Staatskrise Zehntausende Tunesier fordern Rücktritt der Regierung

Staatskrise: Zehntausende Tunesier fordern Rücktritt der Regierung
Foto: ANIS MILI/ ReutersTunis - In Tunesien sind in der Nacht zum Mittwoch zehntausende Oppositionelle auf die Straßen gegangen. Sie versammelten sich vor dem Gebäude der verfassunggebenden Versammlung in Bardo, einem Vorort der Hauptstadt Tunis, und forderten den Rücktritt der Regierung. Ein Vertreter der Polizei sprach von 40.000 Teilnehmern. Von Seiten der Opposition gab es keine Schätzung.
Hintergrund der Proteste ist die Ermordung des Oppositionspolitikers Mohammed Brahmi am 25. Juli. Seine Anhänger machen die islamistische Regierungspartei Nahda für den Mord verantwortlich. Seit Tagen protestieren Anhänger und Gegner der Partei gegeneinander.
Die Aktion in der Nacht zu Mittwoch war die größte Demonstration seit Beginn der Krise vor zwei Wochen. Nur wenige Stunden zuvor hatte die verfassunggebende Versammlung in Tunesien ihre Tätigkeit wegen der schweren politischen Krise im Land auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Die Arbeit - das heißt: die Ausarbeitung einer neuen Verfassung - werde erst wieder aufgenommen, wenn es Gespräche zwischen Opposition und Regierung gebe, sagte Mustapha Ben Jaafar. Er ist Präsident der Versammlung und Generalsekretär der sozialdemokratischen Partei Ettakatol. Er wolle sich persönlich um einen neuen Dialog bemühen sowie mit politischen Führern und anderen Persönlichkeiten Kontakt aufnehmen, sagte Ben Jaâfar.

Opposition protestiert in Tunis: Wut auf der Straße
Nejib Mrad von der islamistischen Nahda-Partei kritisierte den Schritt im Fernsehen als inakzeptabel und sprach von einem "Staatsstreich". Von der Opposition wurde die Aussetzung des Ausschusses positiv aufgenommen. "Das ist ein Sieg für die Straße", sagte die Abgeordnete Maya Jribi von der Republikanischen Partei. Es sei ein erster Schritt zur Befriedung, aber er reiche nicht aus. Die Versammlung müsse dauerhaft aufgelöst und die Regierung abgesetzt werden.
Regierung lehnt Rücktritt ab
Der Nahda-Vorsitzende schloss einen Rücktritt der politischen Führung jedoch aus. "In demokratischen Staaten wechseln Demonstrationen keine Regierungen aus", sagte Rachid Ghannouchi der Tageszeitung "La Presse". Es gebe bei den Kundgebungen "maßlose Forderungen nach der Auflösung der gewählten Regierung", sagte er. Unglücklicherweise werde in Tunesien jedes Mal, wenn etwas Tragisches passiere, nach dem Sturz der Regierung und des Parlaments gerufen.
Die Regierung hatte schon vor Ghannouchis jüngsten Äußerungen einen sofortigen Rücktritt abgelehnt - aber vorgezogene Neuwahlen für den 17. Dezember angekündigt.
Die Nahda-Partei hatte im Herbst 2011 die ersten Wahlen nach dem Sturz von Langzeitherrscher Ben Ali klar gewonnen. Seitdem führt sie eine Koalition mit der Mitte-links-Partei CPR um Staatspräsident Moncef Marzouki und der sozialdemokratischen Partei Ettakatol um Ben Jaafar.