Tunesien Der ewige Präsident spielt den Islamisten in die Hände
Tunis - Am Ufer des Mittelmeeres, gleich neben den legendären Ruinen von Karthago, steht ein weißer Palast. Verschanzt hinter einem Gestrüpp aus Palmen, Pinien und Überwachungskameras, wohnt hier der mächtigste Mann Tunesiens.
Seine Festung, über der eine gewaltige Flagge weht, ist unübersehbar, doch Zine el-Abidine Ben Ali liebt es nicht, wenn man zu lange darauf schaut. Für die Touristen, die busweise nach Karthago kommen, hat er ein großes Warnschild aufstellen lassen: Fotografieren in Richtung Palast verboten. Wer zuwider handelt, hat vielleicht zum letzten Mal Urlaub in Karthago gemacht.
Ben Ali, 71, wünscht in Ruhe gelassen zu werden. Der Präsident, dessen zeitloses Konterfei ein lächelnder Mann mit vollem schwarzen Haar in jedem tunesischen Lokal, hinter jedem Hoteltresen und Bankschalter hängt, scheut die Öffentlichkeit. Wenn er reisen muss, werden ganze Vororte abgesperrt, auf Kundgebungen hält er Abstand zum Publikum. Interviews gibt er seit Jahren nicht mehr.
Doch von Amtsmüdigkeit kann keine Rede sein. Niemand zweifelt daran, dass sich Ben Ali auch 2009 wieder zur Wahl stellen wird natürlich ohne Gegenkandidat und mit überwältigenden Ergebnissen. Schon nennen ihn die Tunesier hinter vorgehaltener Hand "Ben à vie" "Ben, ein Leben lang".
Viel Lob für das beliebte Urlaubsland
Er ist ein diskreter, doch allgegenwärtiger Präsident für ein Land, das ansonsten alles richtig zu machen scheint.
Zur wettbewerbfreundlichsten Wirtschaft Afrikas ernannte es die Weltbank im vergangenen Jahr. Internationale Rating-Agenturen preisen die politische Stabilität und die Steuervorteile für ausländische Unternehmen. Vom "sehr erfolgreichen Entwicklungsmodell" schwärmt auch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dazu lockt der Tourismus: Alleine aus Deutschland kommen jährlich eine Million Badeurlauber.
Weil das ressourcenarme Land auf keine Deviseneinnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft zählen kann, investierten die Tunesier schon früh in den Aufbau einer eigenen Industrie. Auch pumpten sie ihr Geld lieber in Erziehung statt in Rüstung. Während in der arabischen Welt noch immer jeder Zweite nicht lesen und nicht schreiben kann, sind in Tunesien 99 Prozent der Kinder eingeschult. Es gibt konstantes Wirtschaftswachstum, eine ausgeprägte Mittelschicht und mit 75 Jahren die zweithöchste Lebenserwartung in Afrika.
Kein Wunder, dass Ben Ali den Westen auf seiner Seite weiß: Zu kritisch ist die Gemengelage in der islamischen Welt, um sich auch noch mit Tunesien zu beschäftigen. Berichte von Menschenrechtsorganisationen über Folter und Misshandlungen können das Bild vom arabischen Musterländle daher nur noch geringfügig trüben. "Europa ist froh, dass es vor seiner Haustür immerhin ein Land gibt, in dem relative Stabilität herrscht", sagt Mokhtar Trifi, der Vorsitzende der tunesischen Menschenrechtsliga.
Dissidenten unter Beobachtung
Trifis Anwaltskanzlei im Zentrum von Tunis ist nur über ein matt beleuchtetes Treppenhaus erreichbar, vor dem sich zwei schnauzbärtige Herren postiert haben. Der Dissident hat sich daran gewöhnt, beschattet zu werden.
Es gebe nicht mehr viele Leute, die das Ben-Ali-Regime kritisieren, sagt er. Schweigen sei oberste Bürgerpflicht, und wer sich trotzdem in die Politik einmische, werde sehr subtil eingeschüchtert. Das funktioniere so: "Man suggeriert den Leuten, dass sie ihren Job verlieren und kein Geld mehr haben werden, um ihre Kredite abzuzahlen. Die Familien sind sowieso schon hoch verschuldet, denn in Tunesien hat jeder Kredite, alles ist auf Pump bezahlt: Kühlschränke, Betten, Autos. Der Staat verpflichtet die Banken, jedermann Kredit zu geben."
Aber warum sich überhaupt einmischen? Funktioniert das System nicht gut? Geht es heute nicht jedem Tunesier besser als noch vor 20 Jahren?
"Europa sollte nicht blind sein für das Unrecht, das hier geschieht", findet Trifi. "Wenn es stimmt, dass wir das meistentwickelte Land in der arabischen Welt sind, warum lässt man uns dann nicht auch das demokratischste werden? In den siebziger Jahren waren wir auf demselben Stand wie Taiwan und Südkorea Asiens Tigerstaaten aber haben uns inzwischen weit überholt. Warum sind wir kein Tiger geworden? Weil wir uns gesellschaftlich nicht weiterentwickelt haben, weil wir eine Diktatur geblieben sind."
