Angebliches Erdogan-Telefonat "Sohn, bring alles Geld weg, das im Haus ist"
Das YouTube-Video, am Montagabend veröffentlicht, hat am Dienstagvormittag schon mehr als 1,2 Millionen Klicks: Es sind Mitschnitte von insgesamt fünf Telefonaten. Die Gespräche sollen am 17. und 18. Dezember 2013 stattgefunden haben, damals also, als Ermittler in der Türkei Razzien bei mehreren Geschäftsleuten und hochrangigen Politikern starteten und Dutzende aus dem Umfeld der Regierungspartei AKP, darunter drei Söhne von Ministern, wegen Korruptionsverdachts verhafteten.
Das erste Gespräch soll morgens um 8.02 Uhr geführt worden sein.
"Bist du zu Hause, Sohn?", fragt die Stimme eines älteren Mannes auf Türkisch.
"Ja, Vater", antwortet die jünger klingende Stimme.
Vater: "Bring alles weg, was du im Haus hast!"
Sohn: "Dein Geld ist im Tresor."
Vater: "Genau das meine ich."
Angeblich handelt es sich um Premierminister Recep Tayyip Erdogan und um seinen Sohn Bilal. Sie besprechen demnach, wie sie mehrere Millionen Euro und Dollar vor der Staatsanwaltschaft verstecken können.

Türkei: Neuer Ärger für Erdogan
In den Gesprächen geht es um große Summen. Mal ist von 30 Millionen Euro die Rede, dann von 25 Millionen Dollar. Insgesamt sind mehrere hundert Millionen Dollar im Spiel.
Am Abend ist immer noch nicht alles in Sicherheit gebracht. "Wir haben immer noch 30 Millionen Euro, die wir nicht verschwinden lassen konnten", sagt die jüngere Stimme im vierten Telefonat. Es werden auch Namen von anderen Kindern Erdogans und weiteren Verwandten genannt, die beim Wegschaffen von Geld helfen sollen. Auch die Namen von Unternehmern kommen vor, bei denen man Geld parken könne. Von einem könne man ja eine Wohnung kaufen, schlägt der angebliche Sohn vor.
Wenn das stimmt, wäre es ein politisches Erdbeben für die Türkei, ein großer Skandal: Wollte der Premierminister an dem Tag, an dem die Korruptionsaffäre begann, die seither seine Regierung erschüttert, heimlich Geld beiseiteschaffen? Warum hat Erdogan, der sich immer wieder rühmt, sich aus armen Verhältnissen nach oben gearbeitet zu haben, so viel Geld? Ist er etwa auch in Korruption verwickelt? Andererseits: War er wirklich so naiv, solche Gespräche am Telefon zu führen? Immerhin sagt er im fünften Telefonat: "Rede nicht mehr offen darüber." Und: "Sohn, du wirst abgehört."
"Montagen ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit"
Am Montagabend traf Erdogan sich türkischen Medienberichten zufolge mit seinen Beratern. Anschließend teilte sein Büro mit, die Aufzeichnungen seien Fälschungen, ein "dreckiges Komplott", um ihm und seiner Regierung zu schaden. Es handele sich um "Montagen" von Tonaufnahmen, "ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit".
Montagen? Räumt er also ein, dass die Stimmen echt sind, dass es sich also tatsächlich um ihn und seinen Sohn handelt? Bilal steht seit Beginn der Affäre unter Verdacht, ebenfalls in Korruption verwickelt zu sein. So soll er Genehmigungen für Bauvorhaben durch Bestechung erwirkt haben.
Erdogan wirft seinem einstigen Wegbegleiter Fethullah Gülen vor, seine Regierung stürzen zu wollen. Gülen ist ein islamischer Prediger, der im selbstauferlegten Exil in den USA lebt, in der Türkei aber großen politischen Einfluss hat. Sein Netzwerk, wirft Erdogan ihm vor, habe Polizei, Streitkräfte und Justiz durchdrungen.
Hinweise dafür, dass Gülen viele Anhänger in staatlichen Einrichtungen hat, gibt es durchaus. Gülen selbst behauptet, er setze sich lediglich für Bildung ein, betreibe Schulen und ermutige Menschen aus ärmeren Schichten, Karrieren im angesehenen staatlichen Dienst anzustreben. Was sei daran falsch? Über die Finanzierung seines einflussreichen Netzwerks schweigt er sich aus.
Opposition fordert Erdogans Rücktritt
In den vergangenen Tagen waren mehrere Mitschnitte angeblich abgehörter Telefonate aufgetaucht, die Korruptionsvorwürfen an die Adresse der Regierung neuen Auftrieb gaben. In einem Anruf beim Nachrichtensender Habertürk zum Beispiel während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 beschwert Erdogan sich bei einem Manager des Senders, warum in einem News-Laufband so ausführlich über einen Oppositionspolitiker berichtet werde. .
Daraufhin verschwand die Nachricht. Diesen Anruf räumte Erdogan ein, zeigte aber kein Schuldgefühl - er sei lediglich gegen "Beleidigungen" vorgegangen.
Die Telefonmitschnitte scheinen ein beliebtes Mittel von Gegnern des Premiers zu sein. Sie belegen, dass sie aus einflussreichen Kreisen kommen, denn immerhin schaffen sie es, Erdogans Telefone abzuhören. In einem Wutanfall sagte der Regierungschef kürzlich, sie sollten doch ruhig alle Telefonate offenlegen, damit deutlich wird, dass es sich um eine Kampagne handele.
Ob die nun aufgetauchten Mitschnitte Fälschungen sind oder nicht, sie haben so oder so enorme Sprengkraft: Sind sie echt, belegt es, dass die Korruptionsaffäre bis ganz nach oben reicht, dass also die Familie des Premierministers in die Sache verwickelt ist. Handelt es sich um Fälschungen, wie Erdogan behauptet, wäre es ein Indiz dafür, dass seine Gegner tatsächlich eine Kampagne gegen ihn führen.
Die Opposition ist sich schon jetzt sicher, dass es keine Fälschungen sein können. Sie fordert den Rücktritt von Erdogan. Er habe als Regierungschef jede Legitimation verloren, teilte die Republikanische Volkspartei (CHP), die größte Oppositionspartei mit. Ein CHP-Abgeordneter sagte, er sei überzeugt, dass man solche Gespräche weder nachmachen noch zusammenschneiden könne.