
Streit zwischen Ankara und Den Haag Gelegenheit macht Krise


Erdogan-Anhänger demonstrieren in Rotterdam
Foto: Peter Dejong/ dpaRecep Tayyip Erdogan, Mark Rutte und Geert Wilders sind die Profiteure des Schauspiels vom Samstag. Der türkische Präsident, der niederländische Regierungschef und der Rechtsaußen aus Venlo stehen kurz vor einer Volksabstimmung oder Wahl, die über ihre politische Karriere entscheidet. Und alle werden Anhänger hinter sich versammeln nach den Szenen, die sich gestern Nacht in Rotterdam abspielten.
Da blockiert die niederländische Polizei mit einem quer über die Fahrbahn stehenden Auto einen Konvoi mit der türkischen Familienministerin und versperrt ihr den Weg zum Konsulat. Dort versammelt sich eine aufgebrachte Menge ungeachtet eines Demonstrationsverbots und skandiert "Türkiye, Türkiye". In der Türkei beschimpft Erdogan die Niederländer pauschal als "Nazi-Nachfahren" - woraufhin Rutte seine Äußerungen "verrückt" nennt. Und Scharfmacher Wilders fordert per Twitter mal eben, man solle die Demonstranten vor dem Konsulat aus dem Land schmeißen sowie alle diplomatischen Beziehungen abbrechen.
Was für ein Theater!
Aber sowohl den beiden Hauptdarstellern wie auch dem Extremisten mit der Mozart-Frisur kommt der Streit gelegen. Erdogan kann den starken Mann markieren, der bösgesinnten ausländischen Mächten mit aller Macht die Stirn bietet. Rutte kann den starken Mann markieren, der die Heimat beschützt und sich nicht erpressen lässt. Und Islamhasser Wilders? Der kann die Bilder eines wütenden fremdländischen Mobs auf den Straßen einer niederländischen Stadt für seine Zwecke ausschlachten und Hass schüren gegen Muslime.

Türkei vs. Niederlande: Auftrittsverbote sorgen für Proteste
Angst vor weiterer Eskalation
Darunter zu leiden haben Menschen, die nichts dafür können. Polizisten, die sich ihr Wochenende um die Ohren schlagen und Demonstrationen bewachen müssen. Anwohner, die den Lärm ertragen und sich Zugangskontrollen unterwerfen müssen. Der niederländische Botschafter in der Türkei, den Erdogan zur unerwünschten Person in seinem Land erklärte. Und vor allem: die Hunderttausenden Menschen türkischer Abstammung, die in den Niederlanden leben und mit dem Streit gar nichts zu tun haben. Man kann nur hoffen, dass sie nicht von ihren Mitmenschen diskriminiert oder beleidigt werden. Oder dass etwas noch Schlimmeres geschieht.
Die gestrige Nacht zeigt, was Populisten anrichten können. Man stelle sich nur vor, nicht der um Contenance und eine politische Lösung bemühte Rutte wäre Premierminister, sondern der Provokateur Wilders. Dann wäre jetzt Vergeltung angesagt, dann würden alle diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten abgebrochen - die seit Jahrzehnten Nato-Partner sind. Wie ginge die Spirale weiter? Und: Obendrein würden die Niederlande auch noch mal eben die Menschenrechte brechen. Denn unter den Demonstranten vor dem Konsulat waren sicher auch Menschen mit niederländischem Pass. Und die darf der niederländische Staat nicht einfach so ausbürgern, wie Wilders poltert. Erst recht nicht wegen der bloßen Teilnahme an einer verbotenen Kundgebung.
Härteprobe kurz vor der Wahl
Die Niederländer haben am kommenden Mittwoch die Wahl. Sie können die Wilders-Partei PVV zur stärksten politischen Kraft in ihrer Nation küren - und deren Chef zum Oppositionsführer oder, im Extremfall, sogar zum Regierungschef. Oder sie können ihr Kreuz bei einer der vielen Parteien der politischen Mitte machen: Politiker mächtig machen, die nicht den Skandal suchen, sondern den Kompromiss. Die zur Besinnung aufrufen und nicht immer neue Beleidigungen in die Welt twittern. Die sich für ein friedliches Zusammenleben von Mehrheit und Minderheiten einsetzen statt Menschengruppen gegeneinander aufhetzen.
Die Niederlande waren jahrzehntelang ein Hort der Toleranz und des multikulturellen Miteinanders. Und sie sind dabei reich geworden. Wie dumm wäre es, all dies aufs Spiel zu setzen.
Das beste Beispiel dafür, wohin Extremismus führen kann, ist Geert Wilders selbst. Der Islamhasser steht seit zwölf Jahren unter Personenschutz; rund um die Uhr bewacht von Sicherheitskräften, weil Islamisten gedroht haben, ihn zu ermorden.
Man kann diesen Mann bemitleiden. Aber man sollte besser nicht für ihn stimmen.