Tunesiens erbitterter Kampf gegen den politischen Islam
Dabei hatte alles so gut angefangen, als Tunesien von Frankreich unabhängig wurde, im Sommer 1956. Habib Bourguiba, der erste Präsident, hegte keinen Zorn gegen die frühere Kolonialmacht. Anders als Algerien, das sich zum Arabischlernen ägyptische Muslimbrüder ins Land holte, trimmte er seine Bürger auch weiterhin auf Französischunterricht. Inspiriert von seinem Vorbild Kemal Atatürk, schaffte Bourguiba Polygamie und Zwangsehe ab, verordnete einen strengen Laizismus, erlaubte sogar Abtreibungen. Im säkularsten aller arabischen Staaten genießen die Frauen bis heute die weitreichendsten Rechte.
Von Machtteilung allerdings hielt Bourguiba nicht allzu viel, er ernannte sich zum "Präsidenten auf Lebenszeit". Am 7. November 1987 erklärten Ärzte den Staatschef für unzurechnungsfähig ein "medizinischer Staatsstreich", in dessen Folge ein ambitionierter Offizier namens Ben Ali die Macht übernahm. Der Neue versprach Reformen, erschrak jedoch über das unerwartet hohe Abschneiden islamistischer Kandidaten bei den ersten freien Parlamentswahlen 1989.
Im nun folgenden erbitterten Kampf gegen den politischen Islam wurde die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gleich mit abgeschafft; Tunesien mutierte zu einem der rigorosesten Polizeistaaten der Welt. Ein Netz von 140.000 Gendarmen, Spitzeln und Denunzianten überzieht seither die Zehn-Millionen-Nation, Internetzugänge werden kontrolliert, Telefongespräche abgehört. Ein ausländischer Diplomat sagt, er fühle sich bisweilen an die DDR erinnert, "mit dem Unterschied, dass Tunesien eine Marktwirtschaft ist und schöne Strände besitzt."
Tunesische Offizielle argumentieren, dass muslimische Extremisten jederzeit wieder erstarken und das Touristenparadies in einen Gottesstaat verwandeln könnten. Sie verweisen auf den Anschlag im April 2002, als ein Attentäter einen Lkw in die Synagoge von Djerba steuerte. 19 Urlauber kamen damals ums Leben, darunter 14 Deutsche. Und im Januar 2007 lieferten sich bewaffnete Rebellen Straßenkämpfe mit Sicherheitskräften in einem Vorort von Tunis. Sie habe bei den Männern Pläne für Angriffe auf westliche Botschaften, große Hotels und Einkaufszentren gefunden, berichtete später die Polizei.
"Genau deswegen brauchen wir eine starke Führung", sagt Roger Bismuth, ein Abgeordneter im tunesischen Senat. "Wir brauchen keine Opposition, wir brauchen Sicherheit und Entwicklung."
Frauen tragen immer häufiger Kopftuch
Bismuth ist wachsam, aus Erfahrung: Der 82-Jährige ist tunesischer Jude. Er wurde schon oft mit dem Leben bedroht, erzählt er, so wie im Frühjahr 1943. Damals hatten deutsche Wehrmachtsoldaten seine Heimat besetzt und begonnen, auch auf dem afrikanischen Kontinent Juden zu deportieren. Bismuth drohte Zwangsarbeit in der Wüste oder die Verschiffung in ein europäisches Vernichtungslager. Aber er hatte Glück, er entging seiner Verhaftung.
Dann wurde auf arabischem Boden der Staat Israel gegründet. Für die jüdischen Minderheiten in der Region wurde das zur Hypothek, viele zogen den Zorn ihrer muslimischen Nachbarn auf sich und wanderten aus. Von einst 100.000 Juden in Tunesien blieben nur 1300 zurück Bismuth war einer von ihnen. Als Freund von Bourguiba genoss er dessen Schutz, aber auch unter Ben Ali ergehe es ihm gut, sagt er. Räume man den Islamisten jedoch mehr Mitsprache ein, so Bismuth, werde das eines Tages gefährlich werden für seinesgleichen.
Aber wie realistisch ist die islamistische Gefahr wirklich? Nahost-Experten sind sich einig, dass Tunesiens größte Islamistenorganisation, die verbotene "Ennahda"-Partei, inzwischen zu den gemäßigsten Bewegungen in der arabischen Welt gehört. Ihre Führer setzen sich nicht mehr für das Kalifat, sondern für den Rechtsstaat ein. Ihr Vorbild ist weniger die ägyptische Muslimbrüderschaft, als die türkische AKP, die eine Versöhnung zwischen Islam und Laizismus anstrebt.
Doch Kompromisse sind nicht eben Ben Alis Stärke, lieber setzt das Regime auf Konfrontation. Und so könnte eines Tages eben jener Extremismus in Tunesien Fuß fassen, den die Regierung zu bekämpfen vorgibt. Gegenreaktionen, glaubt der Menschenrechtler Mokhtar Trifi, seien schon jetzt bemerkbar unter der Oberfläche: "Früher haben die Frauen bei uns nie Kopftuch getragen, jetzt verhüllen sie sich mehr und mehr, sogar die Ganzverschleierung hat zugenommen. Das sind die Ergebnisse der autoritären Politik unseres Präsidenten: ein Verlust religiöser Liberalität, Entpolitisierung und Flucht in den Konsum."
In Europa scheinen die Warnsignale allerdings noch nicht angekommen zu sein. Erst neulich reiste Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zum Geschäftemachen nach Tunis. Seinem tunesischen Kollegen machte Sarkozy ein schönes Kompliment. Es gebe heute "mehr Freiheiten" in dessen Heimat, und von der "Expansion des demokratischen Raumes" werde die ganze Region profitieren.