Urteil im "Cumhuriyet"-Prozess Angriff auf den Journalismus

Die "Cumhuriyet" ist eine der letzten unabhängigen Zeitungen in der Türkei. Nun hat ein Gericht ihren Chefredakteur und 14 Mitarbeiter zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Entscheidung ist eine Bankrotterklärung für die türkische Justiz.
Gericht im Istanbuler Bezirk Silivri

Gericht im Istanbuler Bezirk Silivri

Foto: YASIN AKGUL/ AFP

Mehr als eineinhalb Jahre lang saßen Mitarbeiter der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet" in Untersuchungshaft, neun Monate lang dauerte der Prozess. Nur am Ende ging es schneller als erwartet.

Richter Abdurrahman Orkun Dag hatte die letzte Anhörung im Gerichtssaal im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri, bei Istanbul, für Freitag angesetzt. Nun verkündete er bereits am Mittwochabend das Urteil: Er sprach "Cumhuriyet"-Geschäftsführer Akin Atalay und 14 seiner Mitarbeiter der Terrorhilfe schuldig.

Atalay wurde zu einer Haftstrafe von sieben Jahren, und drei Monaten verurteilt, Chefredakteur Murat Sabuncu und Reporter Ahmet Sik zu sieben Jahren und sechs Monaten.

Die Entscheidung ist eine Bankrotterklärung für die türkische Justiz: Richter Dag ist weniger der Beweislage gefolgt, die einen Freispruch der Beschuldigten zwingend notwendig erscheinen ließ, sondern vielmehr dem Druck der Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan, die sich seit Jahren im Streit mit der "Cumhuriyet" befindet.

Anwälte werden Einspruch einlegen

Die "Cumhuriyet"-Anwälte haben bereits angekündigt, das Urteil anzufechten. Solange das Berufungsverfahren läuft, bleiben die Journalisten in Freiheit. Sie dürfen das Land jedoch nicht verlassen.

Mit den "Cumhuriyet"-Mitarbeitern standen nicht nur einzelne Journalisten vor Gericht - sondern die Pressefreiheit in der Türkei grundsätzlich. Die Regierung Erdogan, darauf wies der "Cumhuriyet"-Chefredakteur am Montag im Gespräch mit Kollegen hin, wollte durch den Prozess kritische Journalisten einschüchtern.

Dieser Plan ist misslungen. Die Angeklagten haben sich nicht gebeugt, sondern das Verfahren genutzt, um Regierung und Justiz vorzuführen. Reporter Ahmet Sik gab sehr früh im Prozess die Richtung vor: "Ich verteidige mich nicht", sagte er. "Ich klage an."

"Cumhuriyet"-Anwalt Abbas Yalcin schilderte vor Gericht, wie das Recht bereits bei der Festnahme seiner Mandanten im Herbst 2016 gebeugt wurde: "Eines Morgens holt man Sie wie einen Schwerverbrecher aus dem Bett. Polizeibeamte stürmen Ihr Haus. Alles wird durchwühlt. Alle digitalen Daten werden beschlagnahmt, ungeachtet, ob diese Ihnen, Ihrer Frau oder Ihren Kindern gehören. Sie werden festgenommen. Sie fragen, was Sie verbrochen haben, aber aus Gründen der Geheimhaltung wird Ihnen das nicht gesagt."

Vorwurf der Propaganda

Die Staatsanwaltschaft warf den "Cumhuriyet"-Mitarbeitern vor, Propaganda betrieben zu haben; sowohl für die Sekte des Islamisten-Predigers Fethullah Gülen, die laut Regierung hinter dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 stecken soll, als auch für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die marxistisch-leninistische Gruppierung DHKP-C.

Die Angeklagten, die sich vor Gericht weitgehend selbst verteidigten, widerlegten die Anschuldigung eindrucksvoll: "Weder werdet Ihr aus der "Cumhuriyet" eine illegale Vereinigung noch aus uns Terroristen machen können", sagte Reporter Sik in seiner Anhörung. "Die Terrororganisation, nach der Sie suchen, ist als politische Partei verkleidet und regiert dieses Land. Journalismus ist kein Verbrechen."

"Cumhuriyet"-Chefredakteur Sabuncu hat deutlich gemacht, dass seine Redakteurinnen und Redakteure trotz der Verurteilung ihre Arbeit unbeirrt fortsetzen werden. Am 24. Juni wird in der Türkei gewählt. Das Land ist mehr denn je auf unabhängige Berichterstattung angewiesen.

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