandlungen lautet, dass man damit die demokratischen Kräfte in der Türkei noch weiter schwächen würde. Sicher, das könnte passieren. Doch die EU sollte zuerst an die bedrohten Demokratien innerhalb Europas denken. In den EU-Mitgliedsländern Ungarn und Polen sind Autokraten bereits an der Macht, und der teils offen EU- und demokratiefeindlichen Politik eines Viktor Orbán und eines Jaroslaw Kaczynski hat die EU ohnehin schon erschreckend wenig entgegenzusetzen. Sollte sie nun auch noch vor einem türkischen Autokraten einknicken, würde sie ihre Glaubwürdigkeit weiter beschädigen - und jenen in den Rücken fallen, die in Polen und Ungarn für den Erhalt der freiheitlichen Demokratie kämpfen.

Auch das dritte Argument gegen den Abbruch der Beitrittsverhandlungen - der Erhalt des Flüchtlingspakts - zieht nicht wirklich. Erstens dürfte die weitgehende Schließung der Westbalkanroute mindestens so viel zum Rückgang der Flüchtlings- und Migrantenzahlen beigetragen haben wie der Pakt der EU mit Erdogan. Zweitens ist der Deal inklusive der Euro-Milliarden viel zu vorteilhaft für die Türkei, als dass sie ihn einfach aufkündigen würde.

Das alles heißt nicht, dass die EU die Zusammenarbeit mit der Türkei einstellen sollte. Aber sie sollte sie auf eine ehrliche Basis stellen, etwa indem sie statt über einen Beitritt über eine Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verhandelt. So hätte die EU wohl auch größere Chancen auf politische Einflussnahme. Denn auf gute Wirtschaftsbeziehungen zur EU ist Erdogan tatsächlich angewiesen.

Ein EU-Beitritt der Türkei aber ist auch auf lange Sicht nicht denkbar. Das sollten die europäischen Staaten endlich offen aussprechen, schon um den weiteren Zerfall der EU zu verhindern.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren