Türkei Was wir über den Putschversuch wissen

Panzer in Ankara
Foto: STR/ AP
Panzer in Ankara
Foto: STR/ APTürkische Streitkräfte haben versucht, gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu putschen. Am Freitagabend meldeten sie, ihnen sei es gelungen, die Macht im Land zu übernehmen. Die Regierung widersprach, inzwischen meldet sie, der Putsch sei beendet.
Nach Angaben des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim sollen 161 Menschen getötet und 1440 verletzt worden sein. 2839 Angehörige der Streitkräfte seien festgenommen worden. Darunter seien einfache Soldaten und ranghohe Militärs. Kurz im Überblick:
Was sagt das Militär?
Das Militär meldete am Freitagabend, die Kontrolle über die Türkei übernommen zu haben. Es verhängte eine Ausgangssperre und rief das Kriegsrecht aus. Mit dem Putsch sollten unter anderem die verfassungsmäßige Ordnung, die Demokratie und die Menschenrechte wiederhergestellt werden, teilte das Militär nach Angaben der privaten Nachrichtenagentur DHA mit.
Was sagt die Regierung?
Die Regierung meldete in der Nacht zu Samstag, den Putschversuch abgewendet zu haben. Ministerpräsident Yildirim sagte nach Angaben aus dem Präsidialamt: "Die Situation ist weitgehend unter Kontrolle." Er soll angeordnet haben, die von Putschisten gekaperten Flugzeuge abzuschießen. Man habe die Lage "zu 90 Prozent unter Kontrolle", verkündete EU-Minister Ömer Celik am Samstag. Allerdings würden noch einige Armeekommandeure von Putschisten als Geiseln gehalten.
Erdogan sagte in Istanbul: "Wir haben mit der Operation begonnen, das Militär vollständig zu säubern. Und wir werden diese Operation weiterführen." Der Präsident und die gewählte Regierung seien an der Macht. In Ankara gebe es noch in geringem Ausmaß Widerstand von Putschisten, der aber hoffentlich bald niedergeschlagen sei.
Schuld an dem Putschversuch seien Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen. "Das war die Parallelorganisation höchstpersönlich", sagte Erdogan. "Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen." Gülen hat sich nach einem Bericht der "New York Times" jedoch bereits distanziert: "Ich verurteile den Putschversuch in der Türkei aufs Schärfste", zitiert die Zeitung aus einem per Email veröffentlichten Statement. "Regierungsmacht sollte durch freie und faire Wahlen errungen werden, nicht durch Gewalt."
Im Video: Präsident Erdogan äußert sich zu Putschversuch
Wer ist Fethullah Gülen?
Der Prediger Fethullah Gülen und Erdogan waren einst verbündet, gemeinsam bekämpften sie Militär und Opposition. Nach seinem Wahlsieg 2011 glaubte Erdogan, nicht länger auf Gülen angewiesen zu sein. Die Lager der beiden stritten über den Umgang mit den Kurden, Gülen kritisierte Erdogans Außenpolitik. 2013 eskalierte der Konflikt (hier lesen Sie mehr Hintergründe zum Streit).
Der 75-jährige Gülen gibt sich liberal, verfolgt aber islamistische Ziele. Er lebt seit 1999 im Exil in den USA. Die damalige säkulare Regierung der Türkei warf ihm vor, das Land islamisieren zu wollen. Seine Anhänger haben weltweit Schulen gegründet, Medienhäuser, eine Bank und Kliniken (hier lesen Sie mehr Informationen über Gülen).
Was passiert derzeit in Istanbul?
In der größten Stadt der Türkei waren in der Nacht auf Samstag Schüsse und Explosionen zu hören. Kampfjets flogen im Tiefflug über die Stadt. Anhänger und Gegner des Putsches gingen auf die Straße, aus mehreren Stadtteilen wurden Schlägereien und Schusswechsel gemeldet.
Am Samstagvormittag hatte sich die Lage jedoch beruhigt. SPIEGEL-ONLINE-Reporterin Cigdem Akyol berichtete, die Straßen seien leer und ruhig wie an einem Feiertag.
Das Redaktionsgebäude des Senders CNN Türk war zeitweise von Soldaten besetzt. Inzwischen wurde die Berichterstattung wieder aufgenommen. Dutzende Soldaten, die eine der Bosporus-Brücken besetzt hatten, ergaben sich.
Was passiert derzeit in Ankara?
In der Nähe des Präsidentenpalasts in Ankara gab es am Samstagmorgen einen Luftangriff. Wie aus dem Umfeld des Präsidenten verlautete, griffen F-16-Kampfjets Panzer der Putschisten an, die am Präsidentenpalast in der türkischen Hauptstadt aufgefahren waren. Über dem Stadtteil Bestepe, in dem der Präsidentenpalast liegt, stieg dichter schwarzer Rauch auf, wie auf Bildern des Fernsehsenders NTV zu sehen war.
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, bei einem Luftangriff der Putschisten auf das Hauptquartier der Spezialkräfte der Polizei seien 17 Polizisten getötet worden. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht.
Wie reagiert das Ausland?
Zahlreiche ausländische Staats- und Regierungschefs haben ihre Solidarität mit der Regierung Erdogans bekundet. Im Folgenden finden Sie einen Überblick der Reaktionen:
Wie ist die Lage für Urlauber?
Das Auswärtige Amt riet allen Deutschen in Ankara und Istanbul zu "äußerster Vorsicht". "Bei unklarer Lage wird geraten, Wohnungen und Hotels im Zweifel nicht zu verlassen", sagte eine Sprecherin in der Nacht zum Samstag.
In türkischen Urlaubsregionen sei die Lage ruhig, sagte ein Sprecher des Veranstalters Thomas Cook - er habe zumindest keine gegenteiligen Informationen. Der größte deutsche Tourismuskonzern TUI bietet seinen Kunden derweil kostenlose Umbuchungen und Stornierungen für alle Türkeireisen an, die bis 17. Juli starten. Sollten Urlauber den Wunsch haben, vorzeitig abzureisen, werde dies durch die Reiseleitung organisiert, gab die TUI bekannt.
Die Buchungen in die Türkei waren wegen der Anschläge in den vergangenen Monaten bereits eingebrochen.
No-comment-Video zeigt Szenen aus Istanbul und Ankara:
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Aufständische Soldaten auf der Bosporus-Brücke ergeben sich. Am Morgen nach dem Putschversuch greift die Regierung von Präsident Erdogan hart durch.
Wütende Zivilisten beschimpfen die am Putsch beteiligten Soldaten.
Ein Zivilist schlägt einen der Putschisten auf der Bosporus-Brücke.
Soldaten flüchten vor der aufgebrachten Menschenmenge in Busse.
Zivilisten feiern die Rückeroberung der Bosporus-Brücke.
Mit der türkischen Fahne in der Hand jubeln Bürger auf einem Panzer, den die Putschisten zurückgelassen haben.
"Unsere Militärkommandeure haben die Kontrolle", sagte Ministerpräsident Binali Yildirim am Samstagmittag vor Journalisten in Ankara in
Beim Putschversuch kam schweres Kriegsgerät zum Einsatz: Panzer rollten auf, Kampfjets flogen über Istanbul und Ankara.
Das Parlament in Ankara wurde mehrfach von Panzern beschossen, die Schäden sind deutlich erkennbar.
Der Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mobilisierte Polizei und Militär im ganzen Land. Im Küstenort Marmaris, wo Erdogan sich zum Zeitpunkt des Putsches aufhielt, errichtete die Polizei Straßensperren.
In der Hauptstadt Ankara soll es weiterhin Schusswechsel geben. Hier gehen Zivilisten in Deckung.
Erdogan kehrte am Samstag ungehindert nach Istanbul zurück. Hier ist er am Flughafen zu sehen.
Erdogan-Anhänger erwarteten den Präsidenten am Atatürk-Airport in Istanbul.
"Der Präsident ist an der Macht", sagte Erdogan bei einer Pressekonferenz nach seiner Ankunft. Die Regierung werde hart gegen die Putschisten vorgehen.
In Istanbul - und anderen türkischen Städten - standen sich in der Nacht zu Samstag Anhänger und Gegner des Staatschefs gegenüber. Auslöser war die Mitteilung des Militärs, die Macht im Land übernommen zu haben.
Erdogan hatte sich nach der Erklärung des Militärs an die Bevölkerung gewandt und sie aufgefordert, sich auf öffentlichen Plätzen zu versammeln, um ein Zeichen zu setzen. Hier sind Menschen in Istanbul zu sehen, die dieser Aufforderung folgten.
Mit dem Putsch wollte das Militär eigenen Angaben zufolge unter anderem die verfassungsmäßige Ordnung, die Demokratie und die Menschenrechte wiederherstellen. Hier sind Soldaten in Istanbul zu sehen.
In Istanbul, der größten Stadt der Türkei, wurden beide Brücken über den Bosporus teilweise gesperrt.
Bosporus-Brücke in Istanbul: "Das ist ein Angriff gegen die türkische Demokratie", hieß es aus dem Präsidialamt. Das türkische Militär hat in einer im Fernsehen verlesenen Erklärung das Kriegsrecht und eine Ausgangssperre für die Türkei verkündet.
Soldaten auf der asiatischen Seite Istanbuls.
Die Brücken sind wichtige Verkehrsrouten für die Millionenstadt Istanbul. In der Stadt sind in der Nacht zu Samstag Anhänger und Gegner des Putsches gleichermaßen auf die Straße gegangen.
Bewaffnete Sicherheitskräfte patrouillieren in den Straßen Istanbuls. Das Militär hat seit 1960 bereits drei Mal gegen die Zivilregierung geputscht.
In der türkischen Hauptstadt Ankara patrouilliert die Polizei in der Nähe des Armee-Hauptquartiers. Augenzeugen berichten, Kampfjets würden im Tiefflug über die Stadt fliegen.
Augenzeugen berichteten von mehreren Explosionen in Ankara - hier ist ein zerstörtes Polizeiauto vor dem Militärhauptquartier zu sehen.
Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte an, die Hintermänner "werden den höchsten Preis bezahlen". In der Nacht zum Samstag sagte er dann, die Lage in der Türkei sei "weitgehend unter Kontrolle".
Erdogan hatte zuvor in einem live übertragenen Telefonanruf beim Sender CNN Türk vom Putschversuch einer Minderheit innerhalb des Militärs gesprochen. Auf diesen werde die nötige Antwort gegeben. Er macht die Gülen-Anhänger verantwortlich.
Während des Anrufs sagte Erdogan: "Ich rufe unser Volk auf, sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln." Die Putschisten sollten "mit ihren Panzern und ihren Kanonen machen, was sie wollen".
Unterstützer von Erdogan kamen dem Aufruf des Staatspräsidenten nach und protestierten auf Istanbuls Taksim-Platz.
Ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa berichtete, die Menge habe unter anderem "Gott ist groß" und "Nein zum Putsch" gerufen.
Neben den Erdogan-Anhängern sind auch dessen Gegner auf den Straßen Istanbuls unterwegs - hier ist Militär auf dem Taksim-Platz zu sehen.
Erdogan-Anhänger in Istanbul: Aus mehreren Stadtteilen wurden Schlägereien und Schusswechsel gemeldet. Die Polizei ruft die Menschen erneut dringend dazu auf, in den Häusern zu bleiben
In Istanbul fährt das Militär vor. Noch in der Nacht ertönten zudem die Rufe von Muezzins aus zahlreichen Moscheen - mehr als zwei Stunden vor dem normalen Morgengebet.
Putschgegner reden in Istanbul auf Soldaten ein. Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu sprach sich gegen die Militäraktion aus. Nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA sagte er am Freitag: "Dieses Land hat viel unter Putschen gelitten. Wir wollen nicht, dass es die gleichen Probleme wieder erlebt." Kilicdaroglu ist Chef der Mitte-Links-Partei CHP, die traditionell dem Militär nahesteht.
In Istanbul nehmen Sicherheitskräfte Unbekannte fest. Nach Angaben von Ministerpräsident Binali Yildirim sind auch einige Anführer des Putschversuchs festgenommen worden. "Einige Rädelsführer des Putsches sind festgenommen worden. Die Demokratie wird gewinnen", sagte er nach Angaben aus dem Präsidentenpalast.
Aus dem Präsidialamt hieß es, bei den Putschisten handele es sich «um eine kleine Gruppe» von Offizieren aus der Gendarmerie und der Luftwaffe, die der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen nahe stünden.
Erdogan kündigte nach seiner Rückkehr nach Istanbul an, er stehe an der Seite seines Volkes - und werde nirgendwohin gehen.
Als am Samstag der Putsch abgewehrt schien, fuhren Menschen durch die Straßen und schwenkten die türkische Flagge